altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Januar/Februar 2021
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Sachsenried | Landwirt Wolfgang<br />
Scholz, 54, ist seit 13 Jahren Obmann<br />
des Bayerischen Bauernverbandes<br />
(BBV) <strong>für</strong> Weilheim-Schongau.<br />
Er gilt als kluger Kopf, der<br />
sich sowohl fachlich, betriebswirtschaftlich<br />
als auch politisch bestens<br />
auskennt in landwirtschaftlichen<br />
Angelegenheiten. Die größte<br />
Schwierigkeit in dieser und seinen<br />
zahlreichen weiteren ehrenamtlichen<br />
Führungspositionen auf Landes-<br />
und Bundesebene: Es allen<br />
recht zu machen. Im großen Interview<br />
auf der Roten Couch spricht<br />
der Vater von vier erwachsenen<br />
Kindern über die größten Probleme<br />
hiesiger Milchviehbetriebe, <strong>den</strong><br />
ständigen Spagat zwischen Groß<br />
und Klein und <strong>den</strong> viel zu frühen<br />
Tod eines langjährigen Weggefährten.<br />
Außerdem erklärt er ein Resozialisierungsprogramm<br />
mit schwer<br />
Suchtkranken. Und seinen beispielhaften<br />
Bio-Rhythmus, der ihm<br />
selbst an stressigsten Tagen Kraft<br />
und Freude <strong>für</strong> ein facettenreiches<br />
Leben zwischen Sachsenried und<br />
Istanbul gibt.<br />
Herr Scholz, lieber in Anzug und<br />
Krawatte, Tracht, oder Stallgewand<br />
mit Filzhut im Ranger-Style?<br />
<strong>Das</strong> hat alles seine gleiche Wertigkeit.<br />
Ich bin, je nach Anlass, sehr<br />
gerne im Anzug, in der Tracht und<br />
im Arbeitsgewand. Wichtig ist,<br />
dass man sich darin wohlfühlt.<br />
Seit 2007 sind Sie Obmann des Bayerischen<br />
Bauernverbandes (BBV) <strong>für</strong><br />
Weilheim-Schongau. Welche Aufgabe<br />
erfüllen Sie in dieser Position?<br />
Der Bayerische Bauernverband ist<br />
eine Körperschaft des öffentlichen<br />
Rechts. Quasi ein großer Verein,<br />
der flächendeckend vertreten ist<br />
mit komplett durchdringen<strong>den</strong><br />
Strukturen, heruntergebrochen bis<br />
in die einzelnen Ortschaften hinein.<br />
Wir sind sozusagen die berufsständische<br />
Vertretung der Landwirtschaft.<br />
Als solche haben wir mit<br />
allen landwirtschaftlichen Belangen<br />
auf allen Ebenen der Verwaltung<br />
zu tun. Sehr wichtig ist auch<br />
die Begleitung politischer Meinungsbildungsprozesse<br />
und die<br />
Einwirkung auf diese. Eine Stärke,<br />
mit der man bei gebündeltem Auftreten<br />
sehr wohl Einfluss nehmen<br />
kann auf neue Gesetze oder Gesetzesänderungen.<br />
Hinzu kommt<br />
eine geballte Expertise aus dem<br />
Generalsekretariat des Bayerischen<br />
Bauernverbandes in München, wo<br />
wirklich gute Leute sitzen. Dort gibt<br />
es einen umfassen<strong>den</strong> Fundus an<br />
landwirtschaftlichem Wissen, an<br />
Zahlen, Daten und Fakten.<br />
Obendrein sind Sie seit mehr als<br />
acht Jahren BBV-Vizepräsi<strong>den</strong>t <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> Bezirk von Oberbayern, aufgrund<br />
des viel zu frühen Todes von<br />
Anton Kreitmair derzeit sogar kommissarischer<br />
Präsi<strong>den</strong>t.<br />
Der Tod von Toni Kreitmair war tragisch.<br />
Er war eine beeindruckende<br />
Persönlichkeit, ein Kämpfer,<br />
ein Mann mit unwahrscheinlicher<br />
Kraft. Vor vier Jahren begann seine<br />
erste Krebserkrankung, diese<br />
und eine weitere hat er mit größter<br />
Zuversicht besiegt. Auch der dritten<br />
Diagnose trotzte er unbändigen<br />
Optimismus entgegen. Leider<br />
hat ihn dann trotz allem die Kraft<br />
verlassen. Wer mitbekommen hat,<br />
wie Toni Kreitmair gelebt hat, was<br />
er geleistet hat, insbesondere in<br />
seiner vierjährigen Krankheitszeit –<br />
beeindruckend! Eine sehr schöne,<br />
berührende Beerdigung hat uns<br />
<strong>den</strong> Abschied leichter gemacht.<br />
Wir verabschie<strong>den</strong> uns von einem<br />
großartigen Menschen.<br />
Dessen Fußstapfen Sie wie ausfüllen?<br />
Als Vize war ich von Beginn an Ansprechpartner<br />
<strong>für</strong> alle Milchangelegenheiten.<br />
Dahingehend hat sich<br />
nichts verändert. Hinzu kommt natürlich<br />
Organisatorisches, wo<strong>für</strong> ich<br />
jetzt als kommissarischer Präsi<strong>den</strong>t<br />
zuständig bin – so lange, bis ein<br />
Nachfolger gefun<strong>den</strong> wird.<br />
