Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt, Ausgabe 9/2009
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UNSERE NACHBARN<br />
6. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik<br />
Seltene Erkrankungen besser<br />
behandeln<br />
Der Forderung nach einer besseren Diagnostik und Therapie für Patienten mit<br />
seltenen Erkrankungen schlossen sich alle Referenten im UKE an.<br />
Insgesamt über 100.000 <strong>Schleswig</strong>-Holsteiner dürften<br />
an seltenen Erkrankungen leiden, sog. Orphan Deseases<br />
oder Rare Diseases, die eine Prävalenz von jeweils<br />
höchstens fünf Betroffenen auf 10.000 Einwohner<br />
haben. Insofern leuchtet der zunächst paradox erschei -<br />
nen de Titel des jüngsten Eppendorfer Dialogs vom<br />
8. Juli ein: „Seltene Erkrankungen - ein häufiges Problem.“<br />
Die Problematik, so Gastgeber Prof. Dr. Matthias<br />
Augustin vom Kompetenzzentrum Versorgungsforschung<br />
in der Dermatologie des UKE, liege vor allem<br />
darin, dass es an medizinischem Wissen zu den über<br />
6.000 bekannten seltenen Krankheiten (von rund 30.000)<br />
fehle, zumal an Evidenz höherer Stufe, sowohl für die<br />
Diagnostik und wie auch für die Therapie.<br />
Kongenitale seltene Krankheiten wie Neurofibromatose<br />
oder später auftretende Erkrankungen wie das Kaposi-<br />
Syndrom „gehen meist mit hoher Krankheitslast, er höhter<br />
Mortalität und starken Einbußen an Lebensqua lität<br />
für die Betroffenen und ihre Angehörigen einher ...<br />
Viele Patienten berichten über Ungerechtigkeiten und<br />
Schwierig keiten beim Zugang zu Behandlung und<br />
Pflege.“<br />
Bereits auf der Ebene der medizinisch-pharmakologischen<br />
Forschung gibt es grundlegende Probleme, wie<br />
Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman aus Freiburg berichtete.<br />
Es fehle an ausreichender Finanzierung im<br />
Vergleich zu den großen Volkskrankheiten. Die staatliche<br />
Forschungsförderung sei aber entscheidend, wenn<br />
ein vielversprechendes Projekt wie das von ihr betreute<br />
(„Epidermolysis bullosa“) auslaufe. Außerdem gelte<br />
es, für die seltenen Krankheiten Referenzzentren für die<br />
Diagnostik aufzubauen. Die Zentren müssten sich dann<br />
organisatorisch vernetzen.<br />
Kein Problem hingegen sollte die Forderung nach evidenzbasierter<br />
Medizin bieten, sagte der Vorsitzende<br />
des Gemeinsamen Bundesausschusses, Dr. jur. Rainer<br />
Hess. Es gehe nicht darum, seltene Krankheiten durch<br />
unerfüllbar hohe Evidenzanforderungen zu diskriminieren<br />
oder aber umgekehrt durch Großzügigkeit zu bevorzugen,<br />
sondern der G-BA fordere die angemesse<br />
26 <strong>Schleswig</strong>-<strong>Holsteinisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong><br />
Dr. Andreas Reimann<br />
Dr. Julia Mattenklotz<br />
(Fotos: Christina Opeldus)<br />
ne, die höchste verfügbare Evidenz aus Studien oder<br />
notfalls Anwendungsbeobachtungen. Entsprechend<br />
der jüngsten Rechtsprechung müsse aber auch hier jeweils<br />
das Risiko abgeschätzt und ins Verhältnis zum<br />
möglichen Nutzen gesetzt werden. Folgestudien nach<br />
der Therapie mit Orphan Drugs per Off-Label-Use seien<br />
sinnvoll, und die Finanzierungsüberlegungen der<br />
GKV hierzu seien zu begrüßen.<br />
Dr. Julia Mattenklotz, Referentin aus dem Bundesgesundheitsministerium,<br />
malte aus der defensiven Perspektive<br />
der Ministerialbürokratie eher ein Wunschbild<br />
als die Realität. Der Staat sei grundsätzlich verpflichtet,<br />
für alle, d. h. auch für die Patienten mit seltenen Krankheiten,<br />
die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu<br />
stellen. Es sei zu begrüßen, dass derzeit durch Aktivitäten<br />
der Selbsthilfe wie auch der EU seltene Erkrankungen<br />
stärker beachtet würden. Im nationalen Recht<br />
böten die neuen Versorgungsformen bessere Möglichkeiten<br />
auch für Orphan Diseases. Die oft bedrückende<br />
Versorgungsrealität schilderte aus Sicht der<br />
Selbsthilfegruppen Dr. phil. nat. Andreas Reimann, Geschäftsführer<br />
Mukoviszidose e. V. und 1. Stv. Vorsitzender<br />
von Achse e. V. Er monierte die oft quälend<br />
lange Suche nach der richtigen Diagnose, da es zu wenig<br />
Spezialisten gebe. Sein Fazit: „Es besteht also<br />
Handlungsbedarf auf der Systemebene, auf der Mikroebene,<br />
bei der Forschungsförderung und in der<br />
Ärzteausbildung.“<br />
Horst Kreussler