CITY GUIDE DORNBIRN RITUALE
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Text: Annette Raschner, Fotografie: Darko Todorovic<br />
EIN LEBEN FÜR DIE<br />
MUNDART<br />
Er ist durchaus ein leidenschaftlicher Dornbirner, der gerade aus der Distanz heraus die Eigenarten<br />
der DornbirnerInnen schätzen gelernt hat und dabei vor allem die der Dornbirner Mundart.<br />
Denn der 1937 in Dornbirn geborene Eugen Gabriel ist ein anerkannter Mundartforscher und<br />
Sprachwissenschaftler.<br />
Bekannt wurde er als Verfasser<br />
des VALTS, einem „Vorarlberger Sprachatlas<br />
mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein“,<br />
an dem er rund vier Jahrzehnte<br />
lang gearbeitet hat. Jetzt ist mit „Toarrabiiararisch“<br />
auch eine umfassende Dokumentation<br />
der Dornbirner Mundart in Buchund<br />
Hörbuchform bei unartproduktion erschienen.<br />
Wie ist ein Mensch, der ohne<br />
Rücksicht auf die eigene Gesundheit mit einer<br />
derartigen Akribie und Besessenheit an<br />
einem Projekt arbeitet?<br />
„Die einen fahren jedes Jahr in Urlaub,<br />
die anderen heiraten und zeugen Kinder,<br />
was ja an sich ganz natürlich ist. Aber ich<br />
forsche halt gerne.“ So nüchtern bringt<br />
Eugen Gabriel das, was er seit vielen Jahrzehnten<br />
unermüdlich und mit größtem Einsatz<br />
macht, auf den Punkt. Derweil hätte<br />
sein Vater, überzeugter Katholik und Stadtkämmerer<br />
in Dornbirn, viel lieber einen<br />
Pfarrer aus dem Sohn gemacht. Als er im<br />
Zweiten Weltkrieg hätte einrücken sollen,<br />
ließ er sich von einem befreundeten Arzt<br />
untauglich schreiben. „Mein Vater war ein<br />
Gegner des Nationalsozialismus. Auch der<br />
Arzt, für den dieses Schreiben ja auch sehr<br />
gefährlich war. Denn Dornbirn war damals<br />
voller Nazis.“<br />
Eugen Gabriel erinnert sich noch gut<br />
daran, wie das erste Lesebuch in der Volksschule<br />
Dornbirn-Oberdorf eine „einzige Reklame<br />
für Hitler“ war. Der kleine Eugen fällt<br />
weder als besonders guter noch als besonders<br />
schlechter Schüler auf. Hie und da besucht<br />
er ein Kino, vorausgesetzt der Religionslehrer<br />
befindet den Film, der gezeigt<br />
wird, für moralisch einwandfrei.<br />
Zu Fuß in den Bregenzerwald<br />
In der Bundesrealschule in Dornbirn beginnt<br />
die Begeisterung für das Fach Latein.<br />
„Ich hatte einen hervorragenden Lateinlehrer.<br />
Er war ein richtig zäher Wälder, der nebenbei<br />
auch noch Landwirt war. Wir sind oft<br />
zu Fuß zu ihm in den Bregenzerwald zum<br />
Heuen gegangen.“ Ab diesem Zeitpunkt<br />
weiß Eugen Gabriel, dass er Latein studieren<br />
wird. In Wien studiert Eugen Gabriel außerdem<br />
Germanistik. „Eigentlich wollte ich<br />
neben Latein noch Philosophie studieren,<br />
aber bei der Berufsberatung riet man mir ab.<br />
Da hätte ich zu wenig Lehrstunden.“ In Wien<br />
braucht der gebürtige Dornbirner recht lange,<br />
um sich zu akklimatisieren. Die Mentalität<br />
ist ihm fremd. „In meinem ersten Beisl<br />
hab ich mich an einen Tisch gesetzt und<br />
da kamen alle gleich her und fragten mich<br />
aus. Bei uns ist das anders. Da sitzt jeder<br />
an einem eigenen Tisch. Auch an die Kirche<br />
musste ich mich gewöhnen. Diese Bänke<br />
waren weder zum Knien noch zum Sitzen<br />
geeignet. Außerdem ging man danach nicht<br />
zum Frühschoppen, wie wir es daheim immer<br />
gemacht haben.“<br />
Zu den Menschen gehen<br />
1958 schließt Eugen Gabriel seine Dissertation<br />
