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Berliner Zeitung 21.12.2019

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 297 · 2 1./22. Dezember 2019<br />

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Berlin bewegt sich<br />

Mit Bauch<br />

und Kopf<br />

Darts: Erfahrungen in<br />

einer Sportart zwischen Hochleistung<br />

und Kneipentresen<br />

VonMatthias Roch<br />

Wird der Anfänger Matthias Roch treffen? Die Spieler und Spielerinnen vom Hellersdorfer Dartverein schauen zu.<br />

GERD ENGELSMANN (4), GETTY<br />

Das Sportgerät ist etwas<br />

größer als ein Bleistift:<br />

gut 25 Zentimeter lang<br />

und bis zu 50 Gramm<br />

schwer.Ein Präzisionsgerät, mit dem<br />

es Typen, die sich „Mighty Might“,<br />

„The Flying Scotsman“ oder „Jackpot“<br />

nennen, zuWeltruhm brachten.<br />

Sie sind die Stars des Darts, Leistungssportler<br />

mit Bauchansatz.<br />

Derzeit findet im Londoner Alexandra<br />

Palace die Weltmeisterschaft<br />

der fliegenden Pfeile statt. Bis zu<br />

3000 Zuschauer füllen die liebevoll<br />

Ally Pally genannte Location und<br />

machen die Veranstaltung zu einer<br />

Mischung aus Fasching und Oktoberfest.<br />

Hier gibt es Pints und Pimm’s<br />

im Überfluss, die Sperrstunde wird<br />

außer Kraft gesetzt, man steckt sich<br />

in allerlei absurde Kostüme. Und<br />

mittendrin stehen die Pfeile werfenden<br />

Großmeister der Konzentration,<br />

die sich durch nichts und niemanden<br />

ablenken lassen. Wahnsinn. Wer<br />

sich dieses feucht-fröhliche Tohuwabohu<br />

aus sicherer Entfernung anschauen<br />

will, sollte Sport1einschalten.<br />

Bis zum 1. Januar laufen die<br />

Übertragungen der aktuellen Weltmeisterschaft.<br />

Auch mich kribbelt es in den Fingern.<br />

Istdas alles nur Partyoder doch<br />

Sport? Ich will Darts selbst ausprobieren.<br />

Bei einer Recherche im Netz<br />

erfahreich, dass es in der Hauptstadt<br />

5000 Dartsspieler gibt und dass es<br />

mit den Vikings aus Neukölln immerhin<br />

eine Mannschaft in die Bundesliga<br />

geschafft hat. Aber soll ich<br />

wirklich bei einem Bundesligisten<br />

eine Trainingsstunde absolvieren?<br />

Dastraue ich mich dann doch nicht.<br />

So fällt meine Wahl auf den Osten<br />

dieser Stadt.<br />

Der Hellersdorfer Dartverein lädt<br />

mich ins Café Lexy am Cottbusser<br />

Platz ein. Das Vereinslokal ist eine<br />

Cocktailbar, eingerahmt von fünfgeschossigen<br />

Plattenbauten und einer<br />

Penny-Kaufhalle. Einige Anwesende<br />

haben sich für den Besuch richtig<br />

schick gemacht. Sie tragen die Vereinskleidung.<br />

Pokale auf Regalen<br />

künden von Erfolgen. Ein Riesendartspfeil<br />

aus Holz hängt vonDecke.<br />

Vereinschefin ist Helga Ruschinski.<br />

„Los, Helga, zeig dem Neuling<br />

mal, wie er den Pfeil zu halten<br />

hat“, ruft jemand aus dem Hintergrund.<br />

„Am besten wie einen Kugelschreiber“,<br />

lautet Helga Ruschinskis<br />

Anweisung. Leider ist die Rentnerin<br />

etwas in Eile. Sie entschuldigt sich<br />

mit einem „Auswärtsspiel“ in Ahrensfelde<br />

und übergibt mich in die<br />

Obhut vonMichael Sielaff.<br />

