Loccumer Pelikan 3/2019
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
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praktisch 35<br />
In Deutschland ist in allen Bundesländern<br />
eine Vielzahl von Verbänden des Diakonischen<br />
Werks wie z.B. sozialpädagogische, fürsorgerische<br />
und pflegerische Heime, Anstalten und<br />
Einrichtungen entstanden.<br />
Wichern als Glaubensvorbild<br />
für unser Leben<br />
Wichern hat nicht zugesehen oder weggesehen,<br />
er hat angepackt, zugepackt. Er stand für<br />
seinen christlichen Glauben auf der Grundlage<br />
des Evangeliums und dem von Jesus Christus<br />
überlieferten sog. „Doppelgebot“ der Liebe:<br />
„Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich<br />
selbst.“ Und diese Worte waren für ihn nicht<br />
nur theologische Fachsimpelei, sondern gelebter<br />
Glaube. Nächstenliebe und Solidarität, ja,<br />
das strahlte Johann Hinrich Wichern aus, dafür<br />
steht das Rauhe Haus noch heute: „Wir achten<br />
jeden Menschen, ungeachtet seiner Herkunft,<br />
Religion oder sozialen Stellung, als ein einmaliges<br />
und unverwechselbares Geschöpf Gottes.<br />
Wir haben Respekt vor seiner Würde und stärken<br />
seine Autonomie. Ursprung und Merkmal<br />
aller unserer Aktivitäten ist die christliche Nächstenliebe,<br />
solidarisches Engagement und die Entwicklung<br />
innovativer Angebote.“<br />
Nächstenliebe und Solidarität<br />
Wenn Johann Hinrich Wichern heute vor uns<br />
stehen würde, würde er uns sagen: Achtet auf<br />
euch, helft einander, schaut vor allem nicht<br />
weg, schaut auf die sozialen Ungerechtigkeiten.<br />
Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern in<br />
der Nachbarschaft: „Müde sieht sie aus, wenn<br />
sie aus der Arbeit kommt“, die ältere Dame von<br />
gegenüber: „Ich habe sie lange nicht gesehen“,<br />
ein kleiner verwahrloster Junge: „Warum Tom<br />
bloß immer allein auf dem Spielplatz ist?“<br />
Es sind die Kleinigkeiten, die alles zu einem<br />
Großen zusammenwachsen lassen. Auch Wichern<br />
hatte klein angefangen und die Probleme<br />
von damals sind auch heute noch aktuell.<br />
Vielleicht nicht mehr so drastisch und offenkundig.<br />
Der Sozialstaat fängt einiges auf; die verwahrlosten,<br />
in Lumpen gekleideten Kinder gibt<br />
es nur noch selten bei uns. Dafür haben Kälte<br />
und Selbstbezogenheit in der Gesellschaft zugenommen.<br />
Aber es ist nicht nur das soziale<br />
Engagement, was an dem Glaubensvorbild Wichern<br />
beeindruckt, sondern auch seine innere<br />
Bindung an das Evangelium. Die Kombination<br />
macht den Unterschied aus.<br />
Wie kein zweiter Theologe hat er registriert,<br />
wie chaotisch und ungerecht es in der Welt zugeht,<br />
wenn die Erinnerung an die Güte und<br />
Gnade Gottes und vor allem an die Würde des<br />
Menschen verblasst. Wie kein zweiter Theologe<br />
hat er uns gezeigt, dass das Christentum eine<br />
Religion nicht der Distanz, sondern der Liebe<br />
zum Menschen ist. Wie kein zweiter Theologe<br />
hat Wichern seiner Kirche die Augen für die sozialen<br />
Krisen der Zeit geöffnet und ihr mit der<br />
Inneren Mission ein in der Öffentlichkeit eigenständig<br />
auftretendes, verkündigendes, kreatives<br />
und vor allem aktives Christentum vorgelebt.<br />
Und dies ist in der Nachfolge von Jesus Christus,<br />
in der wir alle stehen, der einzig wahre christliche<br />
Weg: Ein aktives gelebtes Christentum!<br />
Die Liebe gehört mir<br />
wie der Glaube<br />
„Die Liebe gehört mir wie der Glaube!” Diese<br />
Worte Wicherns sind eine Lektion an den Protestantismus.<br />
Jeden Tag buchstabieren wir die<br />
Liebe neu, wann immer Christen, wann immer<br />
Kirche und Diakonie öffentlich für Menschen<br />
in Not eintreten und ihnen mit Herz und Sachverstand<br />
zu einem erfüllten Leben verhelfen“,<br />
so Pastor Dietrich Sattler, Vorsteher des Rauhen<br />
Hauses. Diesen Worten schließe ich mich<br />
an. Wegen dieser Worte habe ich mir Johann<br />
Hinrich Wichern als mein Glaubensvorbild ausgewählt<br />
und vorgestellt. „Die Liebe gehört mir<br />
wie der Glaube!“, das passt für mich und meinen<br />
Glauben – vielleicht auch für Sie? ◆<br />
Jedes Jahr wird im<br />
Deutschen Bundestag<br />
ein traditioneller<br />
Wichern-Adventskranz<br />
aufgestellt.<br />
Der Wichernsche<br />
Advents kranz trägt<br />
so viele Kerzen wie<br />
Tage vom 1. Advent<br />
bis Heiligabend:<br />
die dicken weißen<br />
Kerzen für die<br />
Adventssonntage<br />
und die roten für<br />
die Werktage.<br />
© Rolf Zoellner /<br />
epd-bild /<br />
gemeinde brief.de<br />
<br />
JUTTA KÖSTER ist<br />
Prädikantin in der<br />
Martinskirchengemeinde<br />
Engelbostel-<br />
Schulenburg bei<br />
Hannover.<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 3/ <strong>2019</strong>