zum Thema „Der Vokalismus der<br />
Mundarten von Dornbirn, Hohenems und<br />
Lustenau im Vorarlberger Rheintal“ ab.<br />
Kurz danach beginnt er sein Mammutprojekt<br />
„Vorarlberger Sprachatlas“. Als außergewöhnlicher<br />
Mundartforscher anerkannt<br />
wird er nicht zuletzt auch deshalb, weil er<br />
das tut, was seiner Ansicht nach viele andere<br />
Mundartforscher heute außer Acht<br />
lassen: zu den Menschen gehen. „Zunächst<br />
einmal braucht man eine gute Ausbildung<br />
in Sprachgeschichte. Althochdeutsch und<br />
Mittelhochdeutsch muss man intus haben.<br />
Ansonsten weiß man nicht, welche Fragen<br />
man stellen muss. Und dann darf man auf<br />
keinen Fall nur am Schreibtisch sitzen, wie<br />
das heute viele tun. Die sind offenbar zu<br />
faul, um ihren Sessel zu verlassen.“<br />
Für seinen VALTS hat Eugen Gabriel unzählige<br />
Orte in Vorarlberg und Liechtenstein<br />
bereist und sich im Schnitt jeweils eine Woche<br />
an einem Ort aufgehalten. Bei so viel<br />
Besessenheit bleibt wenig Zeit für Privates.<br />
„Es war mir klar, dass ich nicht gleich<br />
heiraten kann. Das hätte ich mir auch gar<br />
nicht leisten können. Mit 40 habe ich das<br />
aber dann doch gemacht. Meine Frau ist<br />
dann jung gestorben. In Wangen habe ich<br />
zum zweiten Mal geheiratet, eine polnische<br />
Opernsängerin.“<br />
Ich kam mir vor wie ein Entertainer<br />
1975 wird Eugen Gabriel zum Professor<br />
an der Universität Freiburg ernannt. Bereits<br />
mit 57 Jahren geht er in Frühpension, auch<br />
aus Resignation. „Die Studenten taten irgendwann<br />
nichts mehr. Ich kam mir vor wie<br />
ein Entertainer. Eine Zeitlang haben die sogar<br />
in den Vorlesungen gestrickt. Und die<br />
ganz progressiven Männerstudenten auch<br />
noch. Furchtbar!“<br />
Nach seiner Zeit in Deutschland lebt Eugen<br />
Gabriel seit zwei Jahren wieder in Dornbirn.<br />
„Ich mag die Menschen hier. Sie sind<br />
offen.“ Immer noch arbeitet er als Sprachwissenschaftler.<br />
Auf die Frage nach etwaigen<br />
Hobbys nennt Eugen Gabriel einzig und<br />
allein das Klavierspielen. Schubert ist sein<br />
Lieblingskomponist. „Aber manche Stücke<br />
waren mir immer zu schwierig. Die Sonaten<br />
von Mozart konnte ich alle spielen, auch die<br />
sind nicht so einfach, wie viele glauben.“<br />
Von der Literatur hat sich der studierte<br />
Germanist bereits verabschiedet. „Die neuen<br />
Romane gefallen mir alle nicht. Das letzte<br />
Buch, das mich begeistert hat, war Umberto<br />
Ecos Roman „Der Name der Rose“. Der war<br />
wenigstens so klug und hat einen Roman geschrieben,<br />
um einmal Geld zu verdienen. Ich<br />
zahl ja mit meiner Arbeit nur drauf.“<br />
Auch Gedichte hat der 72-Jährige geschrieben,<br />
davon vier in Dornbirner Mundart.<br />
In Hochdeutsch ist folgender Spruch<br />
von Eugen Gabriel überliefert, der viel über<br />
seine Lebensphilosophie aussagt: „Wer<br />
über sich nicht lachen kann, der ist ein eitler,<br />
armer Mann.“<br />
Toarrabiirarisch / Dornbirnerisch<br />
Eine Volksgrammatik der Dornbirner Mundart<br />
in Buch- und Hörbuchform auf 4 CD’s, verfasst<br />
und vorgetragen von Dr. Eugen Gabriel, mit<br />
Zwischenmusik von Georg Hering Marsal<br />
arrangiert von Rolf Aberer, ergänzt mit neun<br />
Mundart-Haiku’s von Günter Sohm und<br />
illustriert mit neun Porträts von Gottfried<br />
Bechtold. Erhätlich bei: www.unartproduktion.at<br />
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