SPORTaktiv August 2020
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geht, sich nicht bewegt, denken Kinder,<br />
das ist normal.<br />
Kinder haben drei Gründe, warum sie<br />
mit Sport anfangen: Der erste ist, sie wollen<br />
den Eltern eine Freude machen. Der<br />
zweite: Sie wollen zu einer Gruppe gehören.<br />
Der dritte: Sie wollen spielen. Und<br />
wir, und da sind wir wirklich gut in Österreich,<br />
gehen her und sagen zu achtjährigen<br />
Kindern: Du darfst nicht mehr<br />
rausgehen spielen, geh trainieren. Und<br />
mit neun müssen sich Kinder für eine<br />
Sportart entscheiden: Fußball oder Skifahren.<br />
Allen Ernstes.<br />
Wieder das Beispiel Norwegen: Dort<br />
traut sich kein Trainer ein Kind vor dem<br />
18. Lebensjahr zu bewerten: Du bist gut,<br />
du bist schlecht, du kannst was, du<br />
kannst nix. Sie nehmen alle mit. Athleten,<br />
Trainer, Funktionäre, Visionäre. Jeder<br />
soll dem Sport erhalten bleiben –<br />
egal, in welcher Funktion.<br />
Dass sich Kinder so früh für eine Sportart<br />
entscheiden sollen: Hat das mit dem<br />
Gedanken zu tun: „wenn man sich früh<br />
spezialisiert, wird man später besser?“<br />
Es steckt der Weltmeistergedanke dahinter.<br />
Jeder Verband will Weltmeister produzieren<br />
um aus den Fördertöpfen entsprechend<br />
zu profitieren. Aber das ist eine<br />
Themenverfehlung. Ich rede da leicht als<br />
Olympiasieger, aber: Ich bin nicht der Inbegriff<br />
des Systems. Wenn es nach dem<br />
gegangen wäre, hätte ich mit 13 aufhören<br />
sollen, weil ich zu schlecht war. Auch<br />
Hermann Maier ist ein Gegenbeispiel.<br />
Es war fast unser Glück, dass wir zu<br />
früh abgeschrieben worden sind – und es<br />
dann auch unbedingt wollten. Die, die<br />
unbedingt wollen, kannst du sowieso mit<br />
keinem System verhindern. Aber generell<br />
unsere Sportstruktur auszurichten auf die<br />
Weltmeister, die Thiems und Hirschers,<br />
unser Sportsystem zuzuspitzen auf die<br />
olympischen Kernsportarten, Goldmedaillen<br />
und Siege: Das macht leider keinen<br />
Sinn.<br />
Stattdessen sollten sich möglichst<br />
viele Menschen einfach regelmäßig<br />
bewegen ...<br />
Es gibt einen schönen Text vom Unternehmensberater<br />
Simon Sinek: Wir stehen<br />
an einer Weggabelung und haben die<br />
Entscheidung über Sieg oder Erfüllung.<br />
Der Sieg steht für das Endliche und die<br />
Erfüllung für das Unendliche. Entscheidest<br />
du dich fürs Siegen, ist alles auf die<br />
FELIX GOTTWALD<br />
ist 44 und als ehemaliger<br />
nordischer Kombinierer der<br />
erfolgreichste österreichische<br />
Sportler der Olympiageschichte<br />
(3 x Gold, 1 x Silber, 3 x Bronze).<br />
Insgesamt 18 Medaillen bei<br />
Großereignissen.<br />
Der gebürtige Salzburger lebt<br />
mit Partnerin und zwei Töchtern<br />
(6 und 5) in Ramsau am<br />
Dachstein/St, bietet Workshops,<br />
Trainings und Management-<br />
Programme für Unternehmen<br />
und Organisationen an.<br />
Gottwald ist auch Ehrenbotschafter<br />
des „Jane Goodall<br />
Instituts Austria“.<br />
www.felixgottwald.at<br />
Ziellinie ausgerichtet, die Leute streben<br />
dorthin. Du gewinnst, alle jubeln dir zu.<br />
Dann gehen sie heim, du stehst alleine da<br />
und kannst nur hoffen, dass dir das<br />
irgendwann wieder gelingt. Bei der Erfüllung<br />
gehst du deinen Weg, die Leute<br />
schließen sich dir an und gehen mit dir.<br />
Wenn es dich einmal nicht mehr gibt,<br />
wird dein Weg von den anderen fortgesetzt.<br />
Meine Idee wäre, dass wir von der<br />
Sportkultur her einen solchen Weg einschlagen,<br />
der unendlich weitergeht. Wo<br />
wir als Nation eine Lebendigkeit entwickeln,<br />
Bewusstsein entwickeln für unsere<br />
Grundbedürfnisse, zu denen Bewegung<br />
dazugehört. Wenn wir eine Situation erreicht<br />
haben: Du gehst während der Arbeit<br />
in der Mittagszeit eine Stunde laufen,<br />
und erntest keine komischen Blicke und<br />
es sagt keiner: „Hast du nichts zum Hackeln?“;<br />
sondern: Weil meine Arbeit so<br />
wichtig ist, deshalb geh ich die Stunde<br />
laufen. Wenn es normal wird, dass wir<br />
uns einmal am Tag bewegen, dann haben<br />
wir es geschafft.<br />
Die Frage ist, wie kommen wir dahin?<br />
Kultur wird millimeterweise aufgebaut<br />
und meterweise abgerissen. Wir sind<br />
schlecht im Aufbauen und gut im Abreißen<br />
– wenn du etwa reflexartig gleich<br />
einmal die Turnstunden streichst in so einer<br />
prekären Phase, wie wir sie jetzt gehabt<br />
haben.<br />
Haben Sie eine Idee, wie eine Einladung<br />
an jeden Richtung Bewegungskultur<br />
konkret ausschauen könnte?<br />
Ich habe mir schon überlegt, wenn wir<br />
ein Beitragssystem entwickeln würden:<br />
Wenn jeder Kilometer, den wir uns sportlich<br />
bewegen, in einem Topf landet und<br />
dieser wird dann vom Staat umgemünzt<br />
in eine Bewegungs- und Vitalitätsinitiative.<br />
Das stelle ich mir schon lässig vor:<br />
Die zwei Kilometer, die ich mehr mit<br />
dem Rad fahre, werden vom Staat Österreich<br />
umgemünzt und wieder in Bewegung,<br />
in Sport investiert. Ich könnte mir<br />
vorstellen, dass da eine Superdynamik<br />
entstehen könnte, dass Win-win-win-Situationen<br />
entstehen. Der Einzelne, der<br />
durch seine Bewegung beiträgt, wird fitter;<br />
es werden Projekte realisiert. Und<br />
dem Staat spart es einen Haufen Geld.<br />
Und wir sind zudem gerüstet für etwaige<br />
Krankheitswellen.<br />
Aber um noch einmal auf die 50 Prozent<br />
zurückzukommen, die mit Sport<br />
nichts am Hut haben: Ich kriege das ja in<br />
Unternehmen mit, dass jede Initiative für<br />
Bewegung wieder die anspricht, die<br />
schon einen Ironman machen. Aber wie<br />
erreichst du die anderen? Auf einladende<br />
Weise. Mit Ermutigen und Bestärken.<br />
Es wäre eine Chance gewesen, das Vertrauen<br />
zu stärken. Zu sagen: „Die Situati-<br />
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