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Die persönliche Religiosität<br />
Bei ihr sollte unterschieden werden zwischen einer glaubensorientierten<br />
und einer offenen Religiosität. Beide Formen<br />
sind in ihrer religiösen Ausstattung und Ausrichtung<br />
zwar sehr unterschiedlich, haben aber einen wesentlichen<br />
Punkt gemeinsam: in beiden Fällen findet Religiosität zuerst<br />
und wesentlich im Innern des einzelnen Menschen statt, sozusagen<br />
ein innerer ganz persönlicher Orientierungsprozess,<br />
bei dem der ganze Mensch erfasst wird. Bei der glaubensorientierten<br />
Religiosität steht das Bemühen im Mittelpunkt,<br />
die Werte des Glaubens in das tägliche Leben zu übertragen,<br />
d. h. sie in allen Situationen des Lebens zu praktizieren,<br />
auch dann – und dies ist im Gegensatz zur institutionellen<br />
Religiosität wichtig zu unterscheiden –, wenn damit persönliche<br />
Nachteile verbunden sind. Der Glaube ist Lebensinhalt<br />
und bestimmt die Lebensform. Nicht im Leben glauben,<br />
sondern den Glauben leben ist das Ziel. Ein großer Unterschied,<br />
denn hier sind alle Lebensbereiche des Menschen<br />
betroffen. Ordensleute, Missionare und Menschen, die aus<br />
ihrer Glaubensüberzeugung heraus ein karges Klosterleben<br />
einem normalen bürgerlichen Leben vorziehen, leben aus<br />
dem Glauben heraus. Sie folgen unerschütterlich ihrer eigenen<br />
inneren Stimme und Berufung, auch wenn ihr Glaubensweg,<br />
der auch ihr Lebensweg ist, nicht immer leicht und von<br />
Zeit zu Zeit mit Selbstzweifeln behaftet ist. Problematisch<br />
kann es allerdings für diese Menschen dann werden, wenn<br />
ihre persönliche Glaubensüberzeugung, auf der Basis ihrer<br />
eigenen, inneren Gotteserfahrung und das damit verbundene<br />
Gottesbild, sowie ihre Weltanschauung mit den offiziellen<br />
Lehren der Kirche nicht (mehr) übereinstimmen. Nicht selten<br />
wurden sie der Häresie (Ketzerei) beschuldigt und in der<br />
Vergangenheit verfolgt oder gar getötet. Mönche wie Martin<br />
Luther, der Mystiker Meister Eckart und Giordano Bruno, um<br />
nur diese drei zu nennen, sind bekannte Beispiele. In unserer<br />
Zeit sind so anerkannte Theologen wie Eugen Drewermann,<br />
Hans Küng, Rupert Lay oder auch Williges Jäger zu nennen,<br />
denen von der Katholischen Kirche bzw. von ihren Orden<br />
die offizielle Lehrbefugnis entzogen wurde und sicherlich<br />
gibt es noch viele weitere Beispiele. Wie differenziert und<br />
unterschiedlich der Einzelfall auch immer sein mag, der Weg<br />
einer innerlich erlebten und äußerlich gelebten, glaubensorientierten<br />
Religiosität führt, auch ohne institutionelle Amtshilfe<br />
der Kirche, über Meditation und Kontemplation hin zur<br />
Spiritualität und Mystik. In ihr lag und liegt der Humus für<br />
Heilige und Märtyrer, ja sogar für die großen Religionsstifter<br />
wie Moses, Mohammed, Jesus oder auch Buddha, denn<br />
auch sie lehrten und lebten ihren Glauben auf der Grundlage<br />
einer innerlich unerschütterlichen Glaubensüberzeugung,<br />
verbunden mit einer eigenen tiefen Gotteserfahrung. So gesehen<br />
liegen die Wurzeln aller großen Weltreligionen nicht in<br />
einer Kirche, Synagoge, Moschee oder einem Tempel, sondern<br />
in der persönlichen Religiosität eines einzelnen Menschen.<br />
Eine, wie ich finde, bedenkenswerte Feststellung.<br />
Ganz anders bei der offenen Religiosität. Sie ist eine<br />
suchende und fragende Religiosität. Bei ihr steht nicht Gott<br />
oder der Glaube im Mittelpunkt, sondern der Mensch mit<br />
seiner geistig-seelischen Befindlichkeit. Zu ihr hat jeder<br />
Mensch Zutritt, sie ist frei, unabhängig und religionsneutral.<br />
Ein besonderes Kennzeichen von ihr ist die selbstkritische<br />
Hinterfragung und die immer wieder aufkommenden<br />
Zweifel an endgültigen und vorgegebenen Antworten. Ihr<br />
Motto könnte lauten: „Glaube dem, der auf der Suche nach<br />
der Wahrheit ist, aber misstraue jedem, der meint sie gefunden<br />
zu haben“.<br />
Bei dieser Form der Religiosität stellt sich der Mensch,<br />
ohne Dogmatismus und Orthodoxie, dem Kern seiner eigenen<br />
Existenz mit all seinen Zweifeln und Ängsten. Dabei<br />
versucht er Antworten zu finden auf die Fragen nach dem<br />
Woher und Wohin seines Lebens, insbesondere nach dem<br />
Sinn seiner Person. Er weiß um seine körperliche und geistig-seelische<br />
Verletzbarkeit, und in der Erkenntnis seiner<br />
Vergänglichkeit, d.h. in der Gewissheit seines persönlichen<br />
Todes, sucht er inneren Halt und Orientierung. Bei dieser<br />
Suche macht er sich auf den Weg, hin zur eigenen Mitte,<br />
denn er spürt, dass das Göttliche, wie und was es auch immer<br />
sein mag, nicht in der Kirche, sondern nur in ihm selbst<br />
verborgen und zu finden ist. Dabei denkt und glaubt er nicht<br />
von Gott her, sondern zu Gott hin. Ein wesentlicher Unterschied.<br />
Warum? Im ersten Fall macht sich der Mensch ein<br />
Bild von Gott, z. B. das Bild einer Vaterfigur. Er glaubt nicht<br />
nur zu wissen, wer Gott ist, sondern er maßt sich auch an zu<br />
wissen, was Gott will, d.h., er denkt von Gott her. Im <br />
durchblick 1/<strong>2009</strong> 55