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2009-01

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Wozu Religion?<br />

Gedanken über die Frage: Wozu braucht der Mensch Religion?<br />

Spannend und immer wieder neu gestellt<br />

Es hat schon einige Zeit bei mir gedauert, bis ich<br />

mich endlich dazu entschließen konnte, oder sollte<br />

ich besser sagen, dazu durchgerungen hatte, diesen<br />

Artikel über die Frage nach der Notwendigkeit von Religion<br />

zu schreiben. Nicht zuletzt deshalb, weil die Frage nach<br />

Sinn und Zweck von Religion ein komplexes Themenfeld<br />

anspricht und aus verschiedenen<br />

Blickwinkeln heraus gestellt werden<br />

kann. Hinzu kommt, dass<br />

sich in der Vergangenheit schon<br />

viele prominente Geisteswissenschaftler<br />

sprich Theologen,<br />

Philosophen, Soziologen und<br />

Psychologen, aber auch Naturwissenschaftler,<br />

darunter Physiker<br />

wie Albert Einstein und Carl<br />

Friedrich von Weizsäcker, zu diesem<br />

Thema mehr oder weniger<br />

ausführlich und intensiv geäußert<br />

haben. Ein Blick in die fachbezogene<br />

Literatur bestätigt dies.<br />

Warum, so mein immer wieder<br />

aufsteigender innerer Widerstand,<br />

sollte ich als Laie auch noch meinen<br />

„unwissenschaftlichen Senf“<br />

dazutun? Ausschlaggebend, es<br />

doch zu tun, war schließlich der<br />

Gedanke, dass es bei dieser zwar<br />

schwierigen, aber nach wie vor<br />

sehr spannenden Frage, in ihrem<br />

Kern überhaupt nicht um<br />

spezielles „Wissen“ gehen kann,<br />

sondern viel mehr um „erlebte<br />

Erfahrung“. Was ich damit sagen<br />

will: Religion, richtig verstanden<br />

und praktiziert, ist keine Angelegenheit<br />

des Kopfes und der Intelligenz.<br />

Religion, und hier im<br />

Besonderen das Christentum mit<br />

seinem mystischen Hintergrund,<br />

will und kann, wenn überhaupt,<br />

in seiner wahren Tiefe nicht mehr<br />

gedacht, sondern immer nur ganz<br />

persönlich erfahren werden. Und dazu braucht es kein<br />

Hochschulstudium, sondern vor allem Achtsamkeit, um die<br />

Kostbarkeit und Einzigartigkeit des Daseins und die tiefe<br />

universale Verbundenheit mit allem Lebendigen zu erfahren<br />

und zu spüren. Aber dazu später mehr.<br />

Soweit der Mensch wissenschaftlich (anthropologisch,<br />

archäologisch, ethnologisch) überhaupt in der Lage ist, in<br />

Philosophischer Essay<br />

seine eigene Entwicklungsgeschichte zurückzublicken,<br />

sicherlich aber seit dem Zeitpunkt, ab dem der Mensch die<br />

geistige Fähigkeit besaß, sich selbst zu erkennen und über<br />

sein eigenes Dasein in der Welt zu reflektieren, versucht er,<br />

eine für ihn befriedigende Antwort auf die beunruhigende<br />

Frage nach dem Woher und Wohin seines Lebens zu finden<br />

und damit nach Sinn und Zweck von Religion.<br />

Verschärft und an Bedeutung<br />

erheblich zugenommen hat diese<br />

Frage jedoch durch die umfangreichen<br />

Erkenntnisse in den<br />

Naturwissenschaften der letzten<br />

dreihundert Jahre. Insbesondere<br />

die neu entwickelten naturwissenschaftlichen<br />

Theorien über die<br />

Entstehung des Universums (Urknalltheorie),<br />

die Entwicklung<br />

des Lebens auf der Erde (Evolutionstheorie),<br />

die Erkenntnisse über<br />

Raum und Zeit (Relativitätstheorie)<br />

bis hin zu den Forschungsergebnissen<br />

in der Psychologie<br />

und Neurologie, sie alle haben<br />

nicht nur das Weltbild gravierend<br />

verändert, sondern auch dem bis<br />

dahin vorherrschenden Menschenbild<br />

mehrere narzisstische<br />

Kränkungen zugefügt.<br />

Aber all diese neuen naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse und<br />

eine weltweite Zunahme säkularisierender<br />

Gesellschaftsformen<br />

haben es bis heute nicht fertiggebracht,<br />

die Religionen dieser Welt<br />

überflüssig zu machen. Nach wie<br />

vor bekennen sich weit über 80<br />

Prozent aller Menschen, und das<br />

sind 6,7 Milliarden, zu einer der<br />

fünf großen Weltreligionen, davon<br />

(nur noch?) 2,1 Milliarden<br />

Christen. Wenn aber alle naturwissenschaftlichen<br />

Versuche, die<br />

Welt und den Menschen zufriedenstellend<br />

erklären zu wollen, nicht<br />

ausreichen, wenn trotz allem wissenschaftlichen und technischen<br />

Fortschritt, trotz der geistesgeschichtlichen Epoche<br />

der Aufklärung in Europa, der größte Teil der Menschheit in<br />

irgendeiner Form (immer noch) religiös ist, liegt dann nicht<br />

die Vermutung nahe, dass es tief in der Natur des Menschen<br />

liegen muss, ein religiöses Wesen zu sein? Ist Religiosität<br />

nicht, wie allgemein angenommen, nur soziokulturell anerzogen<br />

und psychologisch begründet, sondern hat sie auch<br />

50 durchblick 1/<strong>2009</strong>

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