DerRat des Trainers<br />

Der56-Jährige führtals Kapitän zwei<br />

Mannschaften durch die <strong>Berliner</strong><br />

Liga. Sielaff gilt auch als Entdecker<br />

von Martin Schindler, der als „The<br />

Wall“ in den vergangenen zwei Jahren<br />

an den WM im Ally Pally teilnahm.<br />

Diederzeit große Jugendhoffnung<br />

der Hellersdorfer Dartsszene<br />

heißt Leonie Lotzmann. Stolz präsentiert<br />

die Elfjährige ihre Medaille<br />

für den dritten Platz der <strong>Berliner</strong><br />

Stadtmeisterschaft. Ich stehe also<br />

auf einem für den deutschen Dartssportsehr<br />

fruchtbaren Boden.<br />

Eigentlich würde ich nun gern<br />

mit einem Spiel an einem E-Darts-<br />

Automaten starten. Trainer Michael<br />

Ort: Die Pfeile im PräzisionssportDarts<br />

fliegen im Osten<br />

der Stadt im Café Lexy.Ineinem<br />

separaten Raum der<br />

Cocktailbar hat der Dartverein<br />

Hellersdorf seine Spielstätte.<br />

Cottbusser Platz 30,<br />

12627 Berlin.<br />

Vereinschefin in Aktion: Helga Ruschinski<br />

zeigt, wie der Pfeil zu halten ist.<br />

TREFFPUNKT CAFÉ LEXY<br />

Verein: Zurzeit hat derVerein<br />

70 Mitglieder.Vier Mannschaften<br />

spielen im Steel-Dart<br />

in der Berlin-Liga.Für den Jugendbereich<br />

wirdnoch nach<br />

zielsicherer Unterstützung gesucht.WeitereInformation<br />

unter:http://dv-hellersdorf.net<br />

Turnier:Wersich einmal im<br />

Darts ausprobieren möchte,<br />

ist am 25. Dezember zu einem<br />

Turnier ins Café Lexy eingeladen.<br />

Beginn:20Uhr.Gebühr:<br />

10 Euro. MichaelSielaff bittet<br />

um vorherigeAnmeldung:<br />

015734651069<br />

Junges Talent: Leonie Lotzmann ist elf<br />

Jahre alt und auf dem Wegnach oben.<br />

Sielaff rät ab und empfiehlt mir als<br />

Anfänger die Steel-Darts-Variante<br />

auf eine Scheibe aus Sisal. Dabei<br />

ließe sich das Trefferbild besser analysieren.<br />

Auch werde Steel-Darts<br />

meine Rechenleistung verbessern.<br />

Leonie macht’s vor. Wenn ich sehe,in<br />

welcher Geschwindigkeit sie die Ergebnisse<br />

multipliziert, addiert und<br />

dann subtrahiert, möchte ich Eltern,<br />

deren Kinder Probleme mit dem<br />

kleinen Einmaleins haben, zurufen:<br />

„Schickt die lieben Kleinen zum<br />

Darts.“Schülerhilfe an der Scheibe.<br />

Mirhingegen ist die ganzeMathematik<br />

schon jetzt ein wenig zu viel.<br />

Ichwill Sport, aber es hilft nichts. Da<br />

stehe ich nun mit der Kugelschreiber-<br />

Pfeilehaltung an der Markierung.<br />

Mein Ziel hängt exakt in einer Höhe<br />

von1,73Metern. Ichwerfe drei Pfeile.<br />

Zwei von ihnen landen auf dem Boden.<br />

Derdritte schafft es zwar bis ins<br />

Ziel, aber außerhalb des Zählbaren.<br />

Ichhabe den Eindruck, dass im Café<br />

Lexy eine besonders starke Erdanziehungskraft<br />

wirkt. Wasnatürlich Blödsinn<br />

ist.<br />

Übung und Automatismus<br />

„Du hast keine richtige Kontrolle“,<br />

sagt Michael Sielaff. „Bring mehr<br />

Finger an den Pfeil“, rät der Trainer.<br />

Ich folge der Anweisung, und es<br />

klappt etwas besser. Die Pfeile landen<br />

nicht mehr auf dem Boden. Das<br />

Entscheidende sei, dass die Würfe<br />

