Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
30 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 297 · 2 1./22. Dezember 2019<br />
·························································································································································································································································································<br />
Feuilleton<br />
SONNTAGSKRIMI<br />
Leise<br />
rieselt das<br />
Mehl<br />
VonTorsten Wahl<br />
Der eine trinkt lieber Champagner,der<br />
andereBier.Trotzdem<br />
müssen Rechtsmediziner Karl-<br />
Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers)<br />
und Kommissar Frank Thiel (Axel<br />
Prahl) mit Staatsanwältin Wilhelmine<br />
Klemm (Mechthild Grossmann)<br />
einen Glühwein auf dem<br />
Münsteraner Weihnachtsmarkt trinken<br />
–und beiden ist anzusehen, wie<br />
sehr sie sich damit quälen. Zu den<br />
seltsamen Ritualen in der Adventszeit<br />
gehört auch das Verfertigen heimeliger<br />
„Weihnachtsfilme“, dieser<br />
Brauch verschont nicht mal mehr<br />
den „Tatort“. Boerne und Thiel,<br />
beide Single,haben nichts Festes vor<br />
und können sich also in einen Fall hineinknien,<br />
der schon vor Gericht<br />
verhandelt wurde. Doch dann entführt<br />
ein Russe im Weihnachtsmannkostüm<br />
(Sascha Alexander<br />
Gersak) Kommissarin Krusenstern<br />
(Friederike Kempter), um die Ermittlungen<br />
neu aufrollen zu lassen. Seltsamerweise<br />
nehmen die Polizisten<br />
die Entführung einer Kollegin nicht<br />
sonderlich ernst, sondern recherchieren<br />
irgendwie vor sich hin –das<br />
wirkt mitunter fast so einschläfernd<br />
wie ein lauer Punsch. Am auffälligsten<br />
bleiben noch die Albtraum-Bilder,<br />
die Kommissar Thiel befallen<br />
und bei denen die Stammautoren<br />
Stefan Cantz und JanHinter die allerdicksten<br />
Russen-Klischees bemühen:<br />
Mal brüllt der russische Bär<br />
herum, mal schlägt Väterchen Frost<br />
zu. Der Entführer wiederum trinkt<br />
gern Wodka und findet, alle Russen<br />
seien ein bisschen irre. Es dauertfast<br />
eine volle Stunde, bis der Film von<br />
Torsten C. Fischer mit der ersten<br />
wirklich spannenden Szene aufwartet<br />
–David Bennent hatte schon von<br />
Beginn so diabolische Blicke über<br />
den Weihnachtsmarkt schweifen<br />
und eine Vorliebe für Nussknacker<br />
erkennen lassen. Erst danach findet<br />
der Krimi zu seiner gewohnten<br />
Münsteraner Mischung aus bizarren<br />
Details und launigen Dialogen, und<br />
wie hier Elefantengetröte, eine alte<br />
Mühle und die Mehlstauballergie<br />
von Kollegin Krusenstern miteinander<br />
zu einem Finale im Mehlnebel<br />
verwirbelt werden, das macht dann<br />
doch wieder Spaß.<br />
Tatort: Väterchen Frost Sonntag, 22.12.,<br />
20.15, ARD<br />
Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jan Josef<br />
Liefers) nach einem Glas Glühwein. WDR<br />
TOP 10<br />
Donnerstag,19. Dezember<br />
1 Harter Brocken ARD 5,01 16 %<br />
2 Die Bergretter ZDF 4,72 15 %<br />
3 Tagesschau ARD 4,39 15 %<br />
4 Wer wird Millionär? RTL 3,94 14 %<br />
5 heute-journal ZDF 3,87 14 %<br />
6 SOKOStuttgart ZDF 3,64 18 %<br />
7 heute ZDF 3,63 16 %<br />
8 Wer weiß denn ...? ARD 3,62 18 %<br />
9 Notruf Hafenkante ZDF 3,27 12 %<br />
10 Leute heute ZDF 2,86 17 %<br />
ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %<br />
Das Buch „Als Hitler das<br />
rosa Kaninchen stahl“<br />
hat Generationen von<br />
