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vsao Journal Nr. 5 - Oktober 2023

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Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />

Bilder: Adobe Stock; zvg<br />

Wie sieht die durchschnittliche<br />

Arbeitszeit bei chirurgischen Fachpersonen<br />

in Ihrer Abteilung aus?<br />

Das wollte ich auch wissen, deshalb haben<br />

wir dies im letzten Jahr gemessen [2]. Unsere<br />

Chirurginnen und Chirurgen in Weiterbildung<br />

haben gemäss Vertrag eine<br />

48-Stunden-Woche und halten diese während<br />

des Tagdienstes auf der Station und<br />

auf der Notfallstation im Durchschnitt<br />

auch ein. Die Frage nach der Arbeitszeit<br />

greift aber zu kurz. In den für meine Masterarbeit<br />

geführten Interviews [1] hat sich<br />

herausgestellt, dass es in der gegenwärtigen<br />

Diskussion nicht so sehr um Arbeitszeit,<br />

sondern vielmehr um Weiterbildung<br />

geht. Die Weiterbildungszeit haben wir<br />

ebenfalls gemessen, und es hat sich gezeigt,<br />

dass unsere Assistenzärztinnen<br />

und -ärzte innerhalb der 48 Stunden Arbeitszeit<br />

eine strukturierte Weiterbildung<br />

von durchschnittlich acht Stunden erhalten<br />

[2]. Dies ist sicher einer der Gründe dafür,<br />

weshalb sie zu den Zufriedensten im<br />

Land gehören [3].<br />

Gesamtschweizerisch sieht es aber<br />

anders aus. Im Durchschnitt arbeiten<br />

Assistenz- und Oberärztinnen und<br />

-ärzte 56 Stunden pro Woche, und bei<br />

Ersteren erhält nur rund ein Fünftel<br />

vier Stunden strukturierte Weiterbildung<br />

pro Woche. Zudem zeigt die<br />

<strong>vsao</strong>-Umfrage, dass viele ein Teilzeitpensum<br />

anstreben und fast niemand<br />

mehr als 50 Stunden pro Woche<br />

arbeiten möchte. Ist das umsetzbar?<br />

Dass eine 48-Stunden-Woche inklusive<br />

strukturierter Weiterbildung machbar ist,<br />

zeigen wir in unserer Abteilung. Es sollte<br />

also möglich sein, dies auch an anderen<br />

Spitälern umzusetzen. Dass ein grosser<br />

Teil der zukünftigen Generation nicht<br />

mehr im Vollpensum arbeiten will, ist eine<br />

Realität – auch in der Chirurgie [4]. Die<br />

Umsetzbarkeit wird sich am Arbeitsmarkt<br />

zeigen. Wollen Chirurginnen und Chirurgen<br />

reduziert arbeiten, erhöht dies den<br />

Bedarf an Fachkräften. Dies wiederum<br />

steigert die Arbeitsbelastung der anderen,<br />

solange es zu wenig Bewerbende auf dem<br />

Markt hat. Ein Teufelskreis, der nur durchbrochen<br />

werden kann, wenn wir gesamtheitliche<br />

Lösungen schaffen, unter anderem<br />

in der Weiterbildung. Wichtig ist in<br />

diesem Zusammenhang auch die konsequente<br />

Fokussierung auf das Wesentliche<br />

und die Reduktion von administrativen<br />

Arbeiten.<br />

Ist die 42+4-Stunden-Woche in der<br />

Chirurgie möglich? Und wenn ja, wie?<br />

Ja, eine chirurgische Weiterbildung ist in<br />

einer 42+4-Stunden-Woche möglich. Wie<br />

bereits erwähnt, arbeiten wir in unserer<br />

Abteilung faktisch mit einer 40+8-Stunden-Woche.<br />

Auch der Blick über die Landesgrenzen<br />

hinaus zeigt, dass es möglich<br />

ist. In den meisten Ländern der EU haben<br />

Assistenzärztinnen und -ärzte eine<br />

42-Stunden-Woche. Wichtiger als die Arbeitszeit<br />

ist für die chirurgische Weiterbildung<br />

aber der Caseload. Dieser wird aktuell<br />

auf zu viele Assistenzärztinnen und<br />

-ärzte verteilt.<br />

Was braucht es, damit genügend<br />

Weiterbildung und OP-Erfahrung<br />

möglich sind, ohne das Arbeitsgesetz<br />

zu verletzen?<br />

Es braucht drei Dinge: klare Strukturen<br />

und optimierte Prozesse in der Klinik, damit<br />

die angehenden Chirurginnen und<br />

