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Berliner Zeitung 21.12.2019

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B2 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 297 · 2 1./22. Dezember 2019<br />

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Reise<br />

Der mächtige Dom und die alten Wehranlagen erinnernandie lange Geschichte der gotländischen Hauptstadt Visbyals Hansestadt.<br />

CARSTEN HEINKE<br />

Gotland: Schatzkästlein im blauen Meer<br />

In der Blütezeit der Hanse war die schwedische Ostseeinsel ein Treffpunkt für Kaufleute. Nun lockt sie vor allem Kreuzfahrer und Sonnenhungrige an<br />

VonCarsten Heinke<br />

Berühmte Metropolen wie<br />

Stockholm und Helsinki,<br />

Danzig, Riga, Tallinn und<br />

Sankt Petersburg locken<br />

viele Entdeckungsfreudige zu einer<br />

Ostseekreuzfahrt. Ein eher beschauliches<br />

und dennoch spannendes Ziel<br />

auf einer solchen Rundreise ist die<br />

schwedische Insel Gotland, ein echtes<br />

Schmuckstück im nordeuropäischen<br />

Binnenmeer.<br />

Der Hauptort Gotlands, einst<br />

wichtige Hansestadt und seit 1995<br />

Unesco-Weltkulturerbe, beeindruckt<br />

den Besucher vorallem durch<br />

seine sehr gut erhaltene mittelalterliche<br />

Architektur.<br />

In Almedalen (Ulmental) beginnt<br />

die Entdeckungstour. Hier,<br />

außerhalb der Stadtmauern von<br />

Visby, befand sich zu Hansezeiten<br />

der Hafen, der im Laufe der Jahrhunderte<br />

versandete und weiter<br />

entfernt von der Stadt, wo die Ostsee<br />

noch tiefer war, wieder aufgebaut<br />

wurde. Noch lange danach<br />

wurde der Platz deshalb „Alter Hafen“<br />

genannt. Seine jetzige Bezeichnung<br />

verdankt er den Ulmen, die<br />

1870 hier gepflanzt wurden und<br />

sein Schicksal als Park begründeten.<br />

Mit prächtigen alten Bäumen, gepflegten<br />

Rasenflächen, Blumenrabatten<br />

und Skulpturen ist er heute das<br />

grüne Vorzimmer der Inselstadt, verbindet<br />

ihre Bilderbuch-Silhouette<br />

mit der Ostseekulisse und ist bei Einheimischen<br />

wie Gästen sehr beliebt.<br />

Entlang der von Kornspeichern<br />

gesäumten Strandstraße führt der<br />

Spaziergang zum Pulverturm von<br />

anno 1151, Visbys ältestem Bauwerk.<br />

Nur wenig jünger sind die anderen<br />

Teile der Verteidigungsanlage, die<br />

das Bild der einst so mächtigen Hansemetropole<br />

immer noch prägt.<br />

Gästekirche mit Warenlager<br />

Heute mit 23 000 Bewohnern eher<br />

eine verträumte Kleinstadt, wirken<br />

die gewaltigen Bauten und ihreÜberreste<br />

wie Filmkulissen. Neben den<br />

wuchtigen Wehrtürmen der 3,6 Kilometer<br />

langen Ringstadtmauer ist das<br />

vorallem die Ruine der gotischenVisborg,<br />

einer im 15. Jahrhundert unter<br />

dem dänischen König Erich von<br />

Pommerngebauten Festung.<br />

Vomfrüheren Reichtum der Hansestadt<br />

mitten in der Ostsee kündet<br />

neben prächtigen Kaufmannshäusern<br />

und Sakralbauten der von den<br />

Gotlandfahrern gebaute Dom Sankt<br />

Marien, dessen Geschichte bis ins<br />

zwölfte Jahrhundert zurückreicht.<br />

Das der Jungfrau Maria geweihte<br />

Gotteshaus wurde lange Zeit nur von<br />

seinen Erbauern als reine Gästekirche<br />

genutzt.<br />

Bei den Gotlandfahrern handelte<br />

es sich um deutsche Kaufleute zur<br />

See, die Visby imMittelalter als zentralen<br />