Lesern geprägt. Die Autorin<br />
und Zeichnerin Judith Kerr<br />
(1923–2019) erzählt darin von der<br />
Flucht ihrer Familie aus Nazideutschland.<br />
IhrVater war zwar der berühmteste<br />
Theaterkritiker der Weimarer<br />
Republik, in den Augen der Nationalsozialisten<br />
aber war er Jude und<br />
Staatsfeind. Caroline Link, die 2003<br />
für „Nirgendwo in Afrika“ mit dem<br />
Oscar für den besten fremdsprachigen<br />
Film ausgezeichnet wurde, hat<br />
nun das Kinderbuch in einer Weise<br />
verfilmt, die auch Erwachsene interessieren<br />
dürfte.Der Film läuft Weihnachten<br />
an –ineiner Zeit, da Familien<br />
Zeit fürs Kino haben.<br />
Sind Sieaufgeregt vordem Filmstart?<br />
Ja.<br />
Weshalb? Weil Ihr Weihnachten 2018<br />
gestarteter Film so ein großer Erfolg<br />
im sonst oft so leeren deutschen Kino<br />
war und man nun zu diesem Weihnachtsfest<br />
den nächsten erwartet?<br />
Ich versuche zu verstehen,<br />
warum diesmal so viele Journalisten<br />
mit mir sprechen wollten. Ist das<br />
Buch die Attraktion? Meine Art, wie<br />
ich es umgesetzt habe? Binich es womöglich?<br />
Undwenn der Hintergrund<br />
ist, dass „Der Junge muss an die frische<br />
Luft“ so gut angekommen ist,<br />
baut sich ein großer Erwartungsdruck<br />
auf. Denn dieses Buch ist ganz<br />
anders,der Film auch.<br />
„Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“<br />
haben seit Anfang der 70er-JahreMillionen<br />
vonMenschen gelesen. Diehaben<br />
ihreVorstellungen im Kopf.<br />
Interessanterweise wissen viele<br />
aber gar nicht mehr so genau, was in<br />
dem Buch passiert. Sie merken gar<br />
nicht, was wir alles veränderthaben.<br />
Kannten Sie das Buch, bevor Sie sich<br />
mit dem Film beschäftigten?<br />
Ich habe es als Kind gelesen. Ich<br />
bin 64er-Jahrgang, es war Pflichtlektüreinder<br />
Schule.<br />
Im Westen.<br />
Ja, in Bad Nauheim. Im Osten<br />
nicht?<br />
Seltsamerweise nicht.<br />
Ach, es wärejaeigentlich passend<br />
gewesen. Mich hat das Buch damals<br />
sehr beeindruckt. Ich wusste als<br />
Kind wenig über den Nationalsozialismus.Obwohl<br />
der Krieg doch noch<br />
so nahe war.Erst als ich in München<br />
aufs Gymnasium ging, sprachen wir<br />
mehr über diese Zeit. Judith Kerr hat<br />
es auch deshalb geschrieben, weil sie<br />
das Gefühl hatte, die Elterngeneration<br />
spreche nicht. Undsie wollte ein<br />
Buch, vor dem man keine Angst haben<br />
muss. Das war ein Grund,<br />
warum ich gern den Film machen<br />
wollte.Weil ich es so mutig finde von<br />
Judith Kerr, über die Flucht einer jüdischen<br />
Familie ein so positives<br />
Buch zu schreiben.<br />
Die freundliche Stimmung des Buches<br />
trägt auch den Film. Man sieht<br />
die Schwere dieses Schicksals gebrochen<br />
durch die Leichtigkeit, wie sie<br />
die Figur Anna mitbringt, also Judith<br />
Kerrs Alter Ego.<br />
Ich habe viel darüber nachgedacht.<br />
Judith Kerr hatte ja gesagt,<br />
diese Zeit sei die schönste ihres Lebens<br />
gewesen. Mirleuchtet ein, dass<br />
„Judith Kerr erzählt<br />
das Große im Kleinen“<br />
Die Oscar-Preisträgerin Caroline Link hat das Buch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ verfilmt.<br />
Sie zeigt eine Geschichte von Heimatverlust, die in unsere Gegenwart passt. Wiehat sie das gemacht?<br />
Kinder nicht den großen Luxus,sondern<br />
Geborgenheit brauchen. Aber<br />
wie ihre Eltern diese trotz ihrer existenziellen<br />
Sorgen vermitteln konnten,<br />
finde ich sehr erstaunlich. Sie<br />
