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2009-01

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Philosophischer Essay<br />

eine biologische Komponente? Gehört Religiosität, wie<br />

die Sprachfähigkeit, zur natürlichen Grundausstattung des<br />

Menschen und bietet aus evolutionärer Sicht gesehen einen<br />

Selektionsvorteil? Sowohl innerhalb der eigenen Spezies<br />

als auch gegenüber anderen Lebewesen? Immerhin wächst<br />

die Zahl von uns Menschen, der wir ein religiös veranlagtes<br />

Lebewesen sind, jedes Jahr um weitere 80 Millionen, während<br />

andere, unreligiöse Lebewesen wie die Tiere, nicht nur<br />

in vieler Hinsicht den Kürzeren ziehen, sondern auch aussterben.<br />

Hat aus dieser evolutionär-biologischen Perspektive<br />

heraus Religiosität eine genetische<br />

oder neurologische, also<br />

substanzielle Grundlage, die bis<br />

heute wissenschaftlich nur noch<br />

nicht bewiesen werden kann?<br />

Seit einigen Jahren bemühen<br />

sich Wissenschaftler unterschiedlicher<br />

Fachdisziplinen, unter ihnen<br />

Biologen, Genforscher, Neurologen,<br />

Soziologen und Psychologen,<br />

über alle Fachrichtungen hinweg,<br />

auf diese Frage eine gemeinsame<br />

Antwort zu finden. Aber bevor ich<br />

auf diese wissenschaftlichen Untersuchungen<br />

und Studien etwas<br />

näher eingehe, möchte ich zunächst<br />

einmal auf der Grundlage meiner<br />

alltäglichen Beobachtung ganz einfach<br />

und pragmatisch fragen:<br />

Welche Vorteile bietet Religion<br />

im alltäglichen Leben?<br />

Sind Sie der Frage nach der Notwendigkeit<br />

von Religion (auch in<br />

Ihrem persönlichen Leben) schon<br />

einmal ernsthaft nachgegangen?<br />

Sowohl naturwissenschaftlich<br />

als auch gesellschaftspolitisch?<br />

Braucht der Mensch, um auf<br />

dieser Erde (über) leben zu können,<br />

biologisch wie soziologisch<br />

überhaupt eine Religion? Ganz<br />

unabhängig davon, um welche<br />

Religion es sich dabei handelt?<br />

Ob um eine der drei sogenannten<br />

Wüstenreligionen Christentum,<br />

Judentum oder den Islam, um die<br />

zwei größten fernöstlichen Religionen,<br />

Buddhismus und Hinduismus, um eine Form der<br />

chinesischen Religion, Konfuzianismus bzw. Daoismus,<br />

oder eine der vielen alten Stammesreligionen wie die der<br />

Aborigines in Australien? Naturwissenschaftlich betrachtet<br />

braucht Leben, in welcher Form und Entwicklungsstufe<br />

es auch immer auf dieser Erde in Erscheinung tritt, ob als<br />

Pflanze, Tier oder auch als Mensch, keine Religion. Der<br />

beste Beweis dafür sind die Tiere an unserer Seite. Im Leben<br />

der Tiere gibt es keine Religion. Auch die uns biologisch<br />

am nächsten stehenden Menschenaffen, die Schimpansen,<br />

deren genetische Übereinstimmung mit uns Menschen bei<br />

über 98 Prozent liegt und die naturwissenschaftlich ausgedrückt<br />

unsere Vettern sind, kommen ohne Religion aus.<br />

Für Schimpansen stellt sich die Frage nach Religion überhaupt<br />

nicht und trotzdem leben sie schon seit vielen Millionen<br />

Jahren, viel länger als wir Menschen, erfolgreich<br />

auf dieser Erde. Und so ist es im ganzen Tierreich rund um<br />

den Globus. Leben ja, sofern die<br />

Lebensräume der Tiere durch den<br />

Menschen nicht zerstört werden,<br />

Religion nein. Das beweist doch,<br />

biologisch gesehen, Religion ist<br />

für das Überleben auf dieser Erde<br />

nicht erforderlich.<br />

Für den unbarmherzig tobenden<br />

Überlebenskampf in der<br />

Natur braucht es andere Voraussetzungen,<br />

wie Fitness, Vitalität,<br />

Kraft und Ausdauer. Eigenschaften,<br />

die ausschließlich dem<br />

Zweck zur Fortpflanzung der<br />

eigenen Art dienen. Nicht zu vergessen<br />

eine natürliche Intelligenz<br />

und mit ihr die Fähigkeit, sich<br />

veränderten Lebensbedingungen<br />

anzupassen. All diese Faktoren<br />

sichern das Überleben in der<br />

Natur, aber keine Religion.<br />

Wenn aber Religion biologisch<br />

nicht nötig ist, was hat<br />

die Evolution, was hat uns, den<br />

Homo sapiens, dann veranlasst<br />

(oder gar genötigt?), irgendwann<br />

und irgendwo in unserer langen<br />

Entwicklungsgeschichte trotzdem<br />

ein religiöses Wesen zu werden,<br />

ein Homo religiosus? Nur so aus<br />

Spaß, aus einer Laune heraus, oder<br />

war es Zufall? Was verbirgt sich<br />

hinter dem natürlichen Bedürfnis<br />

des Menschen nach Religiosität,<br />

wenn biologisch kein Überlebensvorteil<br />

zu erkennen ist? Wo liegt<br />

ihr Nutzen?<br />

Und wie sieht es soziologisch<br />

aus? Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen. Er braucht<br />

die Gemeinschaft mit anderen, um überleben zu können.<br />

Insbesondere der moderne Mensch von heute kann, aufgrund<br />

der Komplexität und Verwobenheit der Lebensbedingungen,<br />

nur noch in größeren politischen und wirtschaftlichen<br />

Gesellschaften existieren. Aber, so ist auch hier zu<br />

fragen, welchen sozialen Lebensvorteil bietet ihm <br />

durchblick 1/<strong>2009</strong> 51

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