Umschlagplatz im Ostseehandel<br />

zwischen den Hansestädten der<br />

südlichen Küste sowie denen in Russland<br />

und dem Baltikum nutzten. Auf<br />

ihren Koggen wurde das Geld für den<br />

späteren Dom gesammelt.<br />

Da die seefahrenden Händler<br />

praktisch dachten, berücksichtigten<br />

sie beim Bauder Kirche auch eine sichere<br />

Unterbringungsmöglichkeit<br />

für wichtige Waren –und zogen ein<br />

Extra-Stockwerkals Lagerboden ein.<br />

Daranerinnernnoch heute die alten<br />

Windenhaken an der Domfassade.<br />

In sie wurden die Flaschenzüge mit<br />

der Ware gehängt und nach oben befördert.<br />

Auch die gemeinsame Kasse<br />

des Hansekontors von Nowgorod<br />

wurde hier zeitweilig aufbewahrt.<br />

Erst mit der dauerhaften Ansiedlung<br />

vieler aus Lübeck, Hamburg<br />

und Bremen stammenden Kaufleute<br />

wurde Sankt Marien zur Gemeindekirche<br />

der deutschen Bevölkerung<br />

Visbys,1572 zur Bischofskirche.Sein<br />

jetziges vornehmlich barockes Erscheinungsbild<br />

erhielt das von vielen<br />

Baustilen geprägte Gotteshaus<br />

vorallem durch die Turmhauben im<br />

18. Jahrhundert.<br />

Nach einem fantastischen Panoramablick<br />

vomGalgenbergauf Dom,<br />

Altstadt und Ostsee geht es wieder<br />

bergab durch enge, mittelalterliche<br />

Kopfsteinpflastergassen in eine weitere<br />

grüne Oase, dem Botanischen<br />

Garten.<br />

1855 von einer humanistischen<br />

Gesellschaft gegründet, profitiert<br />

die kleine, aber sehenswerte Anlage<br />

heute von zahlreichen alten<br />

Gewächsen. In dem milden, fast<br />

mediterranen Klima auf der sonnenreichen<br />

Ostseeinsel (das hier,<br />

mitten in der Altstadt noch von<br />

den schützenden dicken Ringmauern<br />

unterstützt wird) gedeihen<br />

Magnolien, Maulbeer-, Feigen-,<br />

Walnuss-, Tulpen-, Taschentuchbäume<br />

und viele andere südliche<br />

Pflanzen. Zu den<br />

Publikumslieblingen gehören eine<br />

Rosensammlung, der älteste<br />

Steingarten Schwedens mit einem<br />

hübschen Pavillon sowie der fast<br />

komplett von Efeu überwucherten<br />

Ruine der Sankt-Olafs-Kirche,<br />

einst so groß und mächtig wie der<br />

Dom.<br />

Ein weiterer Ausflug führt nach<br />

Mittelgotland. Von Visby an der<br />

Westküste geht es in südöstlicher<br />

Richtung ins geografische Zentrum<br />

der Insel auf dem durchschnittlich<br />

nur rund 55 Meter hoch gelegenen<br />

Kalksteinplateau.<br />

Der erste Stopp erfolgt in Dalhem,<br />

wo es einen mächtigen Kirchenbau<br />

aus dem zwölften Jahrhundert<br />

mit reich geschmücktem Portal<br />

zu bestaunen gibt. Nur einige Kilometer<br />

weiter warten die Ruinen des<br />

Klosters Roma sowie die ländlichen<br />

Kirchen von Väte und Mästerby auf<br />

Gäste.<br />

Zurück an der Westküste, werden<br />

zwei malerische Fischerdörfer besichtigt.<br />

Neben dem winzigen Klintehamn<br />

beeindruckt Gnisvärd, einst<br />

größtes Dorf Gotlands, mit seinen<br />

ungefähr 40 typischen Hütten, dem<br />

Netztrockenplatz und einer steinernen<br />

Strandkapelle.<br />

Unweit davon entfernt liegen die<br />

„Schiffssetzungen bei Gnisvärd“, erstaunlich<br />

gut erhaltene ovale<br />

„Schiffsgräber“ aus der Bronzezeit.<br />

Die bedeutendste der rund 3000<br />

Jahre alten Begräbnisstätten ist 47<br />