hat das Buch spät geschrieben, vielleicht<br />
hat sie dabei etwas verklärt.<br />
Sieschrieb „Als Hitler das rosa Kaninchen<br />
stahl“, als sie selbst schon Kinder<br />
hatte.<br />
Aber ob sie sich da noch so genau<br />
erinnern konnte? Ich beschäftige<br />
mich gerade viel mit Kinderpsychologie,weil<br />
ich als nächstes eine Serie<br />
schreibe über einen Kinderpsychotherapeuten.<br />
Mit der Therapeutin,<br />
die mich dabei berät, habe ich mich<br />
darüber unterhalten, ob es möglich<br />
war,den Kummer der Elternnicht zu<br />
spüren. Oder ob sie nicht doch viel<br />
verdrängt hat.<br />
Der Vater gab der Tochter die Verpflichtung<br />
mit: Du sollst glücklich<br />
werden. Als ich Judith Kerr 2016 in<br />
Berlin zum Interview traf, sagte sie,<br />
ihreEltern hätten die Familie zu einer<br />
Insel gemacht.<br />
Schöne Formulierung.<br />
Genau das strahlt Ihr Film aus: Was<br />
auch geschieht, die Kinder dürfen<br />
sich der Liebe ihrer Eltern sicher sein.<br />
Die Mutter wollte sich umbringen!<br />
DieVerzweiflung und die Not der Erwachsenen<br />
sind ja auch zu sehen. Die<br />
Mutter, die nicht kochen kann, die<br />
ihre Opern-Partitur mit auf die<br />
Flucht nimmt –und vonder wir wissen,<br />
dass sie erst nach Kriegsende uraufgeführt<br />
wurde. Das sehen vielleicht<br />
bloß die erwachsenen Zuschauer.<br />
Denn nach meinem Eindruck<br />
ist es möglich, den Film etwas<br />
heiterer oder etwas schwermütiger<br />
wahrzunehmen. Was auch an der<br />
Kunst der Darsteller liegt. Wie haben<br />
Sie die gefunden, vor allem die<br />
Hauptperson?<br />
Wir haben wie üblich große Aufrufe<br />
gemacht. Ichmöchte immer ein<br />
Kind finden, das noch nie etwas gedreht<br />
hat, weil ich glaube, dass Kinder<br />
sich verändern, wenn sie so im<br />
Zentrum stehen. Wenn sie sich Gedanken<br />
machen über ihre Wirkung,<br />
ist eigentlich der Punkt gekommen,<br />
da sie eine Ausbildung machen<br />
müssten. Die Riva Krymalowski ist<br />
über eine Agentur zu uns gekommen.<br />
Siewar sehr auffällig unter den<br />
ganzen Kindern, die man da so<br />
durchschleust an einem Tag. Einerseits<br />
ist sie schon sehr erwachsen in<br />
ihrem Auftreten, andererseits hat sie<br />
eine große Einfühlungsgabe,sie versteht,<br />
was sie da spielt.<br />
Hatsie das Buch gelesen?<br />
Klar. Sie geht sogar in Grunewald<br />
auf die Schule,auf der Judith Kerr bis<br />
zu ihrer Flucht war. Im Gebäude<br />
hängen Bilder von Lesungen, die<br />
Kerr als alte Dame dortgemacht hat.<br />
Diese Rolle zu spielen, hat die ganze<br />
Familie von Riva als großes Erlebnis<br />
empfunden.<br />
Ihre beiden jüngsten Filme beruhen<br />
auf Biografien. Bei „Der Junge muss<br />
an die frische Luft“ hatten Sie den<br />
Helden vor Augen, konnten ihn fragen.Wiewar<br />
es mit Judith Kerr? Sieist<br />
im Mai dieses Jahres gestorben. Hatten<br />
Siezuihr Kontakt?<br />
Ja, wir haben mehrfach telefoniert.<br />
Ich habe ihr „Nirgendwo in<br />
Interview: Cornelia Geißler<br />
ZUR PERSON<br />
Leben: Caroline Link, 1964 in Bad Nauheim<br />
(Hessen) geboren, studierte an der<br />
Hochschule für Film und Fernsehen München.<br />
Sie lebt mit dem Regisseur Dominik<br />
Graf und der gemeinsamen Tochter in<br />
München.<br />
Filme: Aufunterschiedliche Weise stellt<br />
Caroline Link meist Kinder und Jugendliche<br />
ins Zentrum ihrer Filme: „Jenseits der<br />
Stille“ (1996) handelt voneinem hörenden<br />
Mädchen mit gehörlosen Eltern.<br />
„Pünktchen und Anton“ (1999) holt Erich<br />
