Hohenzollerische Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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WILLY BEYER<br />
Michael Lehmann - ein katholischer Rebell<br />
Zum 100. Todestag des Publizisten,<br />
Schriftsteller und Komponisten<br />
(Fortsetzung)<br />
II. Lehmanns Rolle während des Kulturkampfes im<br />
preußischen Hohenzollern<br />
Parteiorgan »Zoller« erscheint in Hechingen<br />
In den frühen siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen in<br />
Hohenzollern nur zwei Zeitungen: Die bis dahin als gemäßigt liberal<br />
geltenden »Hohenzollernsche Blätter« (1867, zuvor »Wochenblatt«)<br />
in Hechingen und die ausgesprochen katholisch ausgerichtete »Hohenzollern'sehe<br />
Volkszeitung« (von 1868-74 »Donaubote«) in Sigmaringen.<br />
1872 gründete ein Kreis von Geistlichen einen »Pressverein«,<br />
der zum Jahresbeginn 1873 eine zweite katholische Zeitung<br />
in Hohenzollern herausgab, den Zoller. Michael Lehmann gab dazu<br />
eine Probenummer heraus und eine Anzeige in den »Hohenzollernschen<br />
Blättern«, in der er als Redakteur und Verleger auf 1.1.1873<br />
das Erscheinen des »Zoller« ankündigte, wöchentlich dreimal, zu 21<br />
Kreutzer die Ausgabe, als »consequentes und entschiedenes katholisch-politisches<br />
Volksblatt«, das vorhat, die Interessen der Katholiken<br />
mit Würde zu vertreten. Über diese rein hohenzollerischen<br />
Zeitungen hinaus war auch der in Oberndorf seit 1835 erscheinende<br />
»Schwarzwälder Bote« in ganz Hohenzollern häufig abonniert. Anfänglich<br />
liberal, später eher neutral-nationalliberal, bildete das Blatt<br />
in Hechingen und Haigerloch lange Zeit einen Gegenpol zu den beiden<br />
in Hechingen erscheinenden Zeitungen, die sich ständig befehdeten.<br />
Grund war der aufkommende Kulturkampf zu Beginn der 70er<br />
Jahre, der zu einem regelrechten Kleinkrieg zwischen dem regierungstreuen,<br />
liberalen Parteiorgan »Hohenzollernsche Blätter« und<br />
dem Zentrumsorgan »Zoller« führte. Insbesondere auch zwischen<br />
deren Chefredakteuren Ludwig Egler und Michael Lehmann, die<br />
gegenseitig noch über die Kulturkampfzeiten hinaus aufs Übelste<br />
polemisierten.<br />
Der Abonnentenstand des »Zoller« schnellte von anfangs 1000 auf<br />
knapp 1400 im Oktober 1873 empor. Im Juli 1874 verkündete der<br />
Zoller, dass er mit einer Auflage von knapp 1700 Exemplaren den<br />
weitesten Leserkreis aller Zeitungen in Hohenzollern habe. Der<br />
Zoller wurde anfangs von Romuald Sulger mit primitiver Ausrüstung<br />
in den unteren Räumen von Lehmanns Haus in der Firstgasse<br />
gedruckt. Alle Bewohner des Hauses hatten dabei zu helfen und<br />
mussten beispielsweise Lettern reinigen und Blätter salzen.<br />
Attentat auf Bismarck / Für die Zeitung mehrmals im<br />
Gefängnis<br />
Michael Lehmann war nach der Entlassung aus dem Schuldienst 1864<br />
in Hechingen weiterhin als Chorregent der Stiftskirche tätig, gab<br />
Musikunterricht, komponierte gelegentlich und schrieb christlich<br />
orientierte Bücher. Als Mitbegründer und erster Redakteur des Parteiorgans<br />
»Der Zoller« widmete sich der mittlerweile 45-jährige<br />
Lehmann ganz der katholischen Erneuerung und der Zentrumspartei.<br />
11<br />
Dies brachte ihm erhebliche Schwierigkeiten ein. Viele Geldstrafen<br />
und Gefängnisaufenthalte während des sogenannten Kulturkampfs<br />
waren die Folge. Schon im ersten Erscheinungsjahr ergingen drei<br />