Meter lang und sieben Meter breit.<br />

Vondem Gräberfeld ist es nicht weit<br />

bis zu Högklint, einer bis zu 45 Meter<br />

steil aufragenden Kalkklippe, die einen<br />

großartigen Ausblick auf Gotlands<br />

Westküste bietet.<br />

Zu Besuch bei Pippi<br />

Bevor der Bus wieder in Visby hält,<br />

passiert er Kneippbyn. In dessen<br />

Freizeitpark steht die legendäreVilla<br />

Kunterbunt aus den berühmten<br />

Pippi-Langstrumpf-Filmen.<br />

Ursprünglich stand das Häuschen<br />

an einem militärischen<br />

Übungsplatz in der Nähe von Visby<br />

und wurde als Verwalterwohnung<br />

genutzt. Die meisten Filmszenen<br />

nach Astrid Lindgrens beliebtem<br />

Kinderbuch drehte Regisseur Olle<br />

Hellborn 1968 auf Gotland. Heute<br />

dient es als Drehort für Krimiserien<br />

wie „Der Kommissar und das Meer“.<br />

Unterwegs im Trüffelparadies<br />

Die spanische Provinz Teruel lockt mit verschlafenen Dörfern, einsamer Natur und kulinarischen Delikatessen. Hier liegt das größte Trüffelanbaugebiet der Welt<br />

VonManuel Meyer<br />

Monte, los, such!“, ruft Alba<br />

Pérez. Der Hund schnüffelt<br />

aufgeregt die Erde unter den Steineichen<br />

ab. Inder Nähe der Baumwurzeln<br />

befinden sich Trüffel –inder Region<br />

Gúdar-Javalambreinder spanischen<br />

Provinz Teruel wachsen die<br />

schmackhaften Speisepilze besonders<br />

gut.<br />

Es dauert nicht lange, bis Albas<br />

weiß-braun gefleckter Trüffelhund<br />

fündig wird. Unter einer Steineiche<br />

bleibt Monte stehen, schaut zu seinem<br />

Frauchen hinüber und scharrt<br />

mit der Pfote. „Er vergewissert sich<br />

immer, dass ich ihn auch gesehen<br />

habe. Denn sonst wäre seine Arbeit<br />

ja umsonst gewesen. Undesgibt keinen<br />

Preis“, sagt Alba.<br />

Trüffel sind verletzlich<br />

Die Trüffelsammlerin wirft ein Kissen<br />

auf den Boden, kniet sich darauf<br />

und beginnt, mit den Händen ein<br />

kleines Loch um die markierte Stelle<br />

zu buddeln. Dann holt sie ein Spezialmesser<br />

aus dem Hüftgurt und beginnt<br />

zu schaben. Die meisten Trüffel<br />

befinden sich etwa 15 Zentimeter<br />

unter der Oberfläche. „Man muss<br />

sehr vorsichtig sein, denn man kann<br />

die Trüffel leicht übersehen und beschädigen“,<br />

erklärtAlba.<br />

Dann fragt sie Jordi, ob er die<br />

Trüffel ausgraben möchte. Jordi<br />

Aguiló und seine Freundin Noelia<br />

Bañares sind aus Valencia gekommen,<br />

um ein Trüffel-Wochenende in<br />

Gúdar-Javalambrezuverbringen.<br />

„Wir lieben den Geschmack und<br />

wollten mehr über Trüffel erfahren.<br />

Und natürlich gut essen“, erzählt<br />

Jordi. Behutsam scharrt der Tierarzt<br />

die Erde zur Seite –und trotzVorwarnung<br />

schneidet er die kleine,braune<br />

Knolle fast an.<br />

Alba erklärt dem Pärchen alles<br />

rund um die sündhaft teuren Pilze<br />

und ihreErnte.Die 25-Jährige kennt<br />

sich gut aus.Immerhin ist sie bereits<br />

die dritte Generation ihrer Familie,<br />

die auf rund 50 Hektar in der Hügellandschaft<br />

zwischen Mora de Rubielos<br />

und Sarrión Trüffel kultiviert.<br />

DieTuber Aestivums,die innen weißen<br />

Sommertrüffel, werden zwischen<br />

Maiund Juli geerntet und die<br />

begehrteren schwarzen Trüffel, die<br />

In Teruel ist der Anbau und Handel mit Trüffel der Motor der Region. IMAGO IMAGES/PANTHERMEDIA<br />

