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2009-01

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Die persönliche Religiosität<br />

Bei ihr sollte unterschieden werden zwischen einer glaubensorientierten<br />

und einer offenen Religiosität. Beide Formen<br />

sind in ihrer religiösen Ausstattung und Ausrichtung<br />

zwar sehr unterschiedlich, haben aber einen wesentlichen<br />

Punkt gemeinsam: in beiden Fällen findet Religiosität zuerst<br />

und wesentlich im Innern des einzelnen Menschen statt, sozusagen<br />

ein innerer ganz persönlicher Orientierungsprozess,<br />

bei dem der ganze Mensch erfasst wird. Bei der glaubensorientierten<br />

Religiosität steht das Bemühen im Mittelpunkt,<br />

die Werte des Glaubens in das tägliche Leben zu übertragen,<br />

d. h. sie in allen Situationen des Lebens zu praktizieren,<br />

auch dann – und dies ist im Gegensatz zur institutionellen<br />

Religiosität wichtig zu unterscheiden –, wenn damit persönliche<br />

Nachteile verbunden sind. Der Glaube ist Lebensinhalt<br />

und bestimmt die Lebensform. Nicht im Leben glauben,<br />

sondern den Glauben leben ist das Ziel. Ein großer Unterschied,<br />

denn hier sind alle Lebensbereiche des Menschen<br />

betroffen. Ordensleute, Missionare und Menschen, die aus<br />

ihrer Glaubensüberzeugung heraus ein karges Klosterleben<br />

einem normalen bürgerlichen Leben vorziehen, leben aus<br />

dem Glauben heraus. Sie folgen unerschütterlich ihrer eigenen<br />

inneren Stimme und Berufung, auch wenn ihr Glaubensweg,<br />

der auch ihr Lebensweg ist, nicht immer leicht und von<br />

Zeit zu Zeit mit Selbstzweifeln behaftet ist. Problematisch<br />

kann es allerdings für diese Menschen dann werden, wenn<br />

ihre persönliche Glaubensüberzeugung, auf der Basis ihrer<br />

eigenen, inneren Gotteserfahrung und das damit verbundene<br />

Gottesbild, sowie ihre Weltanschauung mit den offiziellen<br />

Lehren der Kirche nicht (mehr) übereinstimmen. Nicht selten<br />

wurden sie der Häresie (Ketzerei) beschuldigt und in der<br />

Vergangenheit verfolgt oder gar getötet. Mönche wie Martin<br />

Luther, der Mystiker Meister Eckart und Giordano Bruno, um<br />

nur diese drei zu nennen, sind bekannte Beispiele. In unserer<br />

Zeit sind so anerkannte Theologen wie Eugen Drewermann,<br />

Hans Küng, Rupert Lay oder auch Williges Jäger zu nennen,<br />

denen von der Katholischen Kirche bzw. von ihren Orden<br />

die offizielle Lehrbefugnis entzogen wurde und sicherlich<br />

gibt es noch viele weitere Beispiele. Wie differenziert und<br />

unterschiedlich der Einzelfall auch immer sein mag, der Weg<br />

einer innerlich erlebten und äußerlich gelebten, glaubensorientierten<br />

Religiosität führt, auch ohne institutionelle Amtshilfe<br />

der Kirche, über Meditation und Kontemplation hin zur<br />

Spiritualität und Mystik. In ihr lag und liegt der Humus für<br />

Heilige und Märtyrer, ja sogar für die großen Religionsstifter<br />

wie Moses, Mohammed, Jesus oder auch Buddha, denn<br />

auch sie lehrten und lebten ihren Glauben auf der Grundlage<br />

einer innerlich unerschütterlichen Glaubensüberzeugung,<br />

verbunden mit einer eigenen tiefen Gotteserfahrung. So gesehen<br />

liegen die Wurzeln aller großen Weltreligionen nicht in<br />

einer Kirche, Synagoge, Moschee oder einem Tempel, sondern<br />

in der persönlichen Religiosität eines einzelnen Menschen.<br />

Eine, wie ich finde, bedenkenswerte Feststellung.<br />

Ganz anders bei der offenen Religiosität. Sie ist eine<br />

suchende und fragende Religiosität. Bei ihr steht nicht Gott<br />

oder der Glaube im Mittelpunkt, sondern der Mensch mit<br />

seiner geistig-seelischen Befindlichkeit. Zu ihr hat jeder<br />

Mensch Zutritt, sie ist frei, unabhängig und religionsneutral.<br />

Ein besonderes Kennzeichen von ihr ist die selbstkritische<br />

Hinterfragung und die immer wieder aufkommenden<br />

Zweifel an endgültigen und vorgegebenen Antworten. Ihr<br />

Motto könnte lauten: „Glaube dem, der auf der Suche nach<br />

der Wahrheit ist, aber misstraue jedem, der meint sie gefunden<br />

zu haben“.<br />

Bei dieser Form der Religiosität stellt sich der Mensch,<br />

ohne Dogmatismus und Orthodoxie, dem Kern seiner eigenen<br />

Existenz mit all seinen Zweifeln und Ängsten. Dabei<br />

versucht er Antworten zu finden auf die Fragen nach dem<br />

Woher und Wohin seines Lebens, insbesondere nach dem<br />

Sinn seiner Person. Er weiß um seine körperliche und geistig-seelische<br />

Verletzbarkeit, und in der Erkenntnis seiner<br />

Vergänglichkeit, d.h. in der Gewissheit seines persönlichen<br />

Todes, sucht er inneren Halt und Orientierung. Bei dieser<br />

Suche macht er sich auf den Weg, hin zur eigenen Mitte,<br />

denn er spürt, dass das Göttliche, wie und was es auch immer<br />

sein mag, nicht in der Kirche, sondern nur in ihm selbst<br />

verborgen und zu finden ist. Dabei denkt und glaubt er nicht<br />

von Gott her, sondern zu Gott hin. Ein wesentlicher Unterschied.<br />

Warum? Im ersten Fall macht sich der Mensch ein<br />

Bild von Gott, z. B. das Bild einer Vaterfigur. Er glaubt nicht<br />

nur zu wissen, wer Gott ist, sondern er maßt sich auch an zu<br />

wissen, was Gott will, d.h., er denkt von Gott her. Im <br />

durchblick 1/<strong>2009</strong> 55

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