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Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt, Ausgabe 9/2009

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Vorsicht Vorsorge<br />

Vorsorge ist besser als Heilen. Ein gesunder Lebensstil<br />

kann viele Krankheiten vermeiden. Vorsorgeuntersuchungen<br />

haben das gleiche Ziel, allerdings können sie<br />

ebenso wie die Senkung der Normgrenzen biologischer<br />

Werte zu einer größeren Zahl von „Gesunden mit Befunden“<br />

führen. So würden die stetig abgesenkten Grenzwerte<br />

für Blutdruck und Cholesterin den Durchschnitt der<br />

Bevölkerung pathologisieren. Wenn man Richtwerte von<br />

140/90 mm Hg für Blutdruck und 193 mg/dl für Gesamtcholsterin<br />

empfiehlt, bleibe nur ein Viertel aller Erwachsenen<br />

im Normbereich. Ein Screening gesunder<br />

Männer mit Prostata-spezifischem Antigen (PSA) kann<br />

ein Prostatakarzinom im Frühstadium entdecken, während<br />

falsch-positive Befunde Angst auslösen. Viele alte<br />

Männer sterben nicht durch ihr, sondern mit ihrem Pros -<br />

tatakarzinom. Die Gefahr sei, dass besonders Alte, die<br />

sich bislang gesund fühlten, plötzlich zu Kranken werden<br />

oder durch aggressive Therapie Nebenwirkungen erleiden.<br />

Die Mammographie vermag Fälle von Brustkrebs<br />

aufzudecken. Es gibt falsch negative und falsch positive<br />

Befunde. Viele Frauen werden durch einen falsch<br />

pathologischen Befund „verunsichert, der sich erst durch<br />

Untersuchungen später als Fehlalarm herausstellt“. Diese<br />

Ungewissheit ist für viele Frauen eine schlimme Zeit.<br />

Eine wichtige ärztliche Aufgabe besteht deshalb darin,<br />

„Vor- und Nachteile einer als Vorsorge bezeichneten<br />

Untersuchung sachkundig, transparent und verständlich<br />

zu erläutern“.<br />

Seit den sechziger Jahren galt vielen die Menopause als<br />

unnatürlich und wurde bei Millionen von Frauen mit einer<br />

Hormonersatztherapie (HET) behandelt. Mit HET<br />

sollte das Alter aufgehalten werden. Inzwischen hat die<br />

„Women’s Health Initiative“ gezeigt, dass es durch eine<br />

Östrogen-Medroxyprogesteron-Kombination zu einem Anstieg<br />

von koronarer Herzkrankheit, Schlaganfall, venöser<br />

Thromboembolie und Mammakarzinomen kommt.<br />

Wenn wegen Menopausensymptomen eine HET erfolgt,<br />

dann so kurz und so niedrig dosiert wie möglich.<br />

Zu den Individuellen Gesundheitsleistungen, den IGel<br />

(z. B. Ultraschall- und Augeninnendruckmessungen als<br />

Vorsorge, Tests zur Krebsfrüherkennung, Bestimmungen<br />

der Knochendichte, Mineral-, Vitamin- und andere „Aufbaulösungen“),<br />

sagt Werner Bartens, dass „sie fragwürdige<br />

(Test-)Ergebnisse liefern, Patienten verunsichern<br />

und zu weiteren Untersuchungen antreiben“. Patienten<br />

werden zu Kunden, Ärzte zu Anbietern, Gesundheit<br />

zur Ware.<br />

BÜCHER<br />

Gesunde Ernährung mit<br />

genügend Vitaminen in<br />

Obst, Gemüse und anderen<br />

Lebensmitteln ist<br />

wichtig. Zusätzliche Vita -<br />

mine können bei mangelhafter<br />

Ernährung, Kachexie<br />

oder zu Beginn<br />

der Schwangerschaft (erhöhter<br />

Folsäurebedarf)<br />

sinnvoll sein. Aber helfen<br />

sonst Vitamine aus der<br />

Dose? Menschen, die<br />

sich richtig ernähren,<br />

müssen keinen Vitaminmangel<br />

fürchten. Verbraucher sind der Werbung für Vitaminpräparate<br />

ausgesetzt, aber Studien zeigen, dass<br />

„mehr Menschen in den Gruppen starben, die regelmäßig<br />

Vitaminzusätze zu sich nahmen“.<br />

Der Autor, Arzt und Wissenschaftsredakteur der „Süddeutschen<br />

Zeitung“, warnt vor einem „Nutritionismus“ und<br />

fährt fort: „Seither belästigen uns Laien wie professionelle<br />

Gesundbeter ungefragt mit Empfehlungen zu gesundem<br />

Essen und wollen uns weismachen, dass Broccoli<br />

Krebs verhindert, Algen den Haarausfall stoppen und Olivenöl<br />

aus einer bestimmten attischen Südlage die Schlagadern<br />

frei pustet.“ Auch sonst wird das Buch von einem<br />

flotten, teilweise witzigen Journalistenstil geprägt, der wieder<br />

Voraussetzungen für einen Bestseller liefert. Wenn<br />

die offizielle Medizin die Pro- und Werner Bartens die Contra-Argumente<br />

der Vorsorge betont, dann steht eine<br />

ausgewogene „Philosophie der Prävention“ noch aus.<br />

Vielen kritischen Ärzten werden manche Thesen des<br />

Autors nicht neu sein. Wer sie überraschend findet, sollte<br />

sich mit ihnen vielleicht auseinandersetzen, um Fragen<br />

von Patienten, die das Buch gelesen haben, aus gewogen<br />

und kompetent beantworten zu können.<br />

Bibliografische Angaben: Werner Bartens, Vorsicht Vorsorge!<br />

- Wenn Prävention nutzlos oder gefährlich wird,<br />

Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2008, 194 Seiten, 7,50 Euro.<br />

Rezensent: Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt, Kiel<br />

<strong>Ausgabe</strong> 9 I September <strong>2009</strong> 17

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