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Philosophischer Essay<br />
eine biologische Komponente? Gehört Religiosität, wie<br />
die Sprachfähigkeit, zur natürlichen Grundausstattung des<br />
Menschen und bietet aus evolutionärer Sicht gesehen einen<br />
Selektionsvorteil? Sowohl innerhalb der eigenen Spezies<br />
als auch gegenüber anderen Lebewesen? Immerhin wächst<br />
die Zahl von uns Menschen, der wir ein religiös veranlagtes<br />
Lebewesen sind, jedes Jahr um weitere 80 Millionen, während<br />
andere, unreligiöse Lebewesen wie die Tiere, nicht nur<br />
in vieler Hinsicht den Kürzeren ziehen, sondern auch aussterben.<br />
Hat aus dieser evolutionär-biologischen Perspektive<br />
heraus Religiosität eine genetische<br />
oder neurologische, also<br />
substanzielle Grundlage, die bis<br />
heute wissenschaftlich nur noch<br />
nicht bewiesen werden kann?<br />
Seit einigen Jahren bemühen<br />
sich Wissenschaftler unterschiedlicher<br />
Fachdisziplinen, unter ihnen<br />
Biologen, Genforscher, Neurologen,<br />
Soziologen und Psychologen,<br />
über alle Fachrichtungen hinweg,<br />
auf diese Frage eine gemeinsame<br />
Antwort zu finden. Aber bevor ich<br />
auf diese wissenschaftlichen Untersuchungen<br />
und Studien etwas<br />
näher eingehe, möchte ich zunächst<br />
einmal auf der Grundlage meiner<br />
alltäglichen Beobachtung ganz einfach<br />
und pragmatisch fragen:<br />
Welche Vorteile bietet Religion<br />
im alltäglichen Leben?<br />
Sind Sie der Frage nach der Notwendigkeit<br />
von Religion (auch in<br />
Ihrem persönlichen Leben) schon<br />
einmal ernsthaft nachgegangen?<br />
Sowohl naturwissenschaftlich<br />
als auch gesellschaftspolitisch?<br />
Braucht der Mensch, um auf<br />
dieser Erde (über) leben zu können,<br />
biologisch wie soziologisch<br />
überhaupt eine Religion? Ganz<br />
unabhängig davon, um welche<br />
Religion es sich dabei handelt?<br />
Ob um eine der drei sogenannten<br />
Wüstenreligionen Christentum,<br />
Judentum oder den Islam, um die<br />
zwei größten fernöstlichen Religionen,<br />
Buddhismus und Hinduismus, um eine Form der<br />
chinesischen Religion, Konfuzianismus bzw. Daoismus,<br />
oder eine der vielen alten Stammesreligionen wie die der<br />
Aborigines in Australien? Naturwissenschaftlich betrachtet<br />
braucht Leben, in welcher Form und Entwicklungsstufe<br />
es auch immer auf dieser Erde in Erscheinung tritt, ob als<br />
Pflanze, Tier oder auch als Mensch, keine Religion. Der<br />
beste Beweis dafür sind die Tiere an unserer Seite. Im Leben<br />
der Tiere gibt es keine Religion. Auch die uns biologisch<br />
am nächsten stehenden Menschenaffen, die Schimpansen,<br />
deren genetische Übereinstimmung mit uns Menschen bei<br />
über 98 Prozent liegt und die naturwissenschaftlich ausgedrückt<br />
unsere Vettern sind, kommen ohne Religion aus.<br />
Für Schimpansen stellt sich die Frage nach Religion überhaupt<br />
nicht und trotzdem leben sie schon seit vielen Millionen<br />
Jahren, viel länger als wir Menschen, erfolgreich<br />
auf dieser Erde. Und so ist es im ganzen Tierreich rund um<br />
den Globus. Leben ja, sofern die<br />
Lebensräume der Tiere durch den<br />
Menschen nicht zerstört werden,<br />
Religion nein. Das beweist doch,<br />
biologisch gesehen, Religion ist<br />
für das Überleben auf dieser Erde<br />
nicht erforderlich.<br />
Für den unbarmherzig tobenden<br />
Überlebenskampf in der<br />
Natur braucht es andere Voraussetzungen,<br />
wie Fitness, Vitalität,<br />
Kraft und Ausdauer. Eigenschaften,<br />
die ausschließlich dem<br />
Zweck zur Fortpflanzung der<br />
eigenen Art dienen. Nicht zu vergessen<br />
eine natürliche Intelligenz<br />
und mit ihr die Fähigkeit, sich<br />
veränderten Lebensbedingungen<br />
anzupassen. All diese Faktoren<br />
sichern das Überleben in der<br />
Natur, aber keine Religion.<br />
Wenn aber Religion biologisch<br />
nicht nötig ist, was hat<br />
die Evolution, was hat uns, den<br />
Homo sapiens, dann veranlasst<br />
(oder gar genötigt?), irgendwann<br />
und irgendwo in unserer langen<br />
Entwicklungsgeschichte trotzdem<br />
ein religiöses Wesen zu werden,<br />
ein Homo religiosus? Nur so aus<br />
Spaß, aus einer Laune heraus, oder<br />
war es Zufall? Was verbirgt sich<br />
hinter dem natürlichen Bedürfnis<br />
des Menschen nach Religiosität,<br />
wenn biologisch kein Überlebensvorteil<br />
zu erkennen ist? Wo liegt<br />
ihr Nutzen?<br />
Und wie sieht es soziologisch<br />
aus? Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen. Er braucht<br />
die Gemeinschaft mit anderen, um überleben zu können.<br />
Insbesondere der moderne Mensch von heute kann, aufgrund<br />
der Komplexität und Verwobenheit der Lebensbedingungen,<br />
nur noch in größeren politischen und wirtschaftlichen<br />
Gesellschaften existieren. Aber, so ist auch hier zu<br />
fragen, welchen sozialen Lebensvorteil bietet ihm <br />
durchblick 1/<strong>2009</strong> 51