Das Buch 2020

Wir fahren mit dem Auto dorthin, parken es auf dem Schulhof und betreten das
Schulgebäude. Dann gehen wir den langen Flur zum Klassenraum vorbei an
den anderen Klassenräumen. Der Flur ist zu dieser Zeit nur fahl beleuchtet. Die
Tür steht meist offen, helles Licht fällt aus dem Raum.
Wir sind selten die Ersten. Begrüßen die anderen und die Lehrerin und setzen
uns auf unseren Platz.
Meist immer derselbe Platz, genau wie die gesamte Sitzordnung seit der ersten
Stunde wie in Stein gemeißelt scheint. Jeder und alles hat seine Ordnung und
seinen Platz.
Wenn ich mich in dem Raum umschaue, dann sehe ich an den Wänden die von
den Schülern gemalten Bilder. Eine Weltkarte hängt da und Klassenregeln wie
"Wir lassen den anderen ausreden und hören zu."
"Wir sind nett zueinander"
"Jeder Mensch ist gleich anders, irgendwie." (ok, den habe ich mir ausgedacht)
Zu Anfang der Stunde geht es immer um Wiederholung, um Hausaufgaben und
Vokabeln.
Und während ich da auf dem niedrigen Plastikstuhl sitze, vor mir auf dem
Holztisch der Kugelschreiber, der ausgefranste Spiralnotizblock und das
Lehrbuch, spüre ich, wie eine wundersame Verwandlung mit mir geschieht.
Diese Verjüngung bekommt keine Creme hin, kein Hyaloron oder Botox. Ich bin
Stefan, ein Junge im Alter von 12 oder knapp darüber im Körper eines
51jährigen Mannes.
Das Programm läuft.
Die gleichen Antworten auf die Frage, ob wir die Hausaufgaben erledigt haben.
Die gleichen Ausflüchte, warum mir die richtige Antwort nicht einfällt. Die
gleichen Späße und dummen Bemerkungen, die mir als Schüler herausgefallen
sind.
Nach dem Unterricht, der Verabschiedung, der Rückfahrt geht alles wieder
zurück auf Anfang. Spätestens zuhause bin ich wieder der Alte.
Ok, ich hatte behauptet, dass ein Augenblick reicht, um dich klein werden zu
lassen. Hier ist es eine längere Kette von Momenten, die mich zurückversetzen
in eine andere Zeit, in der ich jünger, kleiner und unbewusster war.
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