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Philosophischer Essay<br />
Gegensatz dazu macht sich der Mensch im zweiten Fall<br />
kein Bild von Gott („Ihr sollt euch kein Bild machen“, Altes<br />
Testament Ex 20,1-5) und kennt auch nicht seine Absichten.<br />
Er hat nichts anderes als ein hoffendes Vertrauen auf ein<br />
bedingungsloses Angenommenwerden und die Geborgenheit<br />
in einem absoluten Gegenüber, nämlich in Gott. Das<br />
Einzige, was er über Gott zu wissen glaubt, ist, dass er ihn,<br />
seinem menschlichen Bedürfnis nach Nähe und Wärme folgend,<br />
mit DU anreden darf. (Auf das fährlässige Sprechen<br />
von Gott, das dazu führen kann, dass Menschen, weil sie<br />
über das Wort verfügen, meinen, auch über Gott verfügen<br />
zu können 4) , kann ich hier nur hinweisen.) Obwohl beide<br />
Arten der persönlichen Religiosität in ihren Ausgangspositionen<br />
sehr unterschiedlich sind, die eine mit und die andere<br />
ohne festen Glaubensinhalt, haben sie etwas Wichtiges gemeinsam:<br />
bei beiden verläuft, um den amerikanischen Psychologen<br />
und Philosophen Williams James (1842–1910) zu<br />
zitieren, „die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen<br />
direkt von Herz zu Herz, von Seele zu Seele“. 3)<br />
Halten wir auch hier fest: Religiosität ist nicht gleich Religiosität<br />
und religiös sein bedeutet nicht gleichzeitig, auch<br />
christlich-kirchlich gläubig zu sein. Hermann Hesse, der<br />
große deutsche Dichter und Nobelpreisträger (1877–1962),<br />
hat dies für sich so zum Ausdruck gebracht: „Ich habe nie<br />
ohne Religion (Religiosität, d. V.) gelebt und könnte keinen<br />
Tag ohne sie leben, aber ich bin mein Leben lang ohne<br />
Kirche ausgekommen“. (Hermann Hesse, Mein Glaube,<br />
Frankfurt 1987, S. 62). Diese Aussage von Hermann Hesse<br />
möchte ich aufnehmen, denn in meinen nachfolgenden<br />
Gedanken binde ich Religiosität nicht an eine Kirche, sondern<br />
sehe in ihr das natürliche Bedürfnis des Menschen,<br />
seinem Leben einen tiefgründigen und über den Tod hinausgehenden<br />
Sinn und Halt zu geben. Ob dabei das Christentum,<br />
insbesondere aber Jesus, der Mann aus Nazareth,<br />
Hilfestellung und Orientierungspunkte geben kann – ich<br />
denke dabei an die Bergpredigt (Mt. 5-7) –, steht auf einem<br />
völlig anderen Blatt. Und das Religiosität darüber hinaus<br />
viel mit unserem täglichen Leben zu tun hat, welche Verbindungen<br />
zu anderen Lebensbereichen bestehen, welchen<br />
Einfluss sie haben kann und überhaupt wozu Religiosität<br />
eigentlich gut ist, werden wir noch sehen, aber …<br />
… jetzt, wo es erst richtig spannend und interessant<br />
wird, muss ich feststellen, dass ich das Limit meiner Seitenzahl<br />
im durchblick schon (wieder mal) erreicht habe, ohne<br />
das Thema und die Fragestellung hinreichend behandelt zu<br />
haben. Deshalb muss ich hier leider unterbrechen und den<br />
interessierten Leser und die interessierte Leserin auf die<br />
Fortsetzung meines Beitrages in der nächsten Ausgabe des<br />
durchblick hinweisen, der Anfang Juni erscheinen wird.<br />
Damit Ihnen das Thema bis dahin aber nicht abhandenkommt<br />
und falls Sie daran interessiert sind zu erfahren, wie<br />
Ihr ganz persönliches Religiositätsprofil aussieht, empfehle<br />
ich Ihnen in der Zwischenzeit die Teilnahme an einer Online-Umfrage<br />
der Bertelsmann-Stiftung. Dort ist Ihre ganz<br />
persönliche Religiosität gefragt. Die Umfrage ist vollständig<br />
anonym, d. h. ohne irgendwelche Personenangaben und<br />
gilt ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken. Am Ende<br />
der Umfrage können Sie, gewissermaßen als Belohnung<br />
für die Beantwortung der vielen Fragen, kostenlos Ihr ganz<br />
persönliches Religiositätsprofil erstellen lassen. Ich habe<br />
es getan und kann Sie nur ermuntern, es ebenfalls zu tun.<br />
Unter www.religionsmonitor.com erfahren Sie mehr. Falls<br />
Sie interessiert sind, aber keinen PC mit Internetanschluss<br />
haben, kommen Sie ins Haus Herbstzeitlos; im Senecafé<br />
von ALTERAktiv haben Sie Gelegenheit, Ihr Religiositätsprofil<br />
zu erstellen. Die Öffnungszeiten können Sie telefonisch<br />
erfahren.<br />
Schließen möchte ich diesen ersten Teil mit einer Aussage<br />
des deutschen Kulturphilosophen und Dichters Friedrich<br />
v. Schlegel (1772–1829):<br />
„Religiosität ist die Wurzel des menschlichen Daseins,<br />
lasst sie frei, und es wird eine neue Menschheit geben.“<br />
Bis zur nächsten Ausgabe wünsche ich Ihnen eine farbenfrohe<br />
Frühlingszeit mit viel Sonne, in der Natur und in<br />
Ihren Herzen.<br />
Eberhard Freundt<br />
1) Michael Blume, Rüdiger Vaas, in: Gott, Gene und Gehirn (Hirzel-Verlag)<br />
2) Ulrich Schnabel, in: Die Vermessung des Glaubens (Karl Blessing Verlag)<br />
3) William James, in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung (Insel Taschenbuch)<br />
4) Rupert Lay, in: Nachkirchliches Christentum (Econ-Verlag)<br />
taupadel<br />
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56 durchblick 1/<strong>2009</strong>