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10 21./22. DEZEMBER 2019<br />
Madonnen-Meeting<br />
im Museum<br />
Anmut auf Pappel- und auf Eibenholz: Raffaels inniglich schöne Muttergottes-Bilder treffen sich<br />
in der Gemäldegalerie Berlin zur Weihnachtsandacht und feiern das Wunder des Lebens<br />
VonIngeborg Ruthe<br />
Ins Brevier vertieft: Raffaels „Maria mit<br />
dem Kinde“, um 1502, Öl auf Pappelholz<br />
SMB/GEMÄLDEGALERIE/JÖRG P. ANDERS<br />
Sinnend: Der Kopf von Raffaels„Madonna<br />
Terranuova“, Fragment des Kartons,<br />
um 1505, Zeichnung auf Papier<br />
SMB/KUPFERSTCIHKABINETT/DIETMAR KATZ<br />
In Gesellschaft: Raffaels „Maria mit<br />
dem segnenden Kind und den Heiligen<br />
Hieronymus und Franziskus“, um 1502,<br />
Öl auf Pappelholz<br />
SMB/GEMÄLDEGALERIE/JÖRG P. ANDERS<br />
Raffael hätte es gefallen. Dieser Popstar der italienischen<br />
Hochrenaissance, geboren 1483 in<br />
Urbino, viel zu jung an einer ungeklärten<br />
Krankheit gestorben am 6. April 1520 in Rom,<br />
liebte es spektakulär und exklusiv.Ergenoss die Bewunderung<br />
seiner Zeitgenossen, der kirchlichen und höfischen<br />
Mäzene wie die der Patrizier. Und die des weiblichen<br />
Geschlechts.<br />
Sein nun in der <strong>Berliner</strong> Gemäldegalerie auf purpurfarbener<br />
Wand arrangiertes Heilige-Nacht-Sextett vereint<br />
alle Superlative, die ein Maler einer blutjungen –die<br />
Bibel behauptet: jungfräulichen – Mutter verleihen<br />
kann: Anmut, berückende Kindfraulichkeit. Und Sanftmut,<br />
die aber zugleich eine innereStärke ausstrahlt, sodass<br />
man an Magnolienblüten aus Stahl denken könnte.<br />
Hinzu kommen demütig-wachsame Hingabe an das<br />
Neugeborene,Innerlichkeit. Undunendliche Liebe.<br />
Raffel war in Urbino bei dem Maler Perugino ausgebildet<br />
worden. Dort gliederte der junge, aufstrebende<br />
Künstler seine Motiveoft noch in eine irdische und eine<br />
himmlische Zone,und geometrische Grundformen, vor<br />
allem Kreise,beherrschten das Bild. Dann ging derWissbegierige<br />
nach Florenz, das damals angesagte und prägende<br />
Kunstzentrum der italienischen Renaissance.Raffael<br />
lernte dort bei Leonardo da Vinci entscheidend<br />
dazu: die kühne Staffelung des Bildraums, die lebensnahe<br />
Bewegtheit der Figuren. Er maß sich, auch später in<br />
Romund dortimDienste der Päpste Julius II. und Leo X,<br />
konkurrenzbewusst an der Maniera Michelangelos, vor<br />
allem, als dieser die Fresken der Sixtinische Kapelle<br />
malte. Eine Referenz an diese Zeit dürfte seine weltberühmte<br />
„Sixtinische Madonna“ in der Dresdner Gemäldegalerie<br />
sein.<br />
Sechs vonRaffaels unnachahmlich lebensnahen Madonnen<br />
sind zum weihnachtlichen Meeting in der <strong>Berliner</strong><br />
Gemäldegalerie zusammengekommen. Fünf dieser<br />
Lieblichen, Sinnenden, Kindfrau-Mütterlichen gehören<br />
der Gemäldegalerie.Die Sechste kam aus London zu Besuch.<br />
Die„Madonna mit den Nelken“, gemalt um 1507,<br />
ist von der National Gallery geliehen. Vorfünfzehn Jahren<br />
hatte das britische Nationalmuseum die souveränspielerische<br />
Darstellung einer in kühles Graublau gekleideten<br />
Muttergottes mit porzellanhafter Haut für 34 Millionen<br />
Pfund vom Duke of Northumberland erworben.<br />
Seither durfte das Werk England nicht mehr verlassen.<br />
Somit ist diese Ausleihgeste an Berlin hoch zu bewerten,<br />
gerade mitten im Brexit-Desaster.<br />
Nunkorrespondiertdiese junge Maria, die dem Baby<br />
auf ihrem Schoß rote Nelken reicht, mit den <strong>Berliner</strong> Madonnen<br />
Raffaels. Die Nelkenblüten symbolisieren blutige<br />
Nägel, das Martyrium Christi ist schon angezeigt. Im<br />
Gegenzug für diese Ikone gibt Berlin kommendes Frühjahr<br />
Raffaels „Madonna Terranuova“ von 1505 in die<br />
Londoner National Gallery–jenes jetzt ebenfalls ausgestellte<br />
runde Tondoformat, auf dem Johannes der Täufer<br />
dargestellt ist. EinMotiv mit einer ganz eigenen, machtpolitisch<br />
tragisch endenden biblischen Geschichte.<br />
GemäldegalerieBerlin: Raffael-Madonnen, Kulturforum, bis<br />
26. April. Am 28. Februar beginnt im Kupferstichkabinett die Schau<br />
mit RaffaelsMeisterwerken auf Papier (bis 1. Juni).<br />
