Loccumer Pelikan 3/2019
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
Biografien entdecken – Vorbildern begegnen
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praktisch 29<br />
tina von Schweden porträtiert (M 1). Die Künstlerin<br />
starb wenige Monate vor der Vernissage.<br />
Die schwedische Königin, die maßgeblich<br />
an der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges<br />
und am Friedensschluss zu Münster und Osnabrück<br />
beteiligt war, entsprach in unterschiedlicher<br />
Hinsicht nicht den Erwartungen, die Hof<br />
und Gesellschaft an sie stellten. Sie wollte ihr<br />
religiös geprägtes Schweden zu einem kulturellen<br />
Anziehungspunkt machen, sie ließ Bibliotheken<br />
bauen, holte bedeutende Künstler und Gelehrte<br />
wie René Descartes nach Stockholm und<br />
machte humanistisches und intellektuelles Denken<br />
stark. In der Zeit nach ihrer Regentschaft<br />
(1632 – 1654) ließ sie in Rom ein Theater eröffnen,<br />
in dem – und das war sehr unkonventionell<br />
– auch Frauen auftraten. Christina weigerte<br />
sich zu heiraten, und in ihrem damals männlich<br />
konnotierten Auftreten enttäuschte sie erneut<br />
Erwartungs haltungen zahlreicher Schweden.<br />
Christina war nach ihrer Geburt zunächst für einen<br />
Jungen gehalten worden und man hatte sie<br />
dement sprechend gekleidet und erzogen. Man<br />
vermutet heute eine mögliche Intersexualität.<br />
Die Künstlerin Jeanne Lessenich spielt in ihrem<br />
Portrait Christinas mit der Uneindeutigkeit<br />
weiblicher und männlicher Identität. Die auffälligen<br />
langen roten Haare und die volleren Lippen<br />
zeichnen ein weibliches, die Gesichtszüge an<br />
sich und auch die angedeutete (Amts-)Kleidung<br />
ein eher männlich assoziiertes Erscheinungsbild.<br />
Es soll Briefe geben, die von einer leidenschaftlichen<br />
Liebesbeziehung zwischen Christina und<br />
Ebba Sparre, einem Fräulein bei Hofe, erzählen.<br />
Den wohl größten Skandal stellte ihr Übertritt<br />
zum Katholizismus dar. 1654 dankte Christina<br />
ab, übergab Krone und Zepter an ihren Cousin<br />
Karl X. Gustav und ging nach Rom. 10<br />
2015 hat der finnische Regisseur Mika Kaurismäki<br />
in seinem Film „The Girl King“ die rätselhafte<br />
und faszinierende Königin von Schweden<br />
in seiner Interpretation der historischen Quellenlage<br />
in die Kinos gebracht. Neben Malin Buska<br />
als Christina und Sarah Gadon als deren Geliebte<br />
Ebba waren Michael Nyquist als Reichskanzler<br />
und Vaterersatz sowie Martina Gedeck als<br />
psychisch verwirrte Mutter zu sehen. Der Film<br />
deutet eine mögliche Intersexualität Christinas<br />
nur an, er macht vor allem die vorsichtige lesbische<br />
Liebesgeschichte stark. Kaurismäki geht<br />
sogar so weit, Christinas Entschluss, die Krone<br />
niederzulegen und zum Katholizismus zu konvertieren,<br />
auch aus ihrer Verzweiflung herzuleiten,<br />
dass diese Liebesbeziehung aus politischen<br />
Gründen zerstört worden ist.<br />
10<br />
Vgl. ebd., 85.<br />
Interessant ist die Verfilmung vor allem in<br />
den Passagen, in denen Christina sich – in einer<br />
Zeit, die religiös äußerst sensibel war – im Konflikt<br />
der Konfessionen und vor allem zwischen<br />
gelebter Frömmigkeit, Theologie und Humanismus<br />
bewegt. Die Filmzitate (M 2) spiegeln ihre<br />
starke Persönlichkeit, zeigen humanistische Bildung<br />
und Kultur als ihre großen Ziele. In diesen<br />
Auszügen wird deutlich, wie revolutionär und<br />
umstritten ihr Wunsch nach einem Friedensschluss<br />
war.<br />
Abschließende Gesprächsanlässe<br />
Im Ausstellungskatalog sowie den Materialien<br />
sind insgesamt sechs Zitate zu finden, die jeweils<br />
einer der dargestellten historischen Persönlichkeiten<br />
zugeschrieben werden (M 3). Über<br />
diese Zitate ließe sich eine vertiefende und die<br />
Arbeit mit der Ausstellung abschließende Auseinandersetzung<br />
anstoßen. Sie bieten Gesprächsanlässe<br />
zu persönlicher Identität, zur Spannung<br />
Das Portrait von Königin Christina<br />
von Schweden (Arbeit von Jeanne<br />
Lessenich) – © 100% Mensch<br />
<br />
DIE MATERIALIEN M 1<br />
BIS M 3 zu diesem Beitrag<br />
sind im Downloadbereich<br />
auf der Website<br />
des RPI unter www.<br />
rpi-loccum.de/pelikan.<br />
zu finden<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 3/ <strong>2019</strong>