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Besuch bei der Siegener Tafel<br />
„Ein Stück Brot, ein Lächeln, ein offenes Ohr …“<br />
Sein Dach über dem Kopf ist der Himmel. Oft wolkenfrei,<br />
manchmal bedeckt und immer weit weg.<br />
Und das Zimmer, das muss er nehmen wie es gerade<br />
kommt. Es ist immer draußen. Zwischen Bäumen,<br />
zwischen Backstein, zwischen Sträuchern, zwischen Menschen,<br />
die vorübereilen. Menschen, die ihm nicht zunicken,<br />
aber heimlich ein Auge auf ihn richten, flüchtig, rasch<br />
vorüber … und weg.<br />
Beispielsweise Franz. 66 Jahre. Wettergegerbt. Mit<br />
Wohnsitz mal hier, mal dort. Das Leben hat ihm nicht viel<br />
von der Sonnenseite gezeigt. Aber Knüppel, das hat es<br />
ihm zwischen die Beine geworfen. So viele, dass man sie<br />
schichten kann. Und Franz weiß: „Wenn du mittellos bist,<br />
dann wirst du einsam. Dafür gibt es viele Gründe. Der<br />
wichtigste: Du ziehst dich von den Menschen zurück, weil<br />
du dich schämst. Du bist halt kein Normalfall mehr.“ Aus<br />
der Norm gepurzelt, gestrauchelt, aus der Bahn geworfen,<br />
Platte machen, es reicht vorne und hinten nicht, ausgespuckt<br />
von der Gesellschaft – arm! Und Franz weiß: Arm sein, das<br />
ist nicht nur ein Zustand, das ist ein Makel. Einmal in der<br />
Woche blüht Franz auf: „Immer dann, wenn ich zur Siegener<br />
Tafel gehe.“ Da verliert er die Scheu, oder wie Franz<br />
sagt: „Da bist du noch mal Mensch.“ Tatsächlich: Essen<br />
und Schicksale werden geteilt. Man kennt sich. Am großen<br />
Tisch der Siegener Tafel,<br />
da sind sie alle gleich. Es<br />
geht hier nicht nur darum,<br />
materielle Bedürfnisse zu<br />
befriedigen, sondern: Man<br />
kennt sich, spricht miteinander<br />
– das tut der Seele gut.<br />
Da macht keiner dem anderen<br />
etwas vor. Warum auch!<br />
Not sorgt für eine gewisse<br />
Gleichschaltung. Franz ist<br />
einer von rund 600 Bürgern,<br />
die an diesem Tag die<br />
Dienste der Tafel in Anspruch<br />
nehmen.<br />
Sybille Klein, Tafel-<br />
Franz: „Die Tafel ist ein<br />
Mitarbeiterin und zuständig<br />
Segen für die Betroffenen.“<br />
für Öffentlichkeitsarbeit:<br />
„Zu uns kann jeder kommen.<br />
Wir versorgen an der Ausgabestelle Weidenau wöchentlich<br />
über 3000 Menschen. Dazu zählen Sozialhilfeempfänger,<br />
Obdachlose, Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinderreiche,<br />
Asylbewerber Asylanten, Rentner und andere Bedürftige.<br />
Versorgt von uns werden auch soziale Einrichtungen. Beispielsweise<br />
Frauenhaus Alf (Alternative Lebensräume für<br />
Mütter und Kinder in Not), Übernachtungshäuser usw.“<br />
Über 100 ehrenamtliche Helfer der Tafel stehen an der Front<br />
im Kampf gegen die Not, im Kampf gegen den Hunger.<br />
Gesellschaft<br />
„Gott sei dank“, sagt Sybille Klein, „stiften über 90 Läden<br />
in der Hauptsache Lebensmittel.“ Und: „Großmärkte stellen<br />
an vier Wochentagen Waren für uns zusammen.“ Die Ehrenamtlichen<br />
spucken in die Hände. Da wird Knochenarbeit<br />
geleistet, in der Einrichtung Hammerwerk Nr. 1 (Weidenau)<br />
– ein stillgelegtes Betriebsgelände mit Gebäude dient heute<br />
der Tafel als Ausgabe- und Sammelstelle. Platz für ein<br />
kleines Büro (bei dem großen Verwaltungsaufwand muss<br />
das sein!). Dafür legt der Tafelvorstand jeden Monat 500<br />
Euro Miete auf den Tisch.<br />
Wie der Vorstand dem durchblick erläuterte, sind „etwa<br />
70 000 Euro übers Jahr notwendig, um alle anfallenden<br />
Kosten zu finanzieren“. In diesen erklecklichen Posten fallen<br />
u. a. die erwähnte Miete, Bürokosten, Strom und Heizung,<br />
Versicherungsbeiträge, Unterhaltung von drei Kühl-<br />
Transportfahrzeugen usw. All diese Kosten werden über<br />
Mitgliedsbeiträge und Spendengelder finanziert. Auf diese<br />
Zuwendungen ist die Tafel dringend angewiesen. So richteten<br />
die Verantwortlichen zum Jahreswechsel einen dringenden<br />
Appell an die Öffentlichkeit: „Bitte unterstützen Sie<br />
uns auch im kommenden Jahr, denn die verflixte Armut will<br />
kein Ende nehmen.“ Im Gegenteil: Es wird schlimmer. Die<br />
wirtschaftliche Entwicklung schaltete auch bei der Tafel<br />
die Alarmglocken auf Sturm! Wer der Tafel unterstützend<br />
unter die Arme greifen möchte, kann das (natürlich gegen<br />
Spendenquittung) tun. Hier die Bankverbindung: Sparkasse<br />
Siegen, Kontonummer: 3007<strong>01</strong>63, Bankleitzahl: 460 500 <strong>01</strong>.<br />
Die Siegener Tafel besteht seit zehn Jahren. Als 87. Tafel<br />
bundesweit wurde sie unter dem Krönchen gegründet. In<br />
der Republik bestehen heute über 800 Tafeln. Natürlich waren<br />
die Anfänge in Siegen bescheiden. Sybille Klein: „Am<br />
Anfang stand die Idee, Menschen zu helfen. Aber, was ist<br />
aus diesem kleinen Anfang alles entstanden!? Immer mehr<br />
Menschen stießen zu unserer Einrichtung. Menschen, die<br />
sich für unsere Idee begeisterten und zur Mitarbeit bereit<br />
waren. Lebensmittelhändler stellten Waren zur Verfügung,<br />
weitere Spender und Unterstützer aus der Stadt und dem<br />
Umland stellten sich in den Dienst unseres Projektes.“ Und<br />
heute? Sybille Klein sieht das so: „Ja, heute ist die Tafelarbeit<br />
mit 106 Ehrenamtlichen nicht mehr aus dem sozialen<br />
Gefüge unserer Stadt wegzudenken. Nicht nur, dass wir<br />
Menschen in Not Lebensmittel zur Verfügung stellen, sondern<br />
wir haben für viele Menschen einen Ort der Hoffnung<br />
geschaffen.“ Und genau das empfindet Franz, wenn er sagt:<br />
„Da werden Essen und Schicksale geteilt.“<br />
Zitat aus einer Veröffentlichung der Tafel:<br />
„Einem anderen geben, was er braucht.<br />
Ein Stück Brot, ein Lächeln, ein offenes Ohr.<br />
Jetzt – nicht irgendwann.“<br />
28 durchblick 1/<strong>2009</strong>