Verurteilungen gegen den Zoller. Gleich bei der ersten, vom 8. März<br />
1873, wegen »Verächtlichmachung von Anordnungen der Obrigkeit<br />
durch Mittheilung entstellter Thatsachen« erkannte das Gericht auf<br />
14 Tage Gefängnis und Tragung der Kosten gegen Lehmann, sowie<br />
Vernichtung der Nummer 18 des »Zoller« vom 11. Februar. Die Ausgabe<br />
wurde bereits nach Erscheinen auf Antrag der königlichen Staatsanwaltschaft<br />
polizeilich konfisziert. Die zweite Strafe erging am 5.<br />
April wegen Ehrenbeleidigung des Abgeordneten Jung in Berlin mit<br />
20 Talern Geldstrafe. In der dritten Verurteilung, wegen eines Artikels<br />
in der Berliner »Germania«, vom »Zoller« am 18. September zitiert,<br />
lastete ihm das Gericht eine Geldstrafe von zwölf Talern auf, wegen<br />
»Beleidigung der Regierung in Sigmaringen«.<br />
Nach dem Artikel »Verschärfungen« vom 28. Juli 1874 erfolgte am<br />
10. Oktober eine Verurteilung zu sechs Wochen Gefängnis wegen<br />
»Amtsehrenbeleidigung des Reichskanzlers und Verächtlichmachung<br />
der preußischen Kirchengesetze durch öffentlich behauptete, wissentlich<br />
entstellte und erdichtete Thatsachen«. Lehmann hatte in dem<br />
Artikel bezweifelt und als undenkbar bezeichnet, dass Reichskanzler<br />
Bismarck in der Aufregung nach einem auf ihn verübten Attentatsversuch<br />
gesagt haben soll: »Die Kirchengesetze müssten dann noch verschärft<br />
werden!« Liberale Blätter hätten Fürst Otto von Bismarck den<br />
Ausspruch in den Mund gelegt. Die Gegner der Kirche hätten aus<br />
Rachsucht und Parteihass die höchste Staatsperson benutzt und in das<br />
Parteigezänke einbezogen, wie sie auch die »fluchwürdige That« in<br />
ihrer Denunziationswut gegen die Katholiken benutzt hätten. Gleichzeitig<br />
hatte der Redakteur die Kulturkampfgesetze scharf kritisiert<br />
und geschrieben, dass die Verfolgung der deutschen Katholiken bis<br />
zur Loslösung vom Papst gehen solle, damit »sie willenlos zu einer<br />
preußisch-deutschen Secte werden, deren Oberhaupt vielleicht in<br />
Berlin thronen soll [...] das ist das Endziel des Culturkampfes.«<br />
Der Attentatsversuch des Böttchergesellen Kullmann vom 13. Juli<br />
1874 in Bad Kissingen wurde zu einer »ultramontanen Verschwörung«,<br />
einem Komplott der streng päpstlich gesinnten Katholiken<br />
aufgebauscht. Ein zufällig zur Kur anwesender Pfarrer aus Bayern<br />
sollte die Pferde an Bismarcks Wagen aufgehalten und langsame<br />
Fahrt veranlasst haben, um das Attentat glücken zu lassen.<br />
Nach dem Anschlag schrieben einige Liberale in Gammertingen ein<br />
Glückwunschtelegramm an den Fürsten, das sie als »Die reichstreuen<br />
Gammertinger in Hohenzollern« unterzeichneten. An dem<br />
Telegramm hatte der Zoller bereits am 21. Juli Kritik geübt, indem<br />
er den Gammertinger Liberalen vorwarf, allein den reichstreuen Teil<br />
der Gammertinger Einwohnerschaft zu repräsentieren und damit<br />
kirchentreue Katholiken verdächtigen zu wollen. Zugleich erhob der<br />
»Zoller« heftige Vorwürfe: »Was haben denn die liberalen Schreier<br />
besonders für das Reich gethan? ...Ihr habt nicht mehr gethan als die<br />
pechschwarzen Ultramontanen, die ihr verlästert und verleumdet!<br />
Auf den Ultramontanen lastet nicht der kleinste Schatten der<br />
Reichsfeindschaft!« Dies brachte Lehmann im November 1874 eine<br />
Strafe von 30 Talern und dem Verfasser des Artikels, Kaplan Binder,<br />
eine Strafe von 25 Talern ein.