CITY GUIDE DORNBIRN RITUALE
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Text: Johannes Inama, Fotografie: Günter König<br />
RITTERLICHE<br />
SPIELE<br />
Schlaraffia, die Vereinigung deutschsprachiger Männer, die sich der Pflege von Freundschaft,<br />
Kunst und Humor verschrieben hat, feiert im Jahr 2009 ihr 150-jähriges Jubiläum. Auch in<br />
Dornbirn treffen sich seit Jahrzehnten zwischen Oktober und April wöchentlich zahlreiche<br />
Männer, verwandeln sich für einen Abend in Knappen, Junker, Ritter und vergnügen sich in<br />
ihrem geistvollen Spiel.<br />
„Nein, mit dem märchenhaften<br />
Schlaraffenland, in dem alles im Überfluss<br />
vorhanden ist und alle Wünsche erfüllt werden,<br />
haben wir nichts zu tun,“ meint „Äs<br />
kan i o“ Armin Bell, auf die schon gewohnte<br />
Frage, „obwohl wir Schlaraffen alle Genießer<br />
sind und uns gerne an den angenehmen<br />
Dingen des Lebens erfreuen.“ Aber dieses<br />
ursprünglich als Parodie auf gebräuchliche<br />
Paradiesvorstellungen erdachte Land hat<br />
nur wenig zu tun mit der 1859 in Prag gegründeten<br />
Vereinigung.<br />
Armin Bell ist der Obmann für das<br />
Schlaraffische Konzil, das anlässlich des<br />
150-jährigen Bestehens der schlaraffischen<br />
Vereinigung im Herbst 2009 in Vorarlberg<br />
abgehalten wird. Die drei Vorarlberger<br />
„Reyche“ von Dornbirn, Bregenz und Feldkirch<br />
organisieren gemeinsam dieses große<br />
Ereignis. „Eine Ehre und eine große Herausforderung<br />
für uns“, meinen „Äs kan i o“ und<br />
„Strichpunkt“ unisono. „Äs kan i o bis ultimo“<br />
und „Strichpunkt zwischen Worten“ sind<br />
die vollständigen phantasievollen Übernamen<br />
von Armin Bell von der „Schlaraffia<br />
Dornbirna“ (im bürgerlichen Beruf managt<br />
er die Kulturbühne am Bach in Götzis) und<br />
Thomas Matt von der „Schlaraffia Castrum<br />
Brigantium“ (Redakteur bei den Vorarlberger<br />
Nachrichten).<br />
Weder Geheimbund noch Loge<br />
Schlaraffia ist weder Geheimbund noch<br />
Loge, weder Karnevalsgesellschaft noch<br />
Kunstverein, hat aber doch von allem ein<br />
bisschen. Der Freundschaftsbund wurde<br />
als ritterliches Spiel im Prager Vielvölkergemisch<br />
der Monarchie vor allem von<br />
Schauspielern erfunden – als liebenswerte<br />
Persiflage auf Amtsgewalt und Titelsucht.<br />
Das Wort „Schlaraffe“ stammt vom mittelhochdeutschen<br />
„Slur-Affe" und bedeutete<br />
damals „sorgloser Genießer", was heute im<br />
intellektuell-geistigen Sinne zu verstehen<br />
ist. „Eines ist sicher“, meinen „Äs kan i o“<br />
und „Strichpunkt“: „Wir Schlaraffen haben<br />
eindeutig eine höhere Lebenserwartung.“<br />
Der geistige Ausgleich, den die regelmäßigen<br />
Zusammenkünfte bieten, scheint tatsächlich<br />
gesundheitsfördernd zu wirken.<br />
„Die Zeremonien und Rituale ermöglichen<br />
es, vom Alltag abzuschalten, die Dinge zu<br />
verlangsamen und zu vergegenwärtigen –<br />
sozusagen als stundenweise Naherholung.“<br />
Die Schlaraffen treffen sich in der so<br />
genannten Winterung (Nordhalbkugel: 1.<br />
Oktober bis 30. April, Südhalbkugel: 1. April<br />
bis 30. Oktober) einmal pro Woche an<br />
einem festgelegten Wochentag in ihrer<br />
„Schlaraffenburg“, dem im Stil eines mittelalterlichen<br />
