29.08.2019 Aufrufe

Loccumer Pelikan 3/2019

Biografien entdecken – Vorbildern begegnen

Biografien entdecken – Vorbildern begegnen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

4<br />

grundsätzlich<br />

INGRID SCHOBERTH<br />

„Wenn ich sagen soll, wer ich bin,<br />

dann erzähle ich meine Geschichte“ 1<br />

Vorbilder und Biografien bzw. Lebensgeschichten<br />

„Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“<br />

„Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“<br />

„Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“ 2<br />

Biografien und Lebensgeschichte<br />

in Geschichten 12<br />

Wenn es um Vorbilder geht, dann geht es notwendigerweise<br />

auch um Biografien. Es geht um<br />

Lebensgeschichten, die sich gleichsam aus einzelnen<br />

Geschichten zusammensetzen, und es<br />

geht um das, was die Kohärenz der je eigenen<br />

Geschichte ausmacht. Diese Stimmigkeit der<br />

vielen Erfahrungen in Geschichten charakterisiert<br />

eine Biografie; sie kann freilich sehr unterschiedlich<br />

wahrgenommen werden. Dietrich<br />

Ritschl hat das in eine eindrückliche Metapher<br />

gefasst. Er vergleicht die Wahrnehmung einer<br />

je eigenen Lebensgeschichte mit einem Kaleidoskop<br />

3 : Der Blick durch die Öffnung gibt<br />

ein Bild frei, das aus einzelnen Steinchen bunt<br />

und bewegt zusammengesetzt ist. Aber jede<br />

Biografie zeigt nicht nur ein einziges Bild – die<br />

Schwierigkeit und Dialektik ist schon bei Bertolt<br />

Brecht in der bekannten Geschichte vom<br />

Herrn Keuner prägnant benannt: Kann und darf<br />

man sich ein Bild von einem anderen Menschen<br />

oder sich selbst machen, um ihn danach zu for-<br />

1 Ritschl, Zur Logik der Theologie, 45.<br />

2<br />

Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner, 33.<br />

3<br />

Ritschl, Bildersprache und Argumente, 254.<br />

men? Der Vergleich mit dem Kaleidoskop führt<br />

vor Augen, dass der Blick immer wieder ein anderer<br />

werden kann, um die Lebendigkeit und<br />

Dynamik einer Lebensgeschichte zu erfassen.<br />

So wird die je einzelne Lebens-Geschichte in<br />

vielen Geschichten erkennbar; das Drehen des<br />

Kaleidoskops lässt ein neues Bild aus den gleichen<br />

Steinchen entstehen, so wie es für jeden,<br />

der auf Biografien stößt, wahrnehmbar und vernehmbar<br />

wird. Das Drehen steht für die je neue<br />

Begegnung mit Geschichten: Biografien erfordern<br />

Zuhören, Nachgehen von Geschichten in<br />

Gedanken, Einlassen auf sie im Gespräch und<br />

vieles andere.<br />

Die Dynamik der Lebensgeschichten kommt<br />

gerade dann zum Tragen, wenn sie erzählt<br />

werden. Dietrich Ritschl betont: „Wenn ich sagen<br />

soll, wer ich bin, dann erzähle ich meine<br />

Geschichte.“ 4 Keine Geschichte wird immer<br />

gleich erzählt; und keine noch so marginale<br />

Geschichte ist ohne ihre eigene Würde. Die Unverwechselbarkeit<br />

und Unvertretbarkeit auch<br />

scheinbar unbedeutender Lebensgeschichten<br />

und sogar bislang ungehörte und verbannte Lebensgeschichten<br />

gewinnen im Erzählen ihren<br />

Ausdruck und ihre Kontur. Das Erzählen von Le-<br />

4<br />

Ritschl, Zur Logik der Theologie, 45.<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 3/ <strong>2019</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!