Loccumer Pelikan 3/2019
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
54 informativ<br />
LUTZ RENKEN<br />
Wer oder was ist<br />
„vorbildlich humanistisch“?<br />
Was ist humanistisch? Unter<br />
Humanismus wird hier eine<br />
Weltanschauung verstanden,<br />
also eine Haltung<br />
von Menschen, die sich der<br />
Menschlichkeit und der Vernunft verpflichtet<br />
fühlen und sich nicht an religiösen Vorstellungen<br />
orientieren. Antworten auf die Sinnfragen<br />
des Lebens finden sie nicht in einer übernatürlichen,<br />
jenseitigen Welt, sondern im Hier und<br />
Jetzt. Sie wollen ein selbstbestimmtes und verantwortliches<br />
Leben führen und fordern dies<br />
ein. Humanist*innen verstehen ihre Haltung als<br />
eine positive Kraft neben religiösen Anschauungen<br />
– und weniger als eine bloße Negation von<br />
Gott und Glauben.<br />
Die Ideengeschichte, auf die sich der heutige<br />
weltanschauliche Humanismus bezieht, geht<br />
auf Ideen der Antike, auf den Renaissance-Humanismus<br />
und die Aufklärung zurück. Er hat<br />
aber auch Wurzeln im außereuropäischen Bereich,<br />
wie beispielsweise in der Lehre von Konfuzius<br />
in China, oder der Chavarka in Indien. Hier<br />
wird hoffentlich deutlich, dass es keine ultimativen<br />
humanistischen Vorbilder gibt, die es mit<br />
Jesus oder Mohammed aufnehmen könnten.<br />
Vorbilder<br />
Wenn Humanist*innen an Vorbilder im Sinne<br />
der Entwicklung humanistischer Ideen denken,<br />
dann fallen ihnen Sokrates oder Epikur ein, aus<br />
der Zeit der Aufklärung Immanuel Kant („Sapere<br />
aude!“), die schottischen Moralphilosophen<br />
Locke, Hobbes und Hume und natürlich Charles<br />
Darwin, der die (göttliche) Sonderstellung des<br />
Menschen endgültig zu Fall brachte.<br />
Als sich im 19. Jahrhundert viele Vereinigungen,<br />
Parteien und Gesellschaften gründeten,<br />
kamen auch die ersten modernen Weltanschauungsgemeinschaften<br />
auf, wie Freireligiöse<br />
Gemein den, philosophische Gesellschaften und<br />
die Freidenker. Auf diese Traditionen und Organisationen<br />
geht übrigens der Humanistische<br />
Verband Niedersachsen zurück.<br />
Unter den „Freireligiösen“ waren Menschen,<br />
die es dank ihrer Vorbildfunktion später sogar<br />
auf Briefmarken der Deutschen Bundes post<br />
brachten, wie Carl Schurz und Käthe Kollwitz.<br />
Schurz war radikaldemokratischer Revolutionär,<br />
der zunächst im deutschen Vormärz aktiv war,<br />
dann in die USA ging, dort gegen die Sklaverei<br />
kämpfte und schließlich Innenminister wurde.<br />
Käthe Kollwitz notierte zu ihrem Plakat „Nie<br />
wieder Krieg!“ 1924 in ihr Tagebuch: „Wenn ich<br />
mich mitarbeiten weiß in einer internationalen<br />
Gemeinschaft gegen den Krieg, hab‘ ich ein<br />
warmes, durchströmendes und befriedigendes<br />
Gefühl […] Ich bin einverstanden damit, daß<br />
meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser<br />
Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig<br />
sind.”<br />
Auch der britische Mathematiker, Philosoph<br />
und Nobelpreisträger Bertrand Russell schaffte<br />
es auf eine Briefmarke, eine indische, und zwar<br />
zwei Jahre nach seinem Tod, 1972 zu seinem<br />
100. Geburtstag. Als einer der einflussreichsten<br />
atheistischen Denker des 20. Jahrhunderts war<br />
er bis zum Schluss Mitglied des Beirats der Britischen<br />
Humanisten und auch – gemeinsam mit<br />
seinem Freund und Humanisten Albert Einstein<br />
– in der Friedensbewegung sehr aktiv. Das folgende<br />
Zitat aus seiner Autobiografie „Wofür es<br />
sich zu leben lohnt“ fasst seine humanistische<br />
Haltung sehr gut zusammen:<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 3/ <strong>2019</strong>