Tuber Melanosporums, von November<br />

bis März.<br />

Trüffelsuche ist harte Arbeit –<br />

vor allem im Winter, wenn die<br />

schwarzenTrüffel geerntet werden.<br />

Das wird schnell klar, wenn man<br />

Alba und Monte auf den hügeligen<br />

Steineichen-Plantagen zuschaut.<br />

Jede Knolle muss per Hand aus<br />

dem gefrorenen Boden geholt werden.<br />

Auch Jordiund Noelia haben jetzt<br />

Hunger. ImHotel „La Trufa Negra“,<br />

das Albas Familie unterhält, wartet<br />

ein Trüffel-Menü auf die beiden: iberischer<br />

Jamón-Schinken aus Teruel,<br />

Lamm-Schmorbraten, Bratkartoffeln<br />

mit Blutwurst und Pinienker-<br />

nen. Natürlich alles mit Trüffeln gekocht,<br />

gebraten oder verfeinert.<br />

Albas Familie gehört zuden Pionieren<br />

im erst langsam aufkommenden<br />

Trüffeltourismus. Bisher verschlägt<br />

es Urlauber eher selten ins<br />

hügelige Hinterland im südlichen<br />

Aragonien. Dabei lockt die Region<br />

ganzjährig mit verschlafenen Dörfern,<br />

alten Burgen, einsamen Wanderrouten<br />

und versteinerten Dinosauriern.<br />

Trüffel gegen die Abwanderung<br />

Auch die Gourmetwelt entdeckt nun<br />

die abgeschiedene Region.„Doch das<br />

hat gedauert. Seit über 15 Jahren bieten<br />

wir Trüffel-Menüs an. Aber Sie<br />

glauben gar nicht, wie schwierig es<br />

war,die spanischen Kunden zu überzeugen,<br />

das Produkt überhaupt zu<br />

probieren“, sagt Manolo Górriz. In<br />

Rubielos de Mora, einem mittelalterlichen<br />

Bilderbuchdorf, unterhält er in<br />

einem alten Palast das Hotel „Los<br />

Leones“ mit dem besten Trüffelrestaurant<br />

der Region.<br />

Langsam spricht sich herum, welche<br />

Gaumenfreuden Besucher in der<br />

Region erwarten. Immer mehr Restaurants<br />

bieten gerade zur Erntezeit<br />

Trüffel-Menüs an. In Sarrión findet<br />

samstags ein Trüffelmarkt statt.<br />

Eigentlich handle es sich um ein Geschäft<br />

für Verrückte, denn Trüffel<br />

könnten im eigentlichen Sinne nicht<br />

kultiviert werden, sagt Julio Perales,<br />

Vorsitzender der regionalen Trüffelbauer-Vereinigung.<br />

Man kann aber<br />

nachhelfen, dass Trüffel wachsen:<br />

„Dafür infizieren wir in Gewächshäuserndie<br />

Keimlinge der Steineichen mit<br />

Trüffelpilzsporen und pflanzen diese<br />

später an. Nach zehn Jahren stellt sich<br />

erst heraus,obesfunktionierthat.“<br />

Doch die Rechnung scheint aufzugehen.<br />

DerGourmet-Pilz ist heute<br />

Wirtschaftsmotor der abgelegenen<br />

Provinz. Von November bis März<br />

werden hier bis zu 40 Tonnen der<br />

Schwarzen Trüffel geerntet. „Ohne<br />

diese Einnahmequelle hätten noch<br />

mehr Leute unsere ohnehin schon<br />

menschenleere Region verlassen.<br />

Die Trüffel erlauben es uns, nicht<br />

wegziehen zu müssen“, sagt Julio.<br />

Und vielleicht kommen ja einige<br />

bald wieder, wenn der kulinarische<br />

Tourismus erst einmal richtig Fahrt<br />

aufgenommen hat. (dpa)

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