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Passion Genuss 03/2017 - passgen_3_2017_komplett_ohne_beschnitt.pdf

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GASTBEITRAG<br />

FROM NOSE TO TAIL –<br />

FROM LEAF TO ROOT<br />

Was im Deutschland der Nachkriegszeit noch gang und gäbe war, die<br />

Verwertung ganzer Schlachttiere, ist bei uns heute populäres Schlagwort.<br />

Unsere gastronomischen Nachbarn schütteln darüber den Kopf, schließlich<br />

gehört Nose to Tail in Italien oder Frankreich zum Standardprogramm.<br />

Text: Martin Maria Schwarz und Tanja Lang<br />

Eine Markthalle in Frankreich. Es ist egal, wo. Sie wird<br />

deutsche Genießer zuverlässig entzücken, wegen der<br />

schieren Überfülle des Angebots. Und sie wird diejenigen,<br />

die Fleischtheken genauer betrachten, genauso<br />

zuverlässig erschüttern. Da liegen Hahnenkämme,<br />

fein säuberlich drapiert, Hahnenfüße inklusive Krallen,<br />

Schweinsköpfe, Schweinsfüße, Gänseherzen, eingeschweißt<br />

im Sechserpack. Ein ganz kleines, tierisches<br />

Horrorkabinett – für die meisten Deutschen. Für die<br />

Franzosen der Normalfall guter Küche.<br />

Ein getötetes Tier ist ein Totalangebot, und es gibt<br />

nichts, kein Teil, kein Inneres, kein Äußeres, das guter<br />

Küche abträglich wäre. Franzosen muss man mit der<br />

Idee von Nose to Tail nicht kommen, abgesehen davon,<br />

dass sie sowieso einen eigenen Begriff dafür finden<br />

würden. Auch Italiener würden die Stirn runzeln. Nose<br />

to Tail? Warum einen Begriff kreieren für etwas, was in<br />

diesen Kulturen selbstverständlich ist? In Deutschland<br />

ist es das nicht, nicht mehr. Es war es durchaus, aber in<br />

der Nachkriegszeit. Ein Huhn, ein Schwein, ein Rind<br />

waren damals viel zu kostbar, um auch nur ein Gramm<br />

davon unverwertet zu lassen. Zunge, Hirn, Herz und<br />

Niere, Lunge, (Ochsen-)Schwanz, das war kein Abfall.<br />

Das stand auf der Speisekarte: „From Nose to Tail“ –<br />

„Von der Nase bis zum Schwanz“. Dieses heute so<br />

populäre Schlagwort tauchte vor knapp 20 Jahren das<br />

erste Mal auf, mit Fergus Henderson. Der Begriff<br />

scheint fest verankert mit seiner Person. Doch wer ist<br />

dieser Fergus Henderson, der als Urvater der Wiederentdeckung<br />

gilt? Ein Brite, Mitte 50, ein Star in seinem<br />

Heimatland, gelernter Koch und seit 2009 mit einem<br />

Stern gekrönt in seinem Londoner Restaurant St. John.<br />

1999 erschien sein Kochbuch Nose to Tail Eating, das für<br />

viel Aufsehen sorgte. Er verwertet so gut wie alle Teile<br />

des Tieres, außer Genitalien – die schätzt er nicht so<br />

besonders. Berühmt ist sein „Geröstetes Knochenmark“,<br />

überraschend sein Statement: „Was wir hier<br />

machen, ist delikat und feminin, nicht rau und hart.“<br />

Ein Satz, der schwer in Einklang zu bringen ist mit<br />

Gerichten wie „Hirn mit Rührei“, „Hautchips“, mit<br />

„Knochenmarksalat“ oder einem „Devonshire Pie“,<br />

bestehend aus Kartoffeln, Kutteln, Lunge, Milz und<br />

Stachelbeeren. Muss man nicht hartgesotten sein, um<br />

sich nicht von „Langsam geröstetem Lammkopf in<br />

Rosmarin“ schrecken zu lassen? Erzeugt es bei nicht<br />

wenigen Gästen ein Gefühl des Ekels, auf der Speisekarte<br />

von „Blutpudding mit roten Johannisbeeren und<br />

einer Rotweinsoße“ zu lesen?<br />

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PASSIONGENUSS 3.17

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