Chirurgen für den OP freigespielt werden<br />

können, den expliziten Willen vom Kader,<br />

die nächste Generation gut auszubilden,<br />

sowie motivierte und leistungsbereite Assistenzärztinnen<br />

und -ärzte. Grundsätzlich<br />

muss das Arbeitsgesetz eingehalten<br />

werden – zum Schutz des ärztlichen Personals.<br />

Aber es gibt Ausnahmesituationen,<br />

in denen es vorübergehend und<br />

punktuell mehr zu leisten gilt. Zudem ist<br />

für mich klar: In sechs Jahren und in einer<br />

42+4-Stunden-Woche kann «nur» die Basischirurgie<br />

erlernt werden. Wer Spitzenchirurgie<br />

betreiben will, wird an irgendeinem<br />

Punkt in der Karriere mehr Zeit investieren<br />

müssen. Das ist eine Realität,<br />

wie sie in jedem akademisch-kompetitiven<br />

Beruf und zum Beispiel auch in künstlerischen<br />

Berufen oder im Spitzensport<br />

vorkommt.<br />

Wie wird die Weiterbildung in Ihrem<br />

Spital gehandhabt?<br />

Wir nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung,<br />

um die administrative Belastung<br />

zu reduzieren. Zudem setzen wir auf der<br />

Station klinische Fachspezialistinnen und<br />

-spezialisten ein. Dies führt dazu, dass wir<br />

weniger Assistenzärztinnen und -ärzte im<br />

Team haben und sie mehr im OP arbeiten<br />

können, da sich der operative Caseload auf<br />

weniger Personen verteilt. Schliesslich haben<br />

wir innerhalb des Wochenprogramms<br />

fixe Veranstaltungen, die explizit der<br />

strukturierten Weiterbildung dienen, so<br />

etwa Weiterbildungsvorträge, Morbidity-<br />

Konferenzen, den <strong>Journal</strong> Club und Weiteres.<br />

Wenn Kaderärztinnen und -ärzte dann<br />

Zur Person<br />

Prof. Dr. med. Pascal Probst ist<br />

Leitender Arzt Chirurgie in der Spital<br />

Thurgau AG. Nach dem Staatsexamen<br />

in Zürich im Jahr 2009 habilitierte<br />

er 2017 an der Universität Heidelberg.<br />

Im Rahmen eines Executive MBA<br />

verfasste er eine Masterarbeit mit dem<br />

Titel «Die 42-Stunden-Woche in der<br />

chirurgischen Ausbildung in der<br />

Schweiz – eine Stakeholder-Analyse»<br />

[1]. Der 43-Jährige ist verheiratet<br />

mit einer Ärztin und hat zwei Kinder<br />

im Vorschul- und Schulalter.<br />

noch während mindestens zweier Standardoperationen<br />

pro Woche Assistenzärztinnen<br />

und -ärzte aktiv instruieren,<br />

kommen diese ohne Mühe auf mindestens<br />

vier Stunden strukturierte Weiterbildung.<br />

Wieso gibt es so erbitterten Widerstand<br />

gegen die 42+4-Stunden-Woche<br />

aus gewissen Kreisen?<br />

Weil viele in der 42+4-Stunden-Woche den<br />

Versuch sehen, aus der freien ärztlichen<br />

Berufung einen Standardjob zu machen.<br />

Da wird es emotional. Durch gewisse Medienberichte<br />

konnte der Eindruck entstehen,<br />

dass Kaderärztinnen und -ärzte, die<br />

eigentlich sehr gerne in der Weiterbildung<br />

tätig sind, Teil des Problems sind. Das<br />

hat ihren Widerstand gefördert. Was es<br />

braucht, sind weniger Emotionen und<br />

mehr Fakten. Es ist klar, dass es ein Bedürfnis<br />

der jüngeren Generation ist, weniger<br />

zu arbeiten. Das ist ein Fakt, das<br />

kann man gut finden oder nicht, es bleibt<br />

ein Fakt. Wenn man sich dem nicht stellt<br />

und proaktiv Massnahmen ergreift, wird<br />

man langfristig als Arbeitgeber auf dem<br />

Arbeitsmarkt verlieren. Es ist aber genauso<br />

ein Fakt, dass Assistenzärztinnen<br />

und -ärzte punktuell mehr als zehn Stunden<br />

am Stück arbeiten können, ohne dass<br />

die Patientensicherheit gefährdet wird.<br />

<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 5/23 13

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