Die Liebliche im kühl graublauen Gewande durfte ausnahmsweise zu Besuch nach Berlin kommen: Raffaels „Madonna<br />
mit den Nelken“, um 1506/1507, Öl auf Eibenholz<br />
NATIONAL GALLERY, LONDON<br />
Gutsch<br />
Leo<br />
Vor ein paar Tagen ging mein Handy kaputt.<br />
Es fiel auf den Boden, das Display<br />
zersprang. Im Internet fand ich eine Firma,<br />
die gebrauchte Handys anbietet. Diese Handys<br />
wurden als„neuwertig“ angepriesen und<br />
waren sehr günstig –eine Tatsache, die bei<br />
mir große Freude auslöste.<br />
Ich bestellte sofort ein Handy, auf das ich<br />
noch immer warte. Dafür bekam ich aber<br />
eine E-Mail. Von Peter. Anscheinend ist er<br />
der Firmenchef. Peter schrieb:„Wir möchten<br />
Dir herzlich danken, Jochen. Dank Dir sind<br />
wir einen Schritt weiter, die Umwelt zu<br />
schützen.“ Dank mir? Echt? Peter schrieb:<br />
„Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie umweltschädlich<br />
elektronische Neugeräte sind.<br />
Bei der Produktion entstehen Unmengen<br />
vonCO 2 -Emissionen.“<br />
Schau an, dachte ich. So leicht ist es also,<br />
ein Umweltheld zu sein. Einfach ein altes<br />
Handy kaufen. Gleichzeitig spürte ich aber<br />
auch ein moralisches Unbehagen. Am liebsten<br />
hätte ich zurückgeschrieben: „Lieber<br />
Peter, ich habe Deinen Dank nicht verdient.<br />
Womöglich hätte ich das Handy auch gekauft,<br />
wenn es versklavte Kinder aus der<br />
Dritten Welt mit ihren von Krieg und Unterernährung<br />
verstümmelten Händchen<br />
zusammengebaut hätten. Die Wahrheit ist:<br />
Ich wollte ganz einfach Geld sparen, lieber<br />
Peter.Andie Umwelt habe ich keine Sekunde<br />
lang gedacht. Mit beschämten Grüßen!<br />
Jochen“.<br />
Stattdessen schrieb mir Peter erneut:<br />
„Lieber Jochen, für jedes verkaufte Gerät<br />
pflanzen wir einen Baum. Wir haben dabei<br />
drei Länder für Dich zur Auswahl!“<br />
Ich entschied mich für Haiti. Und gegen<br />
Burmaund Madagaskar.Das tat mir in Nachhinein<br />
sehr leid. Hatten Burma und Madagaskar<br />
etwa keinen Baum verdient?<br />
Dann schrieb wieder Peter: „Lieber Jochen,<br />
im Laufe des nächstes Jahres schicken<br />
wir Dir immer wieder Infos, wie sich Dein<br />
Baum entwickeln wird.“ Bitte nicht! Ich<br />
wollte wirklich nur ein Handy kaufen. Jetzt<br />
Freudvoll sündigen,<br />
freudvoll büßen<br />
VonJochen-Martin Gutsch<br />
bin ich plötzlich Baumpate in Haiti und<br />
werde mit monatlichen Baum-Fotos zugemüllt.<br />
Undüberhaupt: Ist das nicht ein seltsames<br />
Vorgehen? Für jedes gekaufte Handy<br />
wirdauf Haiti ein Baum gepflanzt.<br />
Kaufe ich nun sehr viele Handys, sagen<br />
wir 5000 Stück, dann entsteht auf Haiti sogar<br />
ein kleiner Wald. Mein Wald! Der „Jochen-<br />
Gutsch-Handy-Forest“.<br />
VorKurzem flog ich auch in den Urlaub,<br />
nach Thailand. Das produzierte leider 5204<br />
Kilogramm CO 2 .Ich habe das im Internet,<br />
von einer Umweltschutzorganisation, berechnen<br />
lassen. Um diese Sauerei zu kompensieren,<br />
sollte ich dann 120 Euro spenden.<br />
Für Umweltprojekte. Zur Auswahl standen:<br />
„Kleine Öfen für Haushalte in Ruanda“.<br />
Oder:„Biogas aus Kuhdung“ in Nepal. Oder:<br />
„Erneuerbare Energien aus Ernteresten“ in<br />
Indien.<br />
Ich entschied mich für die Öfen in<br />
Ruanda. Dachte dann aber später, dass dieses<br />
Kompensationsprinzip womöglich auch<br />
einen falschen Anreiz setzt. Umso mehr ich<br />
fliege, umso mehr wird kompensiert. Oder<br />
anders gesagt: je mehr Flüge, desto mehr<br />
Öfen. Ichfliege wie wild durch die Welt, kann<br />
aber immer sagen: Ich tue das nur für Ruanda!<br />
Trotzdem gefällt mir das Kompensationsprinzip.<br />
Es hat etwas angenehm Katholisches.<br />
Erst freudvoll sündigen, dann freudvoll<br />
Buße tun.<br />
Leider funktioniert die Kompensation<br />
nur so lange,bis die Armen auch mal fliegen<br />
wollen. Oder zu Wohlstand kommen. Dann<br />
wollen die Leute in Ruanda oder Burmaauch<br />
ihr CO 2 kompensieren. Und schicken vielleicht<br />
Öfen nach Deutschland. Oder, Gott<br />
bewahre, Biogas aus Kuhdung.<br />
Das darf natürlich nicht passieren. Wo<br />
sollen wir, die reichen Westler, sonst unsere<br />
moralische Schuld abbezahlen? Auf dem<br />
Mond?<br />
Gut, dass es die Dritte Welt gibt, dachte<br />
ich. Niewar sie so wertvoll wie heute.