Kästners Klassiker in die Gegenwart. „Nirgendwo<br />
in Afrika“ (2001) erzählt voneiner<br />
jüdischen Familie in der Fremde. „Im<br />
Winter ein Jahr“ (2008) dreht sich um die<br />
Folgen des Suizids eines Jungen für dessen<br />
Mutter und Schwester.In„Exit Marrakech“<br />
(2013) versuchen sich Vater und<br />
Sohn zu versöhnen. „Der Jungemuss an<br />
die frische Luft“ (2018) erzählt die Kindheit<br />
vonHape Kerkeling.<br />
Preise: Caroline Link erhielt viele Auszeichnungen,<br />
darunter sind der Oscar<br />
2003 für „Nirgendwo in Afrika“ und 2018<br />
der Verdienstorden der Bundesrepublik<br />
Deutschland 1. Klasse.<br />
Riva Krymalowski spielt Anna, hier noch<br />
vereint mit dem Kaninchen. DPA/WARNER BROS.<br />
Afrika“ geschickt, weil das auch die<br />
Geschichte einer jüdischen Familie<br />
im Exil ist. Er hat ihr gefallen. Als wir<br />
miteinander sprachen, war es ihr<br />
sehr wichtig, dass die Erinnerung an<br />
ihren Vater nicht beschädigt wird.<br />
Wiekam sie darauf?<br />
Sie hatte wohl Angst, dass er zu<br />
kritisch gesehen werden könne. Das<br />
wäre mir gar nicht eingefallen. Mich<br />
interessieren Vater-Tochter-Geschichten.<br />
Unddiese Innigkeit ist im<br />
Roman sehr starkbeschrieben. Dass<br />
Alfred Kerr auch scharfzüngig und<br />
sogar ein wenig eitel war, wollte ich<br />
nur andeuten. In Deutschland war er<br />
eine Berühmtheit, und er hat durch<br />
das Exil alles verloren –die Fähigkeit,<br />
in seiner Sprache zu arbeiten.<br />
DasBuch wurde 1978 fürs (West-)Fernsehen<br />
verfilmt. Nach dem, was ich<br />
darüber gelesen habe, war Judith Kerr<br />
damals nicht sonderlich begeistert.<br />
Obwohl ihr Mann das Drehbuch<br />
geschrieben hatte. Diesmal war sie<br />
positiv gestimmt, allerdings auch ein<br />
bisschen zermürbt, weil das Projekt<br />
schon sehr lange ging.<br />
Washeißt das? Seit wann arbeiteten<br />
Siedaran?<br />
Nicht ich selbst. Es gab bereits andere<br />
Kollegen, die den Film drehen<br />
wollten, aber es hatte sich zerschlagen.<br />
Das ging über einige Jahre. Auf<br />
mich kamen schließlich die Produktionsfirmen<br />
zu.<br />
Verraten Sie bitte etwas, worin Sie<br />
vomOriginal abweichen.<br />
Gut, dann denken Sie einmal an<br />
das Kindermädchen. Wie wichtig ist<br />
Heimpi im Roman? Ich habe sie intensiviert,<br />
weil ich neben dem Gegenstand,<br />
dem rosa Kaninchen, einen<br />
Menschen haben wollte, der für<br />
Heimat steht –wie eine Oma.<br />
Diese Omafigur haben Sie glücklicherweise<br />
schon in „Der Junge muss<br />
an die frische Luft“ erprobt.<br />
Ursula Werner ist eine so kluge,<br />
wunderbare, differenzierte Darstellerin,<br />
viel mehr als nur eine knuddelige<br />
Oma. Siekann mit Blicken wirklich<br />
vielschichtig erzählen.<br />
Überzeugt so ein Heimwehmensch<br />
die Zuschauer heute mehr als ein<br />
Stofftier?<br />
Nein, nein, für diesen Eindruck<br />
steht zuerst das Kaninchen. Da bin<br />
ich mit Judith Kerr einer Meinung,<br />
dafür bewundere ich sie auch: Dass<br />
sie das Große im Kleinen erzählt, in<br />
den Details.Esgeht um Vertreibung,<br />
um den Verlust vonHeimat, aber für<br />
das 9-jährige Mädchen ist es vor allem<br />
der Verlust des geliebten Stofftieres,<br />
der ihr so zusetzt. Heimpi<br />
kommt noch dazu. Nach ihr konnte<br />
Anna sich erkundigen. Im Kino sind<br />
die Details entscheidend. Man kann<br />
nicht Geschichte nur in großen Bögen<br />
erzählen, das wäre langweilig,<br />
das wäreGeschichtsunterricht. ErinnernSie<br />
sich an den roten Mantel in<br />
