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CITY GUIDE DORNBIRN RITUALE

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stachen aus den zahlreichen Ritzen und Spalten<br />

seines Mauerwerks Grashalme hervor – er<br />

wurde als Heustadel genutzt.<br />

81<br />

Plechazunga Ata<br />

Ein Ritualplatz, der für meine spätere Arbeit<br />

als Maler wichtig werden sollte, steht heute<br />

noch unter der Oberdorfer Kirche. Es ist das<br />

ehemalige Kaplanhaus, dessen Fenster, während<br />

meiner Kindheit und Jugend von Brettern<br />

verschlagen, keinen Blick ins Innere zuließen.<br />

Auch hier war ich so lange auf meine Phantasie<br />

verwiesen, bis sich die Gelegenheit bot, in diesem<br />

Raum meiner Vorstellung, der schließlich<br />

renoviert und in Teilen als Galerie der Öffentlichkeit<br />

zugänglich gemacht worden war, eine<br />

Ausstellung zu machen. Sie zeigte Gemälde von<br />

Plechazunga Ata, einer Kunstfigur, hinter der<br />

sich damals (ursprünglich waren wir zu dritt)<br />

meine nunmehr längst verstorbene Lebensgefährtin,<br />

die Künstlerin Andrea Mörth, und ich<br />

verbargen. Dieses virtuelle Künstler-Tamagotchi<br />

hatte einigen Erfolg, konnte aber den Tod<br />

seiner wichtigsten Schöpferin nicht überleben.<br />

Doch ist mir von dieser Ausstellung im Kaplanhaus<br />

der Wunsch geblieben (und mittlerweile<br />

zu einem Wesenszug meiner künstlerischen<br />

Tätigkeit geworden), meine Arbeiten nur noch in<br />

Räumen zu präsentieren, die für mich temporär<br />

rituelle Bedeutung gewinnen. Ein schönes Ritual<br />

gelang im großen Schüttkasten des Nexenhofs<br />

im Weinviertel, der in einer Silvesternacht<br />

durch die elektronische Verstärkung von<br />

Geräuschen stampfender Besucherfüße zum<br />

Klangkörper wurde. Oder vor kurzem auch im<br />

Bahnhof und Gemeinderatssaal von Andelsbuch,<br />

wo Be-sucher und Gemeindepolitiker als<br />

Teil einer rituellen Installation agierten (hoffentlich<br />

ohne es gemerkt zu haben).<br />

Dornbirn selbst huldigt seit rund zwanzig<br />

Jahren einem Großritual, dem der Boomtown.<br />

Rituale fordern von jenen, die daran beteiligt<br />

sind, einen gewissen Gleichklang, daher sind<br />

mir kleine, persönliche Rituale lieber, da zwinge<br />

ich mich nur selbst in einen Rahmen. Das Verschwinden<br />

der kleinen Ritualplätze meiner<br />

Kindheit im Stadtraum schafft zwar neue und<br />

größere Möglichkeiten für die Dornbirnerinnen<br />

und Dornbirner, bedeutet aber auch einen gewissen<br />

Verlust an Eigensinnigkeit, ihrer großen<br />

Tugend von alters her.<br />

Querschädel<br />

So muss ich denn ein Loblied auf den größten<br />

aller Querschädel dieser Stadt anstimmen,<br />

den Löwenwirt Ulmer aus dem Hatlerdorf. Er<br />

hat als Aufrührer und Anführer der Andächtler,<br />

einer erzkatholischen Widerstandsgruppe gegen<br />

die Josephinischen Reformen, 1791 den<br />

Austritt der Stadt aus dem Heiligen Römischen<br />

Reich Deutscher Nation verkündet (was ihm<br />

Bregenzer Häscher an den Hals und Haft bis<br />

zum Tod in Innsbruck eingetragen hat, aber ich<br />

will auf die Unbill, die Dornbirn durch diese<br />

Nachbarn erleiden musste, nicht weiter eingehen).<br />

Auch wenn Ulmers Ideologie jener der<br />

Französischen Revolution diametral widersprach,<br />

ist mir außer dem Löwenwirt keiner bekannt,<br />

der zu dieser Zeit Habsburg und seinem<br />

unterdrückerischen Regime den Finger gezeigt<br />

hätte. Lasst mich an dieser Stelle kurz verweilen,<br />

um dem wilden Hatler mit einem andächtigen<br />

Schluck Subiro die Ehre zu erweisen.<br />

In Ulmers Haus lebt übrigens heute ein weiblicher<br />

Nachfahr, die von mir sehr geschätzte<br />

und verehrte Rebellin Annemarie Spirk, Tochter<br />

vom Bäck Rick. Möge sie aus einer langen Kette<br />

von Hohepriestern des Eigensinns noch lang leben<br />

und in ihr und mit ihr und durch sie der Eigensinn<br />

in Dornbirn zu neuer Blüte gelangen.<br />

Nichts macht einen fern von Dornbirn Lebenden<br />

stolzer, als das Bewusstsein, dass in der<br />

Stadt der Kindheit die wichtigsten Ritualplätze<br />

erhalten bleiben, Herz und Hirn zur Feier torrenpyrschen<br />

Eigensinns.<br />

Christian Zillner ist Maler und Schreiber in Wien<br />

und im Falter Verlag für Corporate Publishing<br />

zuständig.

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