immer in gleichmäßiger Form ausgeführt<br />

werden. Der Pfeil sollte immer<br />

gerade die Finger verlassen.<br />

Nach vielen Stunden Üben werde<br />

sich ein Automatismus in der Wurfbewegung<br />

einstellen, erklärt Sielaff.<br />

Beim idealen Wurf dürfe sich wirklich<br />

nur der Wurfarm bewegen, der<br />

Oberkörper nicht.<br />

Für einen Grobmotoriker,wie ich<br />

einer bin, ist das alles nur sehr<br />

schwer zu verstehen und anzuwenden.<br />

Mein Trainer gibt mir den Tipp,<br />

mich anders hinzustellen. Nicht mit<br />

dem Oberkörper zur Scheibe, sondern<br />

imrechten Winkel zu ihr. Ich<br />

versuche es,und es klappt etwas besser.<br />

Letztendlich bin ich froh, dass<br />

ich nach einer Stunde Stahlpfeilwerfen<br />

nicht allen Putz um die Scheibe<br />

herausgebrochen habe. Zum Rechnen<br />

bin ich während des Trainings<br />

nicht gekommen. Viel zu rechnen<br />

gab es aber auch nicht.<br />

Die nächste Station ist die elektronische<br />

Variante des Spiels, das<br />

E-Darts. Hier zeigt die Maschine<br />

nach jedem Wurf den Spielstand<br />

an. Gut, denke ich, rechnen muss<br />

ich nicht. Bei jedem Treffer ertönt<br />

eine Melodie.<br />

Ehe es losgeht, steht auch ein<br />

Pfeilwechsel an: Plastik statt Stahl.<br />

Die Metallpfeile würden den Automaten<br />

zerstören, sagt Michael Sielaff.<br />

Tatsächlich komme ich mit den<br />

18 Gramm leichten Kunststoffpfeilen<br />

besser zurecht. Nach neun Versuchen<br />

liege ich vorihm. 286 Punkte<br />

stehen auf meinem Konto. Michael<br />

Sielaff hat einen Rückstand von 24<br />

Zählern. „Ich sollte dich im Auge behalten“,<br />

lobt Sielaff. Doch das Spiel<br />

ist noch nicht zu Ende und Sielaff<br />

herausgefordert.<br />

Er nimmt auf der Scheibe einen<br />

höchstens drei Quadratzentimeter<br />

großen Streifen ins Visier, wirft und<br />

verfehlt das Zeil um wenige Millimeter.<br />

Während Sielaff sauer ist und<br />

flucht, bin ich tief beeindruckt und<br />

auch ein bisschen entmutigt. Fehler<br />

schleichen sich ein. „Steh gerade“,<br />

mahnt der Trainer.Aber die Korrekturen<br />

anmeiner Körperhaltung kommen<br />

zu spät, der Trainer gewinnt das<br />

Spiel. DieMelodie erklingt.<br />

Ichwerde mich nun erst mal dem<br />

bunten Treiben im Alexandra Palace<br />

widmen – im Fernsehen. Und im<br />

kommenden Jahr werde ich zurückkehren<br />

zu Michael Sielaff und dem<br />

Hellersdorfer Dartverein im Café Lexy<br />

–als Sportler mit Bauchansatz. Und<br />

ich werdegewinnen.<br />

Steel oder Soft<br />

Man nennt ihn „Mighty Mike“: Michael<br />

van Gerwen. GETTY IMAGES/A. BURSTOW<br />

Geschichte<br />

Esgibt viele Vermutungen über die<br />

Entstehung des Dartssports. Aufzeichnungen<br />

aus dem 19. Jahrhundert<br />

lassen vermuten, dass das Spiel<br />

in England erfunden wurde. Jedenfalls<br />

legte der englische Zimmermann<br />

Brian Gamlin 1896 die Anordnung<br />

der Felder auf dem Dartsboard fest.<br />

Hohe Punktefelder ordnete er neben<br />

niedrige.<br />

Die ersten Wettbewerbe fanden<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts in England<br />

