stahlmarkt 04.2012 (April)
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8 K<br />
SEITENBLICK<br />
Mehr Arbeit für<br />
Insolvenzgerichte<br />
Die Statistik vermittelt ein trügerisches Bild: Im vergangenen Jahr sind in<br />
Deutschland deutlich weniger Unternehmen in Zahlungsnöte geraten als<br />
2011. Gut 30.000 Insolvenzen bedeuten den drittniedrigsten Wert seit<br />
2001. Aber der Trend dreht sich, denn die Konjunktur kühlt sich ab. Die<br />
Großpleiten der jüngsten Vergangenheit lassen Schlimmes erahnen. Und<br />
dann sorgt noch eine Gesetzesänderung dafür, dass die Insolvenzgerichte<br />
möglicherweise bald mehr zu tun haben werden.<br />
WW K Die Zahl der großen und prominenten<br />
Unternehmen, die wegen Überschuldung<br />
oder Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anmelden<br />
mussten, hat in den vergangenen Mo -<br />
naten stark zugenommen. Im November<br />
erwischte es den Druckmaschinenhersteller<br />
manroland, kurz darauf die Solartechnikspezialisten<br />
Solon und Solar Millennium. Es<br />
folgte die Heitkamp Bauholding GmbH, und<br />
im Januar stürzte die Drogeriekette Schlecker.<br />
Sind das die Vorboten einer schlechteren<br />
Konjunktur? Droht eine neue Insolvenzwelle?<br />
Experten winken ab. Chris toph<br />
Niering beispielsweise, der Vorsitzende des<br />
Verbands der Insolvenzverwalter (VID), weist<br />
darauf hin, dass die Großpleiten der vergangenen<br />
Monate alle unterschiedliche branchen-<br />
oder unternehmensspezifische Ursachen<br />
hatten. Aus diesem Grund sei die Entwicklung<br />
keineswegs symptomatisch für<br />
andere Wirtschaftszweige, meint er. Auch<br />
Helmut Rödl, Vorstand der Wirtschaftsauskunftsfirma<br />
Creditreform, die das Insolvenzgeschehen<br />
intensiv beobachtet, ist sicher,<br />
dass die jüngsten Fälle keine Anzeichen für<br />
eine drohende Rezession sind. Allerdings<br />
wird die Zahl der Unternehmen, die in Zahlungsnöte<br />
geraten, nach seiner Einschätzung<br />
in diesem Jahr wieder leicht zunehmen.<br />
Im vergangenen Jahr hatten in Deutschland<br />
erstmals seit längerer Zeit deutlich weniger<br />
Unternehmen Insolvenz anmelden müssen.<br />
Creditreform registrierte 30.200 Fälle –<br />
das bedeutete einen Rückgang von 5,8 %<br />
gegenüber 2010. Damit steht Deutschland<br />
im europäischen Vergleich glänzend da. Nur<br />
Österreich und Dänemark meldeten für 2011<br />
einen noch stärkeren Rückgang bei den<br />
»<br />
Im<br />
vergangenen Jahr hatten<br />
in Deutschland erstmals seit<br />
längerer Zeit deutlich weniger<br />
Unternehmen Insolvenz<br />
anmelden müssen.<br />
Insolvenzen. Dagegen sorgte die prekäre<br />
Situation der Volkswirtschaften in Griechenland,<br />
Spanien, Portugal und auch Irland<br />
dafür, dass dort zuletzt deutlich mehr Unternehmen<br />
ins Straucheln gerieten.<br />
Für Deutschland erwartet Rödl in diesem<br />
Jahr etwa 32.000 Unternehmenszusammenbrüche,<br />
knapp 2.000 mehr als 2011. Das sei<br />
eine Folge der Konjunkturabkühlung.<br />
Außerdem zeigten sich viele Banken zunehmend<br />
kritisch bei der Kreditvergabe, was<br />
manche Firma in Not bringen könnte. Nach<br />
Einschätzung von Creditreform könnte insbesondere<br />
für Unternehmen des Transportgewerbes<br />
und der Bauwirtschaft sowie für<br />
einige Dienstleister die Luft dünn werden.<br />
Sorgen müssen sich meist kleine Betriebe<br />
machen. Etwa 80 % der Insolvenzverfahren<br />
betreffen Unternehmen, die höchstens fünf<br />
Mitarbeiter beschäftigen. Insgesamt sieht<br />
Rödl Deutschlands Unternehmen jedoch in<br />
einer deutlich stabileren Verfassung als zu<br />
Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008. Die<br />
Ertragskraft sei in vielen Fällen gut und die<br />
meisten Firmen verfügten heute über eine<br />
sehr viel bessere Ausstattung mit Eigenkapital.<br />
Bei vielen Mittelständlern, insbesondere<br />
aus der verarbeitenden Industrie, beträgt<br />
der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme<br />
mehr als 30 % – ein im internationalen<br />
Vergleich nur selten erreichter Wert.<br />
Gut möglich, dass die Insolvenzzahlen in<br />
den nächsten Wochen auch noch aus einem<br />
anderen Grund steigen, der mit der Konjunkturentwicklung<br />
nur mittelbar zu tun<br />
hat: der Reform des Insolvenzrechts. Die im<br />
März in Kraft getretene Novelle erleichtert<br />
insolventen Firmen die Sanierung sowie<br />
einen Neuanfang. Auch bietet sie Betroffenen<br />
größere Möglichkeiten, an der Sanierung<br />
mitzuarbeiten. Eine Sanierung in<br />
Eigenverwaltung – da bleibt das Management<br />
an Bord, arbeitet aber unter Aufsicht<br />
eines Insolvenzverwalters – ist nun deutlich<br />
leichter durchzuführen, als das früher der<br />
Fall war. Insolvenzexperten vermuten, dass<br />
manche Unternehmen, die sich in Zahlungsnöten<br />
befinden, gewartet haben, bis die<br />
Ge setzesänderung in Kraft tritt und erst<br />
jetzt zum Insolvenzgericht gehen. Somit<br />
könnte es unter Umständen schon bald zu<br />
deutlich mehr Insolvenzfällen kommen.<br />
Aber aus Sicht der Betroffenen ist das ein<br />
riskantes Spiel. Schließlich ist Insolvenzverschleppung<br />
kein Kavaliersdelikt.<br />
Mit der Novelle will der Gesetzgeber<br />
strauchelnden Firmen Anreize bieten, möglichst<br />
frühzeitig Insolvenz anzumelden.<br />
Denn die Aussichten auf eine Sanierung sind<br />
sehr viel größer, wenn der Unternehmer<br />
nicht bis zuletzt versucht, zu retten, was<br />
nicht mehr zu retten ist. ber (sm 120403553) K<br />
<strong>stahlmarkt</strong> <strong>04.2012</strong>