Ausgabe 1/2011 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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Die Erinnerungskultur im deutschen Sport hat Konjunktur.<br />
Das ist eine gute Nachricht. Denn es hat<br />
Jahrzehnte gedauert, bevor auf diesem Feld die<br />
jüngere Vergangenheit historisch ausgeleuchtet wurde. So<br />
haben der Offenbacher Fechtclub und die Stadt Offenbach<br />
in einer Reihe von Gedenkveranstaltungen ihres Idols Helene<br />
Mayer gedacht. Rund um den 100. Geburtstag am 20.<br />
Dezember 2010 befassten sich zwei Vorträge des Fechtclub-<br />
Präsidenten Waldemar Krug und der Sportwissenschaftlerin<br />
Dr. Jutta Braun von der Universität Potsdam mit dem Leben<br />
Die "Alibi-Jüdinnen"<br />
Helene Mayer und<br />
Gretel Bergmann<br />
Zwei Schicksale erinnern<br />
an die <strong>Olympische</strong>n Spiele<br />
in Berlin vor 75 Jahren<br />
und der politischen Rolle der "blonden He". Ein Festakt und<br />
ein "Helene-Mayer-Gedächtnis-Turnier" im Rahmen der<br />
deutschen Florett-Meisterschaften waren ebenfalls der<br />
berühmten Fechterin gewidmet. Der amerikanische Film mit<br />
dem Titel "What if?" wurde gezeigt, der sich mit der Spekulation<br />
befasst, was gewesen wäre, wenn die so genannte<br />
"Halbjüdin" nicht an den <strong>Olympische</strong>n Spielen von Berlin<br />
1936 teilgenommen hätte. In einer Schau waren unter<br />
anderem Exponate wie ihre Goldmedaille von 1928 und ihr<br />
Trainings- und Wettkampf-Florett aus der Zeit um 1930 zu<br />
sehen. Die angrenzende Wanderausstellung "Vergessene<br />
Rekorde - Jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933",<br />
die vom Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports der Universität<br />
Potsdam gestaltet wurde, schlug den Bogen zum Spannungsfeld,<br />
in dem sich der deutsch-jüdische Sport damals<br />
bewegte.<br />
42<br />
Von Steffen Haffner<br />
Das Schicksal von Lilli Henoch und anderer jüdischer Leichtathletinnen<br />
wurde nachgezeichnet. Die Berlinerin zählte mit<br />
zehn deutschen Meistertiteln im Kugelstoßen, Diskuswurf,<br />
Weitsprung und Sprint, dazu fünf Weltrekorden, in den<br />
zwanziger Jahren zu den herausragenden Persönlichkeiten<br />
ihrer Sportart. Als Turnlehrerin an einer jüdischen Volksschule<br />
blieb sie während des "Dritten Reichs" an der Seite ihrer<br />
Schülerinnen. 1942 wurde sie wie zahlreiche andere jüdische<br />
Sportlerinnen und Sportler gemeinsam mit ihrer Mutter ein<br />
Opfer des Holocausts.<br />
Die besondere politische Bedeutung der<br />
Hochspringerin Gretel Bergmann nahm<br />
in der Ausstellung und im Katalog dazu<br />
einen wichtigen Platz ein. Wie Helene<br />
Mayer wurde sie von den Nazis instrumentalisiert,<br />
um einen Boykott der<br />
Vereinigten Staaten gegen die <strong>Olympische</strong>n<br />
Spiele von Berlin 1936 abzuwenden.<br />
Beide Sportlerinnen wuchsen in<br />
einem gutbürgerlichen Umfeld auf. Der<br />
jüdische Vater der Fechterin war Arzt in<br />
Offenbach, die Mutter so genannte<br />
Arierin. Der ebenfalls jüdische Vater der<br />
Hochspringerin besaß ein Unternehmen<br />
im schwäbischen Laupheim. Auch die<br />
Mutter war jüdischer Herkunft. Die<br />
Religion spielte in beiden Familien keine<br />
große Rolle. Helene wurde schon 1921<br />
vom "israelitischen" Religions-Unterricht<br />
abgemeldet.<br />
Die Offenbacherin begann neben ihrem<br />
Ballett-Unterricht als Achtjährige ihre<br />
anspruchsvolle Florett-Ausbildung beim<br />
renommierten italienischen Fechtmeister<br />
"Cavaliere" Arturo Gazzera. Zweimal<br />
die Woche trainierte sie abends zweieinhalb<br />
Stunden lang. Und wenn kein<br />
Training war, übte sie am Morgen darauf von 5.45 bis 6.45<br />
Uhr. Zwischendurch fand sie noch Zeit zum Schwimmen,<br />
Reiten und Skifahren. Sensationell gewann die 17-jährige<br />
Gymnasiastin der Frankfurter Schiller-Schule 1928 in Amsterdam<br />
Gold und war damit die jüngste Olympiasiegerin der<br />
Sommerspiele. Die Popularität der "blonden He" nahm ähnlich<br />
starke Formen an wie die der norwegischen Eiskunstläuferin<br />
Sonja Henie, die im gleichen Jahr bei ihrem Olympiasieg in St.<br />
Moritz sogar erst sechzehn war.<br />
Gemeinsam mit anderen deutschen Medaillen-Gewinnern<br />
wurde der Fechterin vom Reichspräsidenten der Ehrenpreis<br />
der Reichsregierung überreicht. Paul von Hindenburg gab ihr<br />
sogar ein Entschuldigungsschreiben für die Schule mit: "Ich<br />
bitte das Fehlen von Frl. Mayer am Montag zu entschuldigen.<br />
Wir trennen uns nur ungern von ihr und möchten es nicht