„Schindlers Liste“?<br />
Ja. Und wenn ich daran denke, erinnere<br />
ich mich auch an mein Gefühl<br />
vondem Film.<br />
Genau so meine ich das: Das Kaninchen<br />
ist ein Stellvertreter, das<br />
Konkrete, um von einer großen<br />
Emotion zu erzählen. Wenn jemand<br />
vomVerlust eines Ortes oder Landes<br />
spricht, ist das zu ungenau. Wenn er<br />
aber von seiner Heimat spricht, indem<br />
er das Brot seiner Mutter beschreibt<br />
oder die Fußmatte vor dem<br />
Stall, dann weiß ich, was er meint.<br />
Dashabe ich vonEdgar Reitz gelernt,<br />
mit der ersten „Heimat“: Mit den<br />
kleinen Schicksalen der Menschen<br />
dieses Dorfes im Hunsrück hat er<br />
große deutsche Geschichte erzählt.<br />
Judith Kerr hat es auch so gemacht.<br />
Haben Sie bei Ihrer Arbeit ein Publikum<br />
vorAugen?<br />
Das mag seltsam klingen, aber<br />
seit meinem ersten Film„Jenseits der<br />
Stille“ habe ich mein Publikum, und<br />
das ist überwiegend weiblich. Es<br />
liegt vermutlich daran, dass ich Geschichten<br />
über Familien und Kindheiten<br />
erzähle, die interessieren vor<br />
allem erwachsene Frauen. Nur bei<br />
„Pünktchen und Anton“ habe ich<br />
mich explizit an kleine Kinder gewandt.<br />
Sie hatten von Beginn an Kinder im<br />
Mittelpunkt. Hat sich das Filmemachen<br />
für Sie durch die Mutterschaft<br />
verändert?<br />
Natürlich ist die Freiheit, einfach<br />
loszugehen und Filme zu machen,<br />
wann man will, eingeschränkt, wenn<br />
man eine Familie hat. Ichmuss mich<br />
schon mit dem Dominik absprechen,<br />
meinem Partner. Jetzt, da unsereTochter<br />
17 ist, gestaltet sich das<br />
wieder einfacher. Also, die Bedingungen<br />
haben sich verändert, aber<br />
nicht mein Blick auf Kindheit und<br />
Familie.<br />
Ist Ihr Lebensgefährte Dominik Graf<br />
auch ein Arbeitspartner für Sie?<br />
Dominik ist mein wichtigster Ratgeber.<br />
Ermuss jedes Drehbuch lesen.<br />
Ich erzähle ihm alle Drehbuch-<br />
Ideen. Oft sagt er dann:Warumfragst<br />
du mich eigentlich, du machst sowieso,<br />
was du willst. Aber der Austausch<br />
ist mir sehr wichtig.<br />
Sie haben vorhin anklingen lassen,<br />
dass auch Sie, wie inzwischen einige<br />
Ihrer Kino-Kollegen, eine Serie schreiben.<br />
Können Sie schon darüber sprechen?<br />
Na ja, hoffentlich klappt es auch<br />
wirklich. Es geht um Kinderpsychotherapie,<br />
um eine spezielle Form,<br />
mit kleinen Kindern zuarbeiten, die<br />
sich noch nicht mit Worten ausdrücken<br />
können. Die Art, wie Kinder<br />
sich durch das Spielen selbst helfen<br />
und Dinge verarbeiten können, fasziniert<br />
mich. Wie mich ja Kindheit<br />
ohnehin sehr interessiert, vor allem<br />
Kinder, die kämpfen müssen. Der<br />
Film „Systemsprenger“ ging in eine<br />
ähnliche Richtung.<br />
Den Film haben Sie natürlich gesehen.<br />
Den fand ich ganz toll. Ich bin<br />
froh, dass er so gut ankommt. Wasja<br />
nicht nur an Nora Fingscheidts<br />
Kunst und Hanna Zengels Darstellung<br />
liegt, sondern auch daran, dass<br />
so viele Kinder und Jugendliche Probleme<br />
haben. Und esstellt sich die<br />
Frage,wie unsereGesellschaft, unser<br />
System, denen helfen kann.<br />
„Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“<br />
erhält durch die gegenwärtigen Verhältnisse<br />
in derWelt große Aktualität.<br />
70 Millionen Menschen sind derzeit<br />
auf der Flucht, darunter sind viele<br />
Kinder. Wollen Sie, dass die Zuschauer<br />
daran denken?<br />
Anna ist ein Mädchen aus unserer