Rittersaales ausgestatteten<br />
Vereinslokal, zu ihren Sippungen. Diese Zusammenkünfte<br />
finden noch heute nach uralten,<br />
genauen Regeln statt. Man gibt sich<br />
phantasievolle Übernamen und trägt eine<br />
spezielle Kleidung in Form verschiedener<br />
Helme und einer „Rüstung“ in Form eines<br />
Umhangs für die Ritter ebenso wie hölzerne<br />
Schwerter, Dolche und Lanzen als unkriegerischen<br />
Spielschmuck.<br />
Schlaraffenlatein<br />
Während der Sippungen wird der Alltag<br />
persifliert und durch literarische oder musikalische<br />
Vorträge − Fechsungen genannt −<br />
mit künstlerischen oder parodistischen Einlagen<br />
unterhalten. Eine antiquierte Sprache<br />
mit eigenen Ausdrücken für alltägliche Dinge<br />
(Schlaraffenlatein) gibt den Sippungen ihre<br />
eigene, spielerische Note. „Erfrischend ist<br />
dabei vor allem das Wechselspiel von Rede<br />
und Gegenrede, das von Zeit zu Zeit wahre<br />
geistige Höhenflüge und erlebt. Dabei wird<br />
jedoch niemandem etwas aufgezwungen,<br />
das nicht seiner Art entspricht. Mit der Zeit<br />
entdecken alle ihre jeweiligen Qualitäten<br />
und bereichern die Zusammenkünfte auf<br />
eigene Art und Weise“, schwärmt „Strichpunkt“.<br />
Schlaraffischer Inbegriff von Weisheit,<br />
Humor und Tugend ist der Uhu, der in jeder<br />
Burg zu finden ist. Beim Betreten derselben<br />
grüßen die Schlaraffen ihn mit einer tiefen<br />
Verbeugung, was zugleich das Abstreifen<br />
„profaner Schlacken“ - also das Sich-ganz-<br />
Einlassen auf das schlaraffische Spiel -<br />
symbolisiert. Auch gehört eine besondere<br />
Zeitrechnung zum schlaraffischen Spiel:<br />
Im Gegensatz etwa zur Zeitrechnung nach<br />
christlichem Maßstab orientieren sich<br />
Schlaraffen am Gründungsjahr ihrer Vereinigung<br />
− demzufolge bezeichnen sie 2009<br />
als das Jahr a. U. („anno Uhui“) 150.<br />
Reyche und Colonien<br />
Schlaraffen gibt es überall auf der Welt.<br />
Derzeit existieren 261 „Reyche“ und „Colonien“<br />
(lokale Vereine) mit etwa 12 500 Mitgliedern.<br />
In Vorarlberg gibt es sie neben<br />
Dornbirn auch in Bregenz und Feldkirch. Nur<br />
eine kleine weiße Perle am Revers verrät die<br />
Schlaraffen in der profanen Welt, und das<br />
rund um den Globus. Verbindungen zu Geheimbünden,<br />
wie etwa den Freimaurern bestehen<br />
nicht, und auch von Service-Clubs,<br />
wie etwa dem Lions-Club oder den Rotariern<br />
grenzen sich Schlaraffen deutlich ab.<br />
Im Laufe der Naziherrschaft sowie später<br />
durch die sozialistische Regierung der DDR<br />
mussten viele „Reyche“ zwangsweise den<br />
Vereinsbetrieb einstellen und konnten nur<br />
in sehr vereinzelten Fällen durch geheime<br />
Treffen diese Zeiten überstehen.<br />
Das Schlaraffische Konzil 2009 in Vorarlberg<br />
8. – 11. Oktober 2009<br />
Die Vorarlberger Reyche (Dornbirn, Bregenz und<br />
Feldkirch) haben gemeinsam die Organisation<br />
dieses alle fünf Jahre stattfindenden weltweiten<br />
Treffens aller Reyche übernommen. Das diesjährige<br />
Treffen, das im Oktober unter dem Motto<br />
„Concil mit Herz“ unter anderem in Dornbirn<br />
und Götzis veranstaltet wird, ist gleichzeitig das<br />
150-jährige Jubiläum der Schlaraffen.<br />
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