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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 297 · 2 1./22. Dezember 2019 – S eite 28<br />
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Sport<br />
Die neue<br />
Vielfalt<br />
Die Bundesliga ist so spannend wie<br />
schon lange nicht mehr.Stellt sich im<br />
Rahmen einer Vorrundenbilanz<br />
nurnoch die Frage nach<br />
der Qualität<br />
VonFrank Hellmann<br />
Auch bei Familie Coutinho warzuletzt die Laune wieder besser:Bayern-Maskottchen Berni knuddelt Maria, nachdem Papa Philippe gegen Werder Bremen mit drei Toren und zwei Vorlagen brillierthatte.<br />
IMAGO IMAGES/ULMER<br />
Das Kunstkraftwerk im<br />
Leipziger Westen bietet<br />
einen außergewöhnlichen<br />
Rahmen für Veranstaltungen.<br />
Zwei große Industriehallen<br />
über drei Etagen bieten die Besitzer<br />
an, weisen aber vorsorglich darauf<br />
hin, dass der Komplex am<br />
Sonnabendabend bereits belegt ist.<br />
Denn dann kommt RB Leipzig mit<br />
großem Aufgebot vorbei: Während<br />
die meisten Bundesligisten ihre<br />
Weihnachtsfeier schon hinter sich<br />
haben, will RB erst sein letztes Heimspiel<br />
gegen den FC Augsburgabwarten.<br />
Vermutlich könnte der Anlass<br />
passender nicht gewählt sein: Julian<br />
Nagelsmann könnte dann ein Novum<br />
in der jungenVereinsgeschichte<br />
bewirkt haben, nämlich das Leipzig<br />
auf dem ersten Platz überwintert.<br />
„Es wäre schön, so in den Weihnachtsurlaub<br />
zu gehen. Aber eine<br />
größereBedeutung hätte es nicht für<br />
mich“, sagt der RB-Trainer zwar.<br />
Doch der 32-Jährige hätte mit einem<br />
Heimsieg den krönenden Abschluss<br />
einer überragenden Hinrunde hingelegt,<br />
in der die Roten Bullen in drei<br />
Wettbewerben überzeugten. Ihr<br />
kraftvoller Überfallstil, unter dem<br />
neuen Fußballlehrer um einige Facetten<br />
im Vergleich zu seinem Vorgänger<br />
Ralf Rangnick bereichert, ist<br />
nicht nur spektakulär anzusehen,<br />
wie das 3:3 im Spitzenspiel bei Borussia<br />
Dortmund zeigte.Die Sachsen<br />
haben mit Weitsicht ein Ensemble<br />
konstruiert, das Kraft und Kreativität,<br />
Technik und Tempo,Einsatz und<br />
Esprit vereint. Kein Wunder, dass<br />
Timo Werner bei 18 Saisontoren<br />
steht: Der treffsichere Nationalstürmer<br />
profitiert von famosen Nebenleuten.<br />
Kein Team weist derzeit eine<br />
solche Körpersprache, Anpassungsfähigkeit<br />
und Physis auf. Dass der<br />
jüngste Punkt in Dortmund ein bisschen<br />
glücklich war, dafür müsse<br />
man sich nicht entschuldigen, befand<br />
Nagelsmann. Underhat Recht.<br />
Leipzig wäre ein würdiger Herbstmeister.<br />
Inden letzten zehn Jahren<br />
konnten nur drei Teams nicht die<br />
Schale in die Höhe stemmen, die zur<br />
Halbzeit vorne lagen. Der BVB verspielte<br />
im vergangenen Jahr einen<br />
Sechs-Punkte-Vorsprung. Der letzte<br />
Herbstmeister, der nicht aus München<br />
oder Dortmund kam, war 2010<br />
BayerLeverkusen.<br />
Wachgeküsste Hertha<br />
In dieser Saison bietet das Titelrennen<br />
eine neueVielfalt. Alles ist so eng<br />
beieinander, als hätten die Spitzenklubs<br />
beschlossen, es sich kurz vor<br />
Weihnachten besonders kuschelig<br />
zu machen. Auch Borussia Mönchengladbach<br />
kann sich, am Sonnabendabend<br />
(18.30 Uhr) zu Gast bei<br />
der vom PR-Profi Jürgen Klinsmann<br />
mit großen Gesten wachgeküssten<br />
Hertha aus Berlin, noch auf Platz<br />
eins schieben.Vorausgesetzt: Leipzig<br />
patzt.<br />
„Eine halbe Schale<br />
wird uns die DFL wahrscheinlich<br />
nicht überreichen.“<br />
RB-Trainer Julian Nagelsmann<br />
scherzt über die Möglichkeit einer Herbstmeisterschaft.<br />
Trainer Marco Rose gibt zwar<br />
nicht viel auf den „Titel, der gar keiner<br />
ist“, aber die zeitweise von der<br />
Spitze grüßende Fohlenelf spielt die<br />
beste Hinrunde seit 43 Jahren. Auch<br />
wenn das Ausinder Europa League –<br />
als einziger von sieben Bundesligastartern<br />
auf der Strecke geblieben –<br />
und im DFB-Pokal schmerzt, hat der<br />
gebürtige Leipziger schon jetzt Spuren<br />
hinterlassen. Auch der 43-Jährige<br />
