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Loccumer Pelikan 3/2019

Biografien entdecken – Vorbildern begegnen

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56 informativ<br />

de und persönliche Angriffe kämpfen<br />

müssen. Am Ende sorgten sie und ihre<br />

Vereinskamerad*innen schließlich dafür,<br />

dass dieser Betrieb mit einer Entschwefelungsanlage<br />

zu einem weltweiten<br />

Vorbild wurde, der Ingenieure<br />

und Politiker aus Japan in die Oldenburger<br />

Provinz reisen ließ.<br />

In den 1980er- und 1990er-Jahren<br />

setzte sie sich dann ebenso beherzt<br />

in der Antiatomkraftbewegung<br />

ein, einschließlich der Blockierung von<br />

Bahnschienen und Verhaftungen. Vom<br />

Richter nach ihrer Motivation gefragt,<br />

erwiderte sie, dass sie sich in der Nazizeit<br />

für dumm verkaufen ließ, alles<br />

guthieß und mitmachte. Nun sei sie<br />

aber aufgewacht und wolle genau<br />

hinschauen und dafür sorgen, dass es<br />

anders läuft.<br />

In ihrer Tätigkeit als Volksschullehrerin<br />

bemerkte sie schon in den 1960er-<br />

Jahren, dass einige ihrer Schüler*innen<br />

keine angemessene Kleidung oder<br />

Schulzeug hatten. Sie organisierte, dass man<br />

ihnen etwas schenkte – denn Überfluss an guter,<br />

gebrauchter Kleidung und anderen Dingen<br />

gab es eben auch. Daraus entwickelte sich dann<br />

der „Tag des offenen Kellers“, an dem Käthe die<br />

von ihr gesammelten Dinge an alle verschenkte,<br />

die sie benötigen konnten.<br />

Als sie nach dem Tod ihrer Mutter, die sie bis<br />

zuletzt pflegte und beim Sterben begleitete, als<br />

Rentnerin schließlich wieder nach Oldenburg<br />

zog, eilte ihr der Ruf als Verschenke-Organisatorin<br />

voraus. Sie sammelte auch dort und verschenkte<br />

alles aus ihrem Fahrradanhänger heraus<br />

– zunächst auf Flohmärkten, später dann<br />

als Vereinsgründerin des vermutlich ersten Verschenkmarktes<br />

im Rahmen der „Agenda 21“.<br />

Wieder einmal hatte sich aus praktischem, beherztem<br />

Tun etwas Vorbildliches entwickelt,<br />

das die Aufmerksamkeit von Presse und Fernsehen<br />

erweckte. Für dieses Engagement wurde<br />

ihr dann später, im Jahr 2008, das Bundesverdienstkreuz<br />

verliehen.<br />

Doch zuvor wurde sie Ende der 1990er-Jahre<br />

auf ein Fortbildungsangebot der evangelischen<br />

Kirche in Oldenburg aufmerksam, welches<br />

sich mit der Begleitung von Sterbenden<br />

beschäftigte. Da sie ihre Mutter gepflegt und<br />

begleitet hatte, wollte sie nun lernen, wie es<br />

„richtig geht“. Es war eine gute und lehrreiche<br />

Erfahrung. Am Ende wurde auch sie als Absolventin<br />

des Kurses gefragt, ob sie sich vorstellen<br />

könne, im ambulanten Hospizdienst ehrenamtlich<br />

tätig zu sein. Sie tat es gerne und mit<br />

Freude. Die Tatsache, dass sie als bekennende<br />

Atheistin nicht mit den Menschen beten könne,<br />

störte niemanden.<br />

Sieben Jahre später hatte sie dann in einem<br />

öffentlichen Vortrag der Humanisten von ihrer<br />

Erfahrung berichtet, wie sie ihre Freundin Eva<br />

in die Schweiz zu Dignitas nach Zürich begleitete,<br />

wo diese dann ihr Leben beendete. Der<br />

Vortrag stieß auf ein großes öffentliches Interesse<br />

und sorgte aber auch dafür, dass sie nicht<br />

weiter ehrenamtlich für den Hospizdienst arbeiten<br />

durfte. Für Käthe war die Begleitung ihrer<br />

Freundin jedoch kein Widerspruch zu ihrem<br />

ehrenamtlichen Einsatz, sondern nur eine konsequente<br />

Begleitung eines Menschen, der von<br />

seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen<br />

will.<br />

Heute setzt sie sich vehement für die Abschaffung<br />

des Paragrafen 217 ein, der die sogenannte<br />

geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe<br />

stellt und damit Hilfe und Beratung leidender<br />

Menschen am Lebensende erschwert. Für Käthe<br />

Nebel ist dies ein unzumutbarer und grundgesetzwidriger<br />

Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht<br />

der Menschen. Sie will selbst entscheiden<br />

dürfen, wann sie geht.<br />

Doch noch ist es nicht so weit. Trotz erheblicher<br />

Einschränkung ihres Sehvermögens und<br />

dem Angewiesen-Sein auf die Hilfe anderer versprüht<br />

sie Lebensfreude. Die bewusste Art, wie<br />

sie ihr Leben führt und zu schätzen weiß, inspiriert<br />

weiter alle, die mit ihr diskutieren, staunen<br />

und lachen.<br />

◆<br />

Käthe Nebel 2017.<br />

© tagesanzeiger.ch /<br />

Tamedia AG.<br />

Portrait unter<br />

https://webspecial.<br />

tagesanzeiger.ch/<br />

longform/zumsterben-die-schweiz/<br />

die-aktivistin<br />

<br />

LUTZ RENKEN ist<br />

Verbandsreferent<br />

des Humanistischen<br />

Verbandes<br />

Niedersachsen<br />

im Regionalbüro<br />

Oldenburg.<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 3/ <strong>2019</strong>

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