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Loccumer Pelikan 3/2019

Biografien entdecken – Vorbildern begegnen

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22 praktisch<br />

<br />

OLIVER FRIEDRICH ist<br />

Dozent am RPI Loccum<br />

für die Religions pädago<br />

gische Ausbildung im<br />

Vikariat und leitet die<br />

Redaktion des »<strong>Loccumer</strong><br />

<strong>Pelikan</strong>«.<br />

schade fand bei so guten Manieren, Schnurrbart<br />

und Zähnen.<br />

Auf meine Zähne sprach er mich im darauffolgenden<br />

Frühling an. Wir hatten bis dahin nie<br />

mehr als ein paar Sätze miteinander gewechselt,<br />

er muss die Apokalypse in meinem Mund<br />

irgendwie durch die Wangen entröngt haben.<br />

Er riet mir, in seiner Praxis vorbeizukommen.<br />

Das sei jederzeit möglich, er empfehle aber:<br />

sehr bald.<br />

Eine Krankenversicherung hatte ich nicht,<br />

Dr. Heimat war das egal. Er hat unser aller Karies<br />

behandelt: bosnischen Karies, somalischen<br />

Karies, deutschen Karies. Einer ideellen Heimat<br />

geht es um den Karies und nicht darum, welche<br />

Sprache der Mund wie gut spricht.<br />

Ich musste mehrmals antreten. Beim vierten<br />

oder fünften Mal erzählte ich auf dem Behandlungsstuhl<br />

ein bisschen von mir, ein bisschen<br />

von meiner Familie. Nicht weil Dr. Heimat<br />

neugierig war. Er war nur unglaublich nett. Ich<br />

radebrechte von Mutter, die sich in der Wäscherei<br />

abschuftete. Ich sagte, sie sei als Marxistin<br />

eigentlich so was wie eine Expertin für Ausbeutung,<br />

und jetzt werde sie ausgebeutet.<br />

Dr. Heimat lächelte, schob ein fies aussehendes<br />

Gerät in meinen Mund und wurde den<br />

Spruch los: „Karl Marx hatte wahrscheinlich<br />

schlechte Zähne, aber gute Ideen.“ Er begann<br />

an meinen zu schaben und sagte selbstvergessen:<br />

„Die Arbeiter haben kein Vaterland.“<br />

Irgendwann erzählte ich ihm auch von meinem<br />

Großvater Muhamed. Dass ich glaubte,<br />

er sei von uns allen am wenigsten glücklich in<br />

Deutschland, allerdings viel zu freundlich und<br />

dankbar, um das zuzugeben. Dr. Heimat erkundigte<br />

sich, ob es etwas gab, was mein Großvater<br />

gern unternahm.<br />

Fragt mich jemand, was mir Heimat bedeutet,<br />

erzähle ich vom freundlichen Grüßen eines<br />

Nachbarn über die Straße hinweg. Ich erzähle,<br />

wie Dr. Heimat meinen Großvater und mich<br />

zum Angeln an den Neckar eingeladen hat. Wie<br />

er Brote geschmiert und sowohl Saft als auch<br />

Bier dabeihatte, weil man ja nie weiß. Wie wir<br />

Stunden nebeneinander am Neckar standen,<br />

ein Zahnarzt aus Schlesien, ein alter Bremser<br />

aus Jugoslawien und ein fünfzehnjähriger Schüler<br />

ohne Karies, und wie wir alle drei ein paar<br />

Stunden lang vor nichts auf der Welt Angst hatten.<br />

◆<br />

Saša Stanišić, Herkunft.<br />

© Luchterhand Literaturverlag, München,<br />

in der Verlagsgruppe Random House GmbH<br />

***<br />

MICHAELA VEIT-ENGELMANN<br />

Paulus kompakt – Wissen verpackt<br />

Der Pauluskoffer im Religionsunterricht<br />

Hmm … Aspirin? Und Paulus? Was<br />

mir zu Aspirin und Paulus einfällt<br />

…“, die Teilnehmerin überlegt<br />

kurz, die Aspirinpackung hält sie<br />

dabei in der Hand. „Na klar, das<br />

passt: Immer, wenn ich Paulustexte lese, kriege<br />

ich Kopfschmerzen!“ Die Teilnehmer*innen<br />

eines Paulusworkshops am Religionspädagogischen<br />

Institut Loccum sitzen im Stuhlkreis. In<br />

der Mitte liegt, verborgen unter einer weißen<br />

Decke, ein großer alter Koffer, der tatsächlich<br />

ein wenig so aussieht, als könnte schon Paulus<br />

selbst damit gereist sein. Darin befinden sich<br />

24 Gegenstände, die alle irgendetwas mit dem<br />

Leben und Wirken des berühmten Heidenapostels<br />

zu tun haben.<br />

Reihum fassen die Besucher*innen des<br />

Workshops in den Koffer, greifen blind etwas<br />

heraus – und lassen sich selbst davon überraschen,<br />

was ihnen oder den hilfsbereiten Men-<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 3/ <strong>2019</strong>

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