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2009-01

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Verantwortlich für deren Inhalt ist nach dem Presserecht Dr. Horst Bach, der Pressesprecher des Seniorenbeirats der Stadt Siegen.<br />

„Absatzkrise“<br />

Im bitterkalten Nachkriegswinter 1946 auf dem Weg zum Trupbacher Bäcker<br />

In den frostigen Zeiten des Winters 2008/<strong>2009</strong> wurden<br />

Erinnerungen wach an Schnee und Eiseskälte in der<br />

Nachkriegszeit. Damals hatten viele Menschen nicht<br />

genug Brennmaterial, sodass der „Kohlenklau“ sogar kirchlicherseits<br />

durch den damaligen Kölner Erzbischof Frings<br />

stillschweigend geduldet wurde. „Fringsen“ nannte man<br />

daher auch das „Klauen“ von Briketts, Koks und anderen<br />

Brennstoffen aus den auf den Bahnhöfen stehenden Güterwaggons<br />

der Reichsbahn. Da viele Väter im Krieg geblieben<br />

oder noch in Gefangenschaft waren, versuchten hauptsächlich<br />

die Mütter der verarmten Familien, mit dieser eigentlich<br />

ungesetzlichen „Brennstoffzufuhr“ ihren Kindern eine<br />

warme Wohnstube nicht nur zu den Festtagen zu „bescheren“.<br />

Aber auch an warmer Kleidung, insbesondere auch<br />

an dem geeigneten Schuhwerk mangelte es. Hier kann sich<br />

Zeitzeuge Helmut Plate aus der Siegener Numbachstraße<br />

noch eindrucksvoll an eine Begebenheit erinnern, die ihn<br />

bis heute nicht losgelassen hat. Mit „Absatzkrise“ beschreibt<br />

der agile 72-jährige Rentner im Gespräch mit dem durchblick<br />

das einschneidende Erlebnis im Nachkriegswinter<br />

1946. Schuhe waren in der Familie damals Mangelware,<br />

und so musste Helmut Plate den ganzen Sommer über in einer<br />

Schreinerei gefertige Holzsandalen mit Lederriemchen,<br />

sogenannte „Kläpperchen“, tragen. Als der Winter näherrückte,<br />

hatte Mutter Plate für ihren Sprössling endlich ein<br />

Paar Lederschuhe aufgegabelt. Viel zu groß, aber mit dicken<br />

Socken und Einlegesohlen wurden sie „tragbar“ und passend<br />

gemacht. Diese Schuhe musste Helmut Plate natürlich hüten<br />

wie seinen Augapfel, denn es waren die einzigen „Treter“,<br />

die er hatte. Und sie mussten den ganzen Winter über halten.<br />

Im Januar 1946 lag wie heute eine dicke Schneedecke<br />

über dem Siegerland. Helmut Plate wurde von seiner Mutter<br />

zum Bäcker nach Trupbach geschickt,<br />

um Brot einzukaufen. Der<br />

Weg von der Numbachstraße aus<br />

durch dicken Schnee war reichlich<br />

beschwerlich. Gut, dass Helmut<br />

Plate da seine derben Schuhe mit<br />

stabilen Absätzen hatte. Doch diese<br />

Stabilität erwies sich als trügerisch,<br />

denn als Helmut Plate nach<br />

Beendigung der Einkaufstour vor<br />

dem Haus in der Numbach seine<br />

Schuhe „abtreten“ wollte, waren<br />

beide Absätze nicht mehr vorhanden.<br />

„Meine Mutter geriet in Wut,<br />

weil sie glaubte. ich hätte irgendwo<br />

Fußball gespielt, und schickte<br />

mich postwendend zurück nach<br />

Trupbach, um die verlorenen Absätze<br />

zu suchen.“ Reichlich „betränt“<br />

machte sich Helmut Plate<br />

Aus dem Seniorenbeirat<br />

auf den Weg, und<br />

siehe da, auf halbem<br />

Wege wurde<br />

der eine, etwas<br />

weiter der zweite<br />

Absatz gefunden.<br />

Freudestrahlend<br />

überreichte er<br />

wenig später die<br />

wiedergefundenen<br />

Schätze seiner<br />

Mutter. Eine genaue<br />

Inspektion<br />

des Schuhwerks<br />

ergab sodann, dass<br />

die vermeintlichen<br />

Lederabsätze nur<br />

aus Pappe bestanden<br />

und mittels<br />

„Mählbabb“ auf<br />

Akrobat schööön: Helmut Plate<br />

bei einer Absatzkontrolle vor dem<br />

Weidenauer Hauptbahnhof.<br />

die Gummisohle<br />

aufgeklebt worden<br />

waren. Mit „Mählbabb“<br />

bezeichneten die Siegerländer damals ihren notgedrungen<br />

aus Mehl und Wasser hergestellten Ersatzkleber. Im<br />

nassen Schnee hatten sich die Absätze auf dem Weg nach<br />

Trupbach gelöst und selbstständig gemacht. „Noch heute<br />

kontrolliere ich routinemäßig immer mein Schuhwerk und<br />

mache einen Absatzkontrolle, wenn ich durch tiefen Schnee<br />

gehe“, sagte der „Absatzroutinier“ Helmut Plate mit einem<br />

leichten Schmunzeln im Gesicht. Von einer erneuten „Absatzkrise“<br />

wollte er allerdings nicht sprechen. <br />

Kein Feinstaubfilt er<br />

nöti g !<br />

DIREKT VOM HERSTELLER<br />

durchblick 1/<strong>2009</strong> 45<br />

5 Bilder Dr. Horst Bach

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