UNTERWEGS IN FRANKREICH Elsass 30 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2019</strong>
wusste das. Sie beschloss also spontan, die vom Abriss bedrohten Häuser abzutragen und an einem anderen Ort identisch wieder aufzubauen. Eine « Rumpelkammer von 68ern » Um die Organisation zu vereinfachen, wurde 1973 der Verein Maisons paysannes d’Alsace gegründet, was dem Projekt gleichzeitig einen « offiziellen Charakter » verlieh. 1980 fand man dann das passende Grundstück: Die Stadt Ungersheim, zwischen Colmar und Mühlhausen, war vom Vorhaben und der Entschlossenheit dieser « Ab- und Aufbauer » beeindruckt und stellte dem Verein ein zehn Hektar großes, brachliegendes Grundstück zur Verfügung. Dort konnten die aus dem ganzen Elsass stammenden, abgetragenen Häuser wieder aufgebaut werden. Schnell war das Gelände von Balken, Holzbrettern und anderen Baumaterialien übersät, und nur die Mitglieder des Vereins schienen in der Lage zu sein, die Systematik dieser Lagerung zu verstehen … Auch wenn manche dies als « Rumpelkammer von 68ern » bezeichneten, ließen sich die angehenden Architekten dadurch nicht entmutigen. Im Gegenteil. Alle wussten ganz genau, wozu die diversen Materialhaufen dienten. Zudem hatten sie eine bestimmte Idee, ein etwas verrücktes Vorhaben im Hinterkopf: Sie wollten hier ein Freilichtmuseum kreieren. Zur Überraschung aller und vor allem zur Überraschung der Kritiker des Projektes, die dieses als eindeutig utopisch eingestuft hatten, wurde im September 1980 der Wiederaufbau des ersten Hauses fertiggestellt. Es stand prächtig da und war der Beweis, dass die Idee realisierbar war. Es war ein enormer Erfolg. Der damalige Präsident des Conseil départemental du Haut-Rhin, Henri Goetschy, war enthusiastisch und davon überzeugt, dass die Vereinsmitglieder dadurch ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatten. Er schloss daher eine nachhaltige Partnerschaft mit dem Verein, durch die das utopische Projekt des Freilichtmuseums Realität wurde. Was das « Rohmaterial » anging, so hatte man die Qual der Wahl, denn in den 80er-Jahren wurden im Elsass pro Jahr schätzungsweise 400 traditionelle Fachwerkhäuser abgerissen … Dies stachelte die Motivation der Frauen und Männer von Maisons paysannes d ’Alsace jedoch nur noch mehr an. Von ihrer Leidenschaft angetrieben, trugen sie Gebäude ab und bauten sie beherzt wieder auf. Die meisten engagierten sich in ihrer Freizeit, am Wochenende und im Urlaub. Auf diese Weise entstanden auf dem Gelände in Ungersheim 20 traditionelle elsässische Häuser. Die Bewohner der Gegend wurden mit Verwunderung Zeugen davon, wie sich das Brachland allmählich in ein Dorf verwandelte. Abgesehen vom Erstaunen begann sich jedoch bald auch ein gewisser Stolz breitzumachen. Man wurde sich darüber bewusst, dass dieses architektonische Kulturerbe ein wahrer Schatz ist und darüber hinaus einen unglaublichen Charme ausstrahlt. Und Charme – das Die Besonder heit des Écomusée d‘Alsace liegt darin, dass es das architektonische Kulturerbe und die Traditionen des Elsass nicht einfach präsentiert, sondern sie lebendig darstellt. Unter dem neugierigen Blick der Störche werden die landwirtschaftlichen Maschinen und Werkzeuge regelmäßig in Betrieb genommen und die Bauernhöfe bewirtschaftet. Zu den 50 000 Objekten, die im ganzen Elsass zusammengetragen wurden, gehören auch einige Kuriositäten, wie der erstaunliche Haartrockner aus dem Jahr 1935 (Seite 28). Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2019</strong> · 31