FRANKREICH HEUTE Kultur Noch nie war das Problem der Grünalgen so aktuell wie heute Während der Arbeit an dieser Ausgabe von Frankreich erleben machten die Grünalgen leider wieder auf tragische Weise in der Bretagne von sich reden. Anfang Juli kam ein 18-jähriger Austernzüchter in der Baie de Morlaix (Finistère) ganz plötzlich ums Leben. Sein Leichnam wurde an einem Ort gefunden, an dem ein ungewöhnlich hohes Aufkommen an Grünalgen zu verzeichnen war. Die Staatsanwaltschaft ordnete die Obduktion der Leiche an, um die genaue Todesursache zu klären. Gleichzeitig gab es Mitte Juli in der Bucht von Saint-Brieuc (Côtes-d’Armor) zu einem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt so viele Grünalgen wie noch nie. Die Folge: Die Fabrik zur Wiederverwertung organischer Abfälle in Lantic, in der die eingesammelten Algen dieser Gegend verarbeitet werden, wird der Menge nicht Herr, zumal die Algen anscheinend beim Einsammeln schlecht ausgewrungen wurden, was die Verarbeitung erschwert. Laut der Zeitung Les Echos vom 14. Juli <strong>2019</strong>, musste « der Betrieb früher als üblich innerhalb einiger Wochen mehr als 8000 Tonnen aufnehmen; dies entspricht der Gesamtmenge des Vorjahres. » In der Zwischenzeit « breiten die Kommunen die Algen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen aus, während man auf die Wiedereröffnung der Fabrik wartet […] in der Hoffnung, dass die Algen dann besser abgetropft sind und die Menge verarbeitet werden kann … ». Wie der Comic aufzeigt, ist es also offensichtlich, dass das Problem der Grünalgen, bei Weitem nicht gelöst ist. entdeckt eine französische Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, sich selbst zu hinterfragen, eine Gesellschaft, in der finanzielle und wirtschaftliche Interessen über Umwelt und Gesundheit dominieren. Wobei Frankreich in diesem Punkt natürlich bei Weitem nicht alleine dasteht. Das Album macht deutlich, dass auf allen Ebenen Druck ausgeübt wird, um die Angelegenheit zu vertuschen oder zumindest zu verharmlosen. « Es handelt sich doch nur um ein paar Algen », versucht man zu beschwichtigen. Doch dem ist nicht so, absolut nicht. Das Problem ist weit schwerwiegender. Es hängt offenbar damit zusammen, dass man ab den 60er-Jahren in der Bretagne bestrebt war, Landwirtschaft und Industrie im Gewaltmarsch zu modernisieren. Die bretonischen Bauern wehrten sich zwar anfangs in großer Zahl gegen eine ungezügelte Produktivität, waren aber letzten Endes gezwungen, ihre Betriebe umzuwandeln oder sogar aufzugeben und stattdessen in neu entstandenen Fabriken zu arbeiten. Parallel dazu wurde in der Region eine intensive Schweinemast eingeführt. In diesem Zusammenhang nennt der Comic einige aufschlussreiche Zahlen: In der Bretagne werden auf 6 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Hexagons 58 % des französischen Schweinefleisches produziert. Es gibt dort mehr als doppelt so viele Schweine (7,3 Millionen) wie Menschen (3,2 Millionen). Wenn man an die dadurch verursachten organischen Abfälle denkt, die im Grundwasser und in Flüssen landen, wundert man sich nicht mehr, dass das ökologische Gleichgewicht gestört ist. Und der Comic enthüllt weiterhin, dass das Institut Scientifique et Technique des Pêches Maritimes bereits 1988 daraus folgerte, dass die durch die Landwirtschaft entstehenden Phosphate und Nitrate die bretonische Küste verschmutzen. Da Nitrate ein Düngemittel sind, fördern sie das Wachstum der Algen, womit sich das Problem der Grünalgen erklären lässt. Die Argumentation derer, die diese Problematik seit Jahren verharmlosen, beschränkt sich darauf, dass dies « nur eine der möglichen Erklärungen » sei, dass es auch noch andere geben könne … Auf diese Weise will man Zeit gewinnen. Dies ist eindeutig nicht die Absicht der beiden Autoren, Inès Léraud und Pierre Van Hove, die in diesem Comic die tatsächlichen Hintergründe aufzeigen und nicht davor zurückschrecken, den Finger in die Wunde zu legen. Legt man das wirklich seriös recherchierte Album aus der Hand, ist einem klar, dass es allerdings keinen Grund gibt, die Schuld alleine bei den Landwirten zu suchen, sie als die einzigen Sündenböcke abzustempeln. Denn Schuld haben auch die Gesellschaft als solche und die Denkweise der Menschen unserer heutigen Zeit. Allerdings reicht es nicht aus, dies anzuprangern, sondern man muss die Dinge kritisch hinterfragen und so zu einer Veränderung beitragen. Die Bretonen selbst wünschen sich das mehr als alles andere. Und sie verdienen es. In diesem Sinne sollte der mutige und engagierte Comic nicht als Kritik gesehen werden, sondern als ein konstruktiver Beitrag zur Weiterentwicklung und als Lösungsansatz für das Problem der verheerenden Grünalgen … Inès Léraud & Pierre Van Hove, Algues Vertes, l’histoire interdite, La Revue Dessinée/ Delcourt, 162 Seiten, ISBN 978-2413010364 78 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2019</strong>
28. Juli 2009, Bucht von Saint-Michel-en-Grève (Côtes-d’Armor). Was ist passiert? Ich weiß nicht! Es ist plötzlich eingesunken! Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2019</strong> · 79