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2009-01

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Besuch bei der Siegener Tafel<br />

„Ein Stück Brot, ein Lächeln, ein offenes Ohr …“<br />

Sein Dach über dem Kopf ist der Himmel. Oft wolkenfrei,<br />

manchmal bedeckt und immer weit weg.<br />

Und das Zimmer, das muss er nehmen wie es gerade<br />

kommt. Es ist immer draußen. Zwischen Bäumen,<br />

zwischen Backstein, zwischen Sträuchern, zwischen Menschen,<br />

die vorübereilen. Menschen, die ihm nicht zunicken,<br />

aber heimlich ein Auge auf ihn richten, flüchtig, rasch<br />

vorüber … und weg.<br />

Beispielsweise Franz. 66 Jahre. Wettergegerbt. Mit<br />

Wohnsitz mal hier, mal dort. Das Leben hat ihm nicht viel<br />

von der Sonnenseite gezeigt. Aber Knüppel, das hat es<br />

ihm zwischen die Beine geworfen. So viele, dass man sie<br />

schichten kann. Und Franz weiß: „Wenn du mittellos bist,<br />

dann wirst du einsam. Dafür gibt es viele Gründe. Der<br />

wichtigste: Du ziehst dich von den Menschen zurück, weil<br />

du dich schämst. Du bist halt kein Normalfall mehr.“ Aus<br />

der Norm gepurzelt, gestrauchelt, aus der Bahn geworfen,<br />

Platte machen, es reicht vorne und hinten nicht, ausgespuckt<br />

von der Gesellschaft – arm! Und Franz weiß: Arm sein, das<br />

ist nicht nur ein Zustand, das ist ein Makel. Einmal in der<br />

Woche blüht Franz auf: „Immer dann, wenn ich zur Siegener<br />

Tafel gehe.“ Da verliert er die Scheu, oder wie Franz<br />

sagt: „Da bist du noch mal Mensch.“ Tatsächlich: Essen<br />

und Schicksale werden geteilt. Man kennt sich. Am großen<br />

Tisch der Siegener Tafel,<br />

da sind sie alle gleich. Es<br />

geht hier nicht nur darum,<br />

materielle Bedürfnisse zu<br />

befriedigen, sondern: Man<br />

kennt sich, spricht miteinander<br />

– das tut der Seele gut.<br />

Da macht keiner dem anderen<br />

etwas vor. Warum auch!<br />

Not sorgt für eine gewisse<br />

Gleichschaltung. Franz ist<br />

einer von rund 600 Bürgern,<br />

die an diesem Tag die<br />

Dienste der Tafel in Anspruch<br />

nehmen.<br />

Sybille Klein, Tafel-<br />

Franz: „Die Tafel ist ein<br />

Mitarbeiterin und zuständig<br />

Segen für die Betroffenen.“<br />

für Öffentlichkeitsarbeit:<br />

„Zu uns kann jeder kommen.<br />

Wir versorgen an der Ausgabestelle Weidenau wöchentlich<br />

über 3000 Menschen. Dazu zählen Sozialhilfeempfänger,<br />

Obdachlose, Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinderreiche,<br />

Asylbewerber Asylanten, Rentner und andere Bedürftige.<br />

Versorgt von uns werden auch soziale Einrichtungen. Beispielsweise<br />

Frauenhaus Alf (Alternative Lebensräume für<br />

Mütter und Kinder in Not), Übernachtungshäuser usw.“<br />

Über 100 ehrenamtliche Helfer der Tafel stehen an der Front<br />

im Kampf gegen die Not, im Kampf gegen den Hunger.<br />

Gesellschaft<br />

„Gott sei dank“, sagt Sybille Klein, „stiften über 90 Läden<br />

in der Hauptsache Lebensmittel.“ Und: „Großmärkte stellen<br />

an vier Wochentagen Waren für uns zusammen.“ Die Ehrenamtlichen<br />

spucken in die Hände. Da wird Knochenarbeit<br />

geleistet, in der Einrichtung Hammerwerk Nr. 1 (Weidenau)<br />

– ein stillgelegtes Betriebsgelände mit Gebäude dient heute<br />

der Tafel als Ausgabe- und Sammelstelle. Platz für ein<br />

kleines Büro (bei dem großen Verwaltungsaufwand muss<br />

das sein!). Dafür legt der Tafelvorstand jeden Monat 500<br />

Euro Miete auf den Tisch.<br />

Wie der Vorstand dem durchblick erläuterte, sind „etwa<br />

70 000 Euro übers Jahr notwendig, um alle anfallenden<br />

Kosten zu finanzieren“. In diesen erklecklichen Posten fallen<br />

u. a. die erwähnte Miete, Bürokosten, Strom und Heizung,<br />

Versicherungsbeiträge, Unterhaltung von drei Kühl-<br />

Transportfahrzeugen usw. All diese Kosten werden über<br />

Mitgliedsbeiträge und Spendengelder finanziert. Auf diese<br />

Zuwendungen ist die Tafel dringend angewiesen. So richteten<br />

die Verantwortlichen zum Jahreswechsel einen dringenden<br />

Appell an die Öffentlichkeit: „Bitte unterstützen Sie<br />

uns auch im kommenden Jahr, denn die verflixte Armut will<br />

kein Ende nehmen.“ Im Gegenteil: Es wird schlimmer. Die<br />

wirtschaftliche Entwicklung schaltete auch bei der Tafel<br />

die Alarmglocken auf Sturm! Wer der Tafel unterstützend<br />

unter die Arme greifen möchte, kann das (natürlich gegen<br />

Spendenquittung) tun. Hier die Bankverbindung: Sparkasse<br />

Siegen, Kontonummer: 3007<strong>01</strong>63, Bankleitzahl: 460 500 <strong>01</strong>.<br />

Die Siegener Tafel besteht seit zehn Jahren. Als 87. Tafel<br />

bundesweit wurde sie unter dem Krönchen gegründet. In<br />

der Republik bestehen heute über 800 Tafeln. Natürlich waren<br />

die Anfänge in Siegen bescheiden. Sybille Klein: „Am<br />

Anfang stand die Idee, Menschen zu helfen. Aber, was ist<br />

aus diesem kleinen Anfang alles entstanden!? Immer mehr<br />

Menschen stießen zu unserer Einrichtung. Menschen, die<br />

sich für unsere Idee begeisterten und zur Mitarbeit bereit<br />

waren. Lebensmittelhändler stellten Waren zur Verfügung,<br />

weitere Spender und Unterstützer aus der Stadt und dem<br />

Umland stellten sich in den Dienst unseres Projektes.“ Und<br />

heute? Sybille Klein sieht das so: „Ja, heute ist die Tafelarbeit<br />

mit 106 Ehrenamtlichen nicht mehr aus dem sozialen<br />

Gefüge unserer Stadt wegzudenken. Nicht nur, dass wir<br />

Menschen in Not Lebensmittel zur Verfügung stellen, sondern<br />

wir haben für viele Menschen einen Ort der Hoffnung<br />

geschaffen.“ Und genau das empfindet Franz, wenn er sagt:<br />

„Da werden Essen und Schicksale geteilt.“<br />

Zitat aus einer Veröffentlichung der Tafel:<br />

„Einem anderen geben, was er braucht.<br />

Ein Stück Brot, ein Lächeln, ein offenes Ohr.<br />

Jetzt – nicht irgendwann.“<br />

28 durchblick 1/<strong>2009</strong>

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