Könnten Sie sich dieses oberste Präsi<strong>den</strong>tenamt<br />
dauerhaft vorstellen?<br />
Sehr gut sogar. Der erste Termin<br />
<strong>für</strong> die außertourliche Wahl wäre<br />
bereits am 30. November gewesen,<br />
ist Corona-bedingt aber abgesagt<br />
wor<strong>den</strong>. Wir haben nun monatlich<br />
weitere Termine angesetzt und<br />
müssen abwarten, wann die Wahl<br />
stattfin<strong>den</strong> kann.<br />
Wo liegen derzeit die größten Probleme<br />
in der hiesigen Landwirtschaft?<br />
In einer immer stärker ausufern<strong>den</strong><br />
Bürokratie, der neuen Düngeverordnung<br />
sowie dem Aufschrei –<br />
sowohl in der Gesellschaft als auch<br />
von Tierschutzorganisationen –<br />
nach mehr Tierschutz.<br />
Warum die Düngeverordnung?<br />
Einer EU-Auswertung zufolge haben<br />
wir in Deutschland das zweitschlechteste<br />
Trinkwasser Europas<br />
– nur Malta habe einen noch<br />
schlechteren Wert als wir. <strong>Das</strong> ist<br />
totaler Quatsch und kann gar nicht<br />
stimmen. <strong>Das</strong> Ergebnis der Nitratwerte<br />
im deutschen Grundwasser<br />
ist nur deshalb so hoch, weil<br />
Global oder regional? BBV-Obmann Wolfgang Scholz kämpft <strong>für</strong> Groß und<br />
Klein. Hier im Gespräch mit „<strong>altlandkreis</strong>“-Redakteur Johannes Schelle.<br />
die deutsche Umweltverwaltung<br />
ein Belastungsmessnetz verwendet,<br />
also nur dort gemessen hat,<br />
wo das Wasser wirklich belastet<br />
war. Andere Länder dagegen haben<br />
Durchschnittswerte abgegeben.<br />
Niemand kann mir erzählen,<br />
dass Deutschland ein schlechteres<br />
Wasser als beispielsweise Italien,<br />
Spanien oder Frankreich hat.<br />
Trotzdem wer<strong>den</strong> unsere Landwirte<br />
dazu gezwungen, ab 2025 mit<br />
Schleppschlauch-Technik Gülle auf<br />
Grünland auszufahren. Ein neues<br />
Fass mit dieser Technik kostet<br />
100 000 Euro, was sich ein kleinstrukturierter<br />
Betrieb schlichtweg<br />
nicht leisten kann.<br />
Was ist in Sachen Tierwohlforderungen<br />
problematisch?<br />
<strong>Das</strong>s mittlerweile zahlreiche Tierschutzauflagen<br />
an der Realität vorbeigehen.<br />
Ein kleiner Fehler reicht<br />
aus, und du wirst schnell von Verwaltungskontrollen<br />
als auch von<br />
<strong>den</strong> Medien und der Öffentlichkeit<br />
zum Skandalbetrieb degradiert.<br />
Wir sind nach dem Tierschutzgesetz<br />
dazu verpflichtet, jegliche<br />
Schmerzbelastung der Tiere zu<br />
vermei<strong>den</strong>. Bei einer Bestandsgröße<br />
von 80 Kühen kann es natürlich<br />
sein, dass ein, zwei Kühe humpeln.<br />
Wenn du eine ältere Kuh hast, deren<br />
Haarkleid sich – wie bei uns<br />
Menschen auch – verändert, wird<br />
dies als Auffälligkeit registriert.<br />
Manch übereifriger Veterinär am<br />
Schlachthof verbietet beispielsweise<br />
dem Fahrer des Viehtransporters<br />
<strong>den</strong> Einsatz eines Stockes,<br />
was aus Sicht der Unfallverhütung<br />
allerdings notwendig ist. Es ist nie<br />
ausgeschlossen, von einer Kuh<br />
oder gar einem Stier attackiert zu<br />
wer<strong>den</strong>, was schon viel zu häufig<br />
tödlich geendet hat. Heißt: Völlig<br />
normale Dinge, die <strong>den</strong> Tieren<br />
überhaupt nicht scha<strong>den</strong>, sofern<br />
man vernünftig damit umgeht,<br />
wer<strong>den</strong> mittlerweile angeprangert.<br />
Und das geht schlichtweg zu weit.<br />
Wenn ich keine zwölf Jahre alte<br />
Kuh mit natürlichen Alterserscheinungen<br />
halten darf, dann müsste<br />
ich zahlreiche Pflegeheime <strong>für</strong> uns<br />
Menschen auch zusperren.<br />
Eine weitere Forderung der mächtigen<br />
Markt-Bestimmer wie beispielsweise<br />
Aldi: Die endgültige<br />
Abschaffung der Anbinde-Haltung.<br />
<strong>Das</strong> stimmt. Ich sehe sogar ein,<br />
dass es nicht gut ist, wenn eine Kuh<br />
das ganze Jahr über nicht bewegt<br />
wird. Trotzdem muss man auch<br />
bei diesem Thema vorsichtig sein.<br />
Milch aus Anbindehaltung ist keine<br />
schlechtere. Und Fakt ist auch: 50<br />
Prozent aller bayerischen Milchviehbetriebe<br />
führen noch Anbindeställe.<br />
Wür<strong>den</strong> die in wenigen<br />
Jahren schließen müssen, wäre die<br />
Existenz der Bayerischen Milchwirtschaft<br />
ernsthaft in Gefahr.<br />
10 | <strong>altlandkreis</strong>