Ausgabe 1/2011 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Ausgabe 1/2011 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Ausgabe 1/2011 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
den USA auf diese Weise die wachsende Boykott-Bewegung<br />
gegen die Spiele zu beschwichtigen. Im August 1935 stellte<br />
sich Sherill in einer persönlichen Unterredung mit Adolf<br />
Hitler ausdrücklich als "Freund Deutschlands und der nationalsozialistischen<br />
Bewegung" vor. Er schlug ihm vor, aus dem<br />
Kreis der jüdischen Sportler wenigstens "einen Vertreter für<br />
die Olympiamannschaft Deutschlands zu ernennen". Damit<br />
war er auf einer Linie mit Avery Brundage, dem damaligen<br />
NOK-Präsidenten, der als Freund der <strong>Deutsche</strong>n und als<br />
Antisemit galt. Hitler lehnte<br />
Sherills Ansinnen barsch ab,<br />
ließ sich jedoch später auf<br />
Anraten von Mitarbeitern<br />
davon überzeugen, dass es<br />
besser sei, ein solches Zugeständnis<br />
zu machen, und<br />
Gretel Bergmann in den<br />
Olympiakader aufzunehmen,<br />
ohne damit ernsthaft den<br />
Gedanken an eine Starterlaubnis<br />
für die Spiele zu<br />
verbinden.<br />
Gewissenhaft bereitete sich<br />
die Rückkehrerin 1935 und<br />
1936 während zweier Trainingslager<br />
in Ettlingen am<br />
Fuße des Nord-Schwarzwalds<br />
auf die Spiele vor. Hier kam<br />
es zu der schicksalhaften<br />
Begegnung mit einem Sprinter,<br />
ihrem späteren Ehemann<br />
Helene Mayer<br />
Bruno Lambert, mit dem sie<br />
nach ihrer Emigration 1937<br />
bis zum heutigen Tag in New York lebt. Im Frühsommer 1936<br />
stellte sie in Stuttgart mit 1,60 Meter den deutschen Rekord<br />
im Hochsprung ein. (Diese Bestleistung wurde erst im Jahre<br />
2009 vom <strong>Deutsche</strong>n Leichtathletik-Verband offiziell anerkannt.)<br />
Umso härter traf sie Mitte Juli das Schreiben des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Reichsbundes für Leibesübungen, in dem ihr die<br />
Nicht-Nominierung für die Spiele von Berlin mitgeteilt wurde.<br />
Zynisch hieß es da unter anderem: "Sie werden auf Grund<br />
der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit<br />
einer Aufstellung gerechnet haben." Sie sei verletzt, wurde<br />
von den Offiziellen im Kreis der Olympia-Mannschaft<br />
gestreut. Allein im Hochsprung der Frauen wurden in der<br />
Leichtathletik nur zwei der drei Startplätze in Anspruch<br />
genommen.<br />
Der Brief mit der Absage war einen Tag, nachdem das Olympiateam<br />
der USA an Bord der "US-Manhattan" New York mit<br />
Kurs Deutschland verlassen hatte, in Berlin aufgegeben<br />
worden. Die Propaganda hatte gewirkt. Das amerikanische<br />
NOK hatte sich im Dezember 1935 mit 58:55 Stimmen denkbar<br />
knapp für einen Start in Berlin entschieden. Der deut-<br />
44<br />
schen Öffentlichkeit blieben dank der Pressezensur die Hintergründe<br />
des Ausschlusses von Gretel Bergmann verborgen.<br />
Und auch die internationalen Medien ließen sich Sand in die<br />
Augen streuen und schwiegen.<br />
Bei den <strong>Olympische</strong>n Spielen von Berlin wurde nun Helene<br />
Mayer unter den Augen der Welt als "Alibi-Jüdin" benutzt.<br />
Wie zuvor schon bei den Winterspielen 1936 in Garmisch-<br />
Partenkirchen der "halbjüdische" Eishockeyspieler Rudi Ball<br />
als "Alibi-Jude". Die Offenbacher<br />
Fechterin steckte im<br />
Dilemma. Zwei Millionen<br />
Unterschriften für einen<br />
Olympiaboykott waren in<br />
den USA gesammelt worden.<br />
Marlene Dietrich und Thomas<br />
Mann hatten Helene<br />
Mayer aufgefordert, auf eine<br />
Olympiateilnahme zu verzichten.<br />
Damit aber war sie<br />
wohl überfordert. Denn als<br />
begeisterte Sportlerin wollte<br />
sie natürlich bei den Spielen<br />
im eigenen Land dabei sein.<br />
Andererseits fühlte sie sich<br />
durch die "Nürnberger<br />
(Rassen-)Gesetze" bedroht.<br />
Erst als ihr auf ihr Verlangen<br />
hin schriftlich der Status als<br />
gleichberechtigte "Reichsbürgerin"<br />
zuerkannt wurde,<br />
entschloss sie sich zum Start<br />
in Berlin.<br />
Zur Vorbereitung auf die Spiele trainierte sie bei Erwin Casmir<br />
von der Hermannia Frankfurt, wurde zusätzlich zu ihrem<br />
Offenbacher Fechtclub auch hier Mitglied. Mit dem berühmten<br />
Fechter, Olympiazweiter (Florett) in Amsterdam, der in<br />
Berlin mit 41 Jahren die deutschen Herren-Mannschaften im<br />
Florett und Säbel zu Bronze führte, war Helene Mayer<br />
befreundet. Mit dem Gewinn der Silbermedaille knüpfte sie<br />
an ihren Erfolg von Amsterdam an, war aber dennoch tief<br />
enttäuscht. Auf dem Siegerpodest, gemeinsam mit der ungarischen<br />
Siegerin Ilona Elek und der österreichischen Bronzemedaillen-Gewinnerin<br />
Ellen Preis, zwei Jüdinnen - beide<br />
überlebten die Nazi-Zeit - entbot sie den "<strong>Deutsche</strong>n Gruß",<br />
was viele ihrer Anhänger irritierte. Wie es hieß, habe sie<br />
damit ihr Zugehörigkeitsgefühl zeigen und vielleicht auch<br />
unangenehme Folgen für ihre Familie vermeiden wollen.<br />
Zurück in Amerika, wo sie sich unter anderem als Sportlehrerin<br />
mit dem Schwerpunkt Fechten verdingte, wuchs ihr<br />
Heimweh: "Ich weiß nur, dass ich wieder nach Deutschland<br />
kommen möchte. Aber dort ist sicher kein Platz für mich…Ich<br />
liebe Deutschland genauso sehr wie ihr", schrieb sie im