Loccumer Pelikan 3/2019
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
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6<br />
grundsätzlich<br />
tanz ist keineswegs nur zeitlich oder kulturell,<br />
sondern liegt gerade an der Vorbildlichkeit der<br />
Vorbilder im Glauben. Wie gewinnt die Erzählung<br />
von Passion und Auferstehung in den früheren<br />
und gegenwärtigen Zeug*innen dieser<br />
Geschichte eine Kraft, die das je eigene Leben<br />
noch einmal in ein neues Licht taucht, das von<br />
der Auferstehung her auf jede Lebensgeschichte<br />
fällt? Und schließlich: Sind Vorbilder nicht zu<br />
normativ? Wie steht es um die protestantische<br />
Freiheit, die sich in spezifischen Lebensformen<br />
abbildet? Ist das vorbildlich, täglich in den Losungen<br />
zu lesen …? 6<br />
Vorbildlich sind Geschichten, in denen Gottes<br />
Geschichte mit den Menschen einen Rahmen<br />
bildet, der zum Bezugsrahmen werden<br />
kann für die Reflexion der Geltung fremder anderer<br />
Lebensgeschichten; diese Reflexion findet<br />
wiederum ihr Ziel in einem veränderten Blick<br />
auf die je eigene Lebensgeschichte. Vorbilder<br />
sind dann vorbildlich, wenn sie kritisch und aus<br />
einer großen Freiheit heraus anleiten und einüben<br />
helfen, das je eigene Leben von diesen<br />
Geschichten her verstehen, erfahren und wahrnehmen<br />
zu lernen.<br />
Vorbilder mit je eigenen<br />
Lebensgeschichten dienen<br />
auch gerade dazu, in Gottes<br />
Geschichte hineinzufinden<br />
Die Distanz, die Vorbilder erzeugen, ist notwendig.<br />
Vorbilder sind religionspädagogisch dann<br />
sinnvoll, wenn sie nicht normativ erscheinen,<br />
sondern eine Verfremdung erzeugen. Das Gespräch<br />
über Vorbilder erlaubt Schüler*innen,<br />
nicht selbst in Gottes Geschichte einsteigen zu<br />
müssen; sie können aber mit Vorbildern und<br />
deren je eigenen Geschichten wahrnehmen lernen,<br />
was es heißen könnte, in Gottes Geschichte<br />
zu stehen und aus ihr die eigene Lebensgeschichte<br />
verstehen zu lernen.<br />
So befreien Vorbilder und der unterrichtliche<br />
Bezug auf sie von dem Druck, lernen zu<br />
müssen, aus Glauben zu leben – das wäre ein<br />
Widerspruch in sich selbst. Mit den Vorbildern<br />
und ihren Geschichten kann aber etwas deutlich<br />
werden davon, was für die eigene Lebensgeschichte<br />
Geltung gewinnen kann und was<br />
auch nicht. Vorbilder können zeigen, dass jede<br />
6<br />
Vgl. Theißen, Glaubenssätze: ein poetischer Zugang,<br />
der gleichsam vorbildlich ist in der Wahrnehmung biblischer<br />
Texte, die sich dem verstehenden Durchdringen<br />
der Wahrnehmung des Evangeliums in seinen<br />
vielfältigen Facetten öffnen wollen<br />
<br />
Vorbilder sind<br />
dann vorbildlich,<br />
wenn sie kritisch<br />
und aus einer<br />
großen Freiheit<br />
heraus anleiten<br />
und einüben<br />
helfen, das je<br />
eigene Leben<br />
von diesen<br />
Geschichten<br />
her verstehen,<br />
erfahren und<br />
wahrnehmen zu<br />
lernen.<br />
<br />
Lebensgeschichte anders ist; auch und gerade<br />
als Lebensgeschichten, die durch die Geschichte<br />
Gottes geformt sind. Manche sind unberührbar<br />
und fremd, andere nah und spürbar. Vorbilder<br />
zeigen mit und in ihren Geschichten Möglichkeitsräume<br />
zum guten Leben. Sie können die je<br />
eigene Geschichte dann vorbildlich bereichern,<br />
wenn dies aus einer Freiheit geschieht, die solchen<br />
Begegnungen mit Geschichten innewohnen<br />
muss. Lebensgeschichten können dann<br />
vorbildlich sein, wenn die Freiheit spürbar wird,<br />
die solchen Begegnungen mit gelebtem Leben<br />
anhaftet. Vielleicht könnte man es so formulieren:<br />
In der Verweigerung, untadelige Heilige<br />
zu sein, werden Menschen mit ihren Geschichten<br />
zu Vorbildern und so im genuinen Sinn zu<br />
Heiligen, indem sie einen Reflex der Geschichte<br />
Gottes widerspiegeln.<br />
Nun sind freilich nicht alle Vorbilder beeindruckende<br />
Exponenten des Glaubens, sondern<br />
können auf sehr vielfältige Weise wirken für die<br />
Lernenden, die nach Lebenswegen für sich suchen:<br />
Das kann eine Yogalehrerin sein ebenso<br />
wie ein orthodoxer Priester oder ein Musiker. Es<br />
kann auch – scheinbar ganz unreligiös – ein kleines<br />
Kind sein mit strahlenden, hoffungsvollen<br />
Augen oder Menschen in späten Lebensaltern<br />
wie auch ungestüme Jugendliche. Alle können<br />
zum Vorbild werden, weil es die je eigene Lebensgeschichte<br />
ist, die unterwegs ist, die Menschen<br />
zu Vorbildern macht, weil sie einen Weg<br />
zeigen und je neue Anfänge einer Begegnung<br />
ermöglichen. Dabei vollzieht sich die Zuschreibung<br />
einer Authentizität, die der andere nicht<br />
aus sich selbst, sondern in der Begegnung mit<br />
mir, durch mich und meine Lebensgeschichte<br />
gewinnt.<br />
Ein Zugang zur Geschichte Gottes ist durch<br />
die Menschen gelegt, die selbst in dieser Geschichte<br />
des Evangeliums je neu zu leben lernen.<br />
Dazu treten Vorbilder, die aus ganz fremden<br />
anderen Kontexten und Zusammenhängen<br />
kommen. Auch durch sie erahne und erspüre<br />
ich mit ihrer Suche meine Frage nach Leben und<br />
Geschichte. Sie können gerade auch dann zum<br />
Vorbild werden, wenn sie andere Wege gehen,<br />
die meine eigenen vielleicht durchkreuzen oder<br />
in Frage stellen: Um beides geht es bei diesem<br />
Zusammenhang von Vorbild und Biografie bzw.<br />
Lebensgeschichte.<br />
Religionsdidaktische Konkretionen<br />
In Hinblick auf unterrichtliche Wege in religiösen<br />
Bildungsprozessen will ich das Erarbeitete noch<br />
etwas auf seine Relevanz für religiöse Bildung<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 3/ <strong>2019</strong>