statt. Erster Weltmeister war<br />

1978 Leighton Rees ausWales.Aktueller<br />

Weltmeister ist der niederländerdische<br />

Profi Michael vanGerwen., genannt„Mighty<br />

Mike“.<br />

Gleich zu Beginn des Jahres 2020<br />

steht in Berlin ein Großereignis an.<br />

Das Hofbräu in Mitte lädt zur Darts-<br />

Show ein. Robert Cross, Weltmeister<br />

von2018, hat sein Kommen zugesagt.<br />

Informationen unter:<br />

hofbraeu-wirtshaus.de/ berlin/<br />

5 20 1<br />

12 18<br />

9 4<br />

14 13<br />

11<br />

8<br />

Dartsscheibe<br />

Ø45,1 cm<br />

16<br />

15<br />

7 2<br />

19 3 17<br />

1,73 m<br />

6<br />

10<br />

Pfeil<br />

max. Länge: 30,5 cm<br />

max. Gewicht: 50 g<br />

2,93 m<br />

2,37 m<br />

Abwurflinie<br />

BLZ/GALANTY<br />

Scheibe<br />

Die Dartsscheibe ist in 20 Segmente<br />

unterteilt. Trifft der Spieler<br />

den roten Mittelpunkt der<br />

Scheibe, das sogenannte Bull’s Eye,<br />

werden ihm 50 Punkte zugeschrieben.<br />

DerRing um das Bull’s Eye, Outer<br />

Bull oder Single Bull (grün) wird<br />

mit 25 Punkten gewertet.<br />

Der innere schmale Ring ist das<br />

Triple. Trifft der Pfeil in diesen Bereich,<br />

verdreifacht sich der Wert.<br />

Trifft man in den äußeren schmalen<br />

Ring, Double genannt, verdoppelt<br />

sich die Punktzahl. Also bringt es<br />

entgegen vieler Anfängermeinungen<br />

nicht so viele Punkte,die Boardmitte<br />

zu treffen, sondern die Triple 20, da<br />

der Wert verdreifacht wirdund es somit<br />

60 Punkte gibt.<br />

Ein bekanntes Dartsspiel heißt<br />

501. Beim ihm geht darum, mit so<br />

wenigen Pfeilen wie möglich die 501<br />

Punkte auf null zu reduzieren, wobei<br />

zum Abschluss immer ein Double-<br />

Feld getroffen werden muss.<br />

Mit Steel-Darts wirft man auf eine<br />

Sisal-Scheibe.<br />

Pfeile<br />

Man unterscheidet zwei Arten<br />

von Darts-Pfeilen –Steel-Darts<br />

und Soft-Darts. Mit einem Steel-<br />

Darts-Pfeil wirft man auf eine Sisal-<br />

Scheibe: Die Steel-Darts haben eine<br />

Spitze aus Metall. Sie dürfen eine<br />

Länge von 30,5 Zentimetern haben.<br />

Das maximale Gewicht beträgt 50<br />

Gramm. Soft-Darts kommen beim<br />

Automatendarts, auch Electronic-<br />

Darts (E-Darts) genannt, zum Einsatz.<br />

Siehaben eine Spitzeaus Kunststoff,<br />

um den Automaten nicht zu beschädigen.<br />

DieGesamtlänge darf16,8<br />

Zentimeter nicht überschreiten. Ihr<br />

Gewicht ist auf 18 Gramm begrenzt.<br />

Die Punkte des Wurfs zählen, sobald<br />

sie der Automatregistrierthat.<br />

Michael Sielaff vomHellersdorfer<br />

Dartverein rät von einem Pfeilekauf<br />

im Internet ab. Er empfiehlt, die<br />

Pfeile im Geschäft zu testen. Beispielsweise<br />

kann man das in der Dart<br />

Centrale (Wollankstraße 122, 13187<br />

Berlin) tun.

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