ist der Verfechter eines Pressing-<br />
Fußballs, der dem Gegner die Luft<br />
zum Atmen raubt. Beiihm teilen sich<br />
die Franzosen Alassane Pléa und<br />
Marcus Thuram mit je elf Scorerpunkten<br />
die Verantwortung beim<br />
Toreschießen.<br />
Dass sich erst dahinter der FC<br />
Bayern einreiht, der zum Hinrundenkehraus<br />
den VfL Wolfsburg<br />
(15.30 Uhr) erwartet, ist die eigentliche<br />
Überraschung. Immer noch verfügt<br />
der Branchenprimus,der inzwischen<br />
seinen Umsatz auf mehr als<br />
750 Millionen Euro gesteigert hat,<br />
über den exquisitesten Kader. Einen<br />
Philippe Coutinho,und sei es nur auf<br />
Leihbasis, kann sich sonst niemand<br />
leisten. Und eine Tormaschine wie<br />
RobertLewandowski, mit 19 Torenin<br />
Gerd-Müller-Gedächtnismanier unterwegs,hat<br />
auch kein anderer.Aber<br />
atmosphärische Störungen zwischen<br />
den Starspielern und Trainer<br />
Niko Kovac, nach einem 1:5-Desaster<br />
Anfang November an ehemaliger<br />
Frankfurter Wirkungsstätte von<br />
seinen Aufgaben entbunden, haben<br />
die Münchner in die Verfolgerrolle<br />
gedrängt. Dass der Rekordmeister<br />
zeitweise nur auf Platz sieben<br />
gelistet wurde, hat viele Fans<br />
frohlocken lassen. Und weil auch<br />
Dortmund immer noch für Ausschläge<br />
in beide Richtungen gut ist,<br />
machen sich gleich vier Klubs relevante<br />
Titelhoffnungen. Wer die<br />
Westfalen vorschnell abschreibt,<br />
könnte einen Fehler machen.<br />
„Ist doch schön, dass der Meister<br />
nicht vorher feststeht“, merkt<br />
der ehemalige Manager Andreas<br />
Rettig an. Vor allem für die Deutsche<br />
Fußball Liga (DFL) ist das gerade<br />
ein Geschenk des Himmels: In<br />
den anstehenden Verhandlungen<br />
über die neuen Fernsehverträge ist<br />
der spannende Meisterschaftskampf<br />
ein nicht zu unterschätzendes<br />
Vermarktungsargument. Aber<br />
was steckt hinter der gesamten Verpackung?<br />
Ein Beispiel am vergangenen<br />
Mittwochabend: Eintracht<br />
Frankfurt gegen 1. FC Köln (2:4),<br />
ein Klassiker aus der Bundesliga-<br />
Geschichte: Der Kölner Keeper<br />
Timo Horn legt sich den Ball zum<br />
Abstoß zurecht, im Strafraum bieten<br />
sich seine Verteidiger Rafael<br />
Czichos und Sebastiaan Bornauw<br />
an, aber an der Strafraumkante lauern<br />
die Frankfurter Stürmer Bas<br />
Dost und Gonçalo Pacienca. Die<br />
Eintracht steht fast geschlossen in<br />
der Kölner Hälfte.Langer Ball, zweiter<br />
Ball –und viel (Zwei-)Kampf folgt.<br />
Die oft identische Ausrichtung,<br />
Stichwort hohes Pressing, macht<br />
Zeit und Raum zum kostbaren<br />
Gut. Nur leidet eben darunter oft<br />
die Spielqualität, wenn die Protagonisten<br />
nicht die nötige Handlungsschnelligkeit<br />
und Ausdauer,<br />
das Zweikampfgeschick oder<br />
Durchsetzungsvermögen haben.<br />
Wasdie Abstürze in Frankfurtoder<br />
Bremen erklärt, wo derlei Defizite<br />
wegen der vielen Spiele (Eintracht)<br />
oder der falschen Kaderzusammenstellung<br />
(Werder) am<br />
krassesten wirken. Selbst der Tabellenletzte<br />
SC Paderborn, mit seinem<br />
geringen Budget doch entscheidend<br />
benachteiligt, macht da<br />
aus seinen geringen Möglichkeiten<br />
noch mehr.<br />
Auffällig ist, dass die Verantwortlichen<br />
bei der Nationalmannschaft,<br />
Joachim Löw und Oliver Bierhoff,<br />
keine Lobeshymnen auf eine gestiegene<br />
Qualität anstimmen wollen.<br />
Bundestrainer Löw äußerte Kritik<br />
immer nur subtil, weil er mit seiner<br />
Mannschaft genügend eigene Probleme<br />
hat. DFB-Direktor Bierhoff<br />
bastelt am ProjektZukunft, das unter<br />
dem Motto „Zurück in die Weltspitze“<br />
gefasst ist. Sein Impulsvortrag<br />
beim DFB-Bundestag Ende September<br />
war explizit an die Vertreter<br />
der Profivereine gerichtet. „Die Bundesliga<br />
ist für den deutschen Fußball<br />
der Treiber. Alle haben verstanden,<br />
dass wir etwas tun müssen.“ Dass<br />
am 17. Spieltag der Herbstmeister<br />
noch nicht feststeht, reicht ihm als<br />
Fortschritt nicht.<br />
Frank Hellmann<br />
lobt das Werk vonLeipzig-<br />
Coach Nagelsmann.