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Gesellschaft<br />
Treffender kann es kaum gesagt werden.<br />
Nur drei Zeilen, aber: ein Leitgedanken-Fundament,<br />
auf dem sich alles installiert.<br />
Nicht nur, dass in der Ausgabestelle Hammerwerk<br />
wöchentlich Tausende ihre Lebensmittel<br />
erhalten, zusätzlich versorgt die Siegener<br />
Tafel regelmäßig auch folgende Außenstellen:<br />
den ökumenischen Tisch in Hilchenbach, den<br />
Netphener Tisch, Alf – Alternative Lebensräume<br />
für Mütter und Kinder in Not, das Kinder-,<br />
Jugend- und Familienzentrum Ypernstraße Siegen,<br />
das Siegener Frauenhaus (nach Absprache),<br />
den Mittagstisch für Kinder auf dem Siegener Heidenberg.<br />
Außerdem: Pausenbrote für die Schüler einer Siegener<br />
Förderschule. Dazu: Die Betzdorfer und die Neunkirchener<br />
Tafel werden regelmäßig mitversorgt.<br />
Der Bedarf an Lebensmitteln ist gewaltig. Kein Wunder:<br />
Mehr als insgesamt 4000 bedürftige Kinder, Jugendliche, Erwachsene<br />
(inklusiv Rentner) werden im relativ großen Einzugsbereich<br />
der Siegener Tafel einmal wöchentlich versorgt.<br />
Voraussetzung für alle ist der sogenannte Tafel-Ausweis, der<br />
nach schriftlichem Nachweis der Bedürftigkeit ausgestellt<br />
und bei jeder Lebensmittelausgabe kontrolliert wird. Anders<br />
geht es nicht. Mit den Tafel-Kühl-Transportern werden die<br />
gespendeten Waren von montags bis einschließlich donnerstags<br />
eingesammelt. Ein schweißtreibender Job. 36 Männer<br />
fahren, sammeln und schleppen im Dienst eines großartigen<br />
sozialen Engagements. – 70 Frauen sortieren und verteilen<br />
die Lebensmittel. Wie gesagt: alles ehrenamtlich!<br />
Wenn man bedenkt, dass die rund 800 in der Republik<br />
arbeitenden Tafeln rund eine Million Menschen mit Lebensmitteln<br />
versorgen, ist daran unschwer zu erkennen, dass<br />
Armut in Deutschland kein Randphänomen, sondern für<br />
eine große Zahl bundesdeutscher Bürger zu bitterer Realität<br />
geworden ist. Kampf gegen Armut als zentrales Problem.<br />
Die in diesem Bericht genannten Zahlen sprechen eine<br />
eigene und traurige Sprache. Sprechen von Hoffnungslosigkeit,<br />
oft von besseren Zeiten. Tränen versalzen manches<br />
Wort. Scham schwappt aus den Tiefen der Gefühlswelt an<br />
die Oberfläche. Blicke tasten den Himmel ab. Als stehe die<br />
bessere Zukunft in den Sternen. Oder in Wolkenkuckucksheim.<br />
Der Alte mit der Schiebermütze murmelt: „Ob das<br />
noch mal besser wird?“<br />
Die Frau steht in der Ausgabeschlange.<br />
Geduldig. Einen Korb<br />
hat sie in der Hand. Der ist groß.<br />
Die Frau hat acht Kinder: „Gut,<br />
dass ich hier etwas bekomme.<br />
Nicht so einfach hier zu stehen.<br />
Schamgefühle, verstehen Sie.“<br />
Wir verstehen. Und weiter: „Es ist<br />
wirklich gut, das hier. Trotzdem<br />
reicht es kaum für alle. Hoffe, es<br />
gibt viel Obst, das ist gesund. Verteile<br />
das wenige immer so, dass<br />
Sybille Klein (re.) überprüft den neuen Wareneingang in den<br />
Räumen der Siegener Tafel.<br />
ENTDECKE DIE OBERSTADT:<br />
HISTORISCHE ALTSTADT • KÖLNER STRASSE<br />
ALTE POSTSTRASSE • KRÖNCHENCENTER<br />
LÖHRSTRASSE • MARBURGER STRASSE<br />
MARBURGER TOR: ALLES GANZ OBEN!<br />
kein Kind benachteiligt wird.“ Ein Korb für sie selbst,<br />
ihren Mann und acht Kinder. Da ist sie mit dem Verteilen<br />
schnell durch.<br />
Sie hat drei Kinder. Mit der Ehe hat es nicht mehr hingehauen.<br />
Geschieden ist sie. Viel sagt sie nicht. Nur: „Das<br />
ist die einzige Stelle, die mir hilft.“ Ihre Hand zeigt auf ein<br />
Fenster der Tafel-Ausgabestelle. Fünf sind noch vor ihr,<br />
dann ist sie dran. Endlich.<br />
Dann noch mal Franz. Der Exot mit dem Käppi. Sie<br />
kennen ihn fast alle. Und: Sie mögen ihn. Der Franz kann<br />
gut erzählen. Nicht immer tut er das, aber oft. So wie heute.<br />
Und sie hören ihm zu. Auch der durchblick-Journalist. Und<br />
Franz sagt: „Nun ja, ich lebe von der Grundsicherung oder<br />
wie das heißt. Früher nannte man das einfach ,Stütze‘. Große<br />
Bedürfnisse habe ich nicht. Wie auch?! Das Geld reicht<br />
vorne und hinten nicht. Wie ein zu kleines Hemd. Irgendwo<br />
ist es immer zu kurz. In der Bundesrepublik muss niemand<br />
verhungern. Du musst dich aber überwinden, um Hilfe zu<br />
bitten.“ Hans schiebt die Kappe in den Nacken: „Zuvor<br />
musst du natürlich wissen, wo du Hilfe bekommen kannst.<br />
Du musst dich informieren. Viele Informationen taugen<br />
nichts. Aber, es sind gute dabei. Die sind Geld wert. Ich<br />
sag dir was: Mit der Zeit kriegst du schnell heraus, welche<br />
Informationen du sofort auf den Müll werfen kannst. Die<br />
guten, die speichere ich hier…“ Er tippt sich an die Stirn:<br />
„Hier…“ Einige nicken. Ihre Zustimmung gehört Franz,<br />
den das Leben ziemlich zerrupft hat. Aufgeben tut er nicht.<br />
Er beißt sich wieder ein paar Tage durch mit dem, was er<br />
heute bei der Tafel bekommt.<br />
Maria Anspach und Dieter Gerst<br />
DA RAUF<br />
KOMMT<br />
JEDER!<br />
durchblick 1/<strong>2009</strong> 29<br />
vhs Siegen