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vsao Journal Nr. 5 - Oktober 2023

Sprache - Verstehen, verstummen, vermitteln Politik - Zulassungssteuerung – quo vadis? Adipositas - Neue Medikamente wecken Hoffnungen Offene Handverletzungen - Tipps und Tricks für den Notfall

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Fokus: Sprache<br />

Sprechen, Hören und Verstehen das Verständnis<br />

der allgemeinen Strukturen und<br />

Funktionsweisen von Sprache vertiefen.<br />

Kommunikation bei Kopfschmerzen<br />

Vor dem Hintergrund dieses Potentials<br />

wurde 2021 an der Universität Zürich das<br />

Kompetenzzentrum Language & Medicine<br />

Zurich gegründet [3] (siehe Box).<br />

Zwei Beispiele für Projekte:<br />

Während Kommunikation im klinischen<br />

Handeln allgemein als wichtig<br />

erachtet wird, wie etwa die häufigen Praxistipps<br />

zu diesem Thema in der Schweizer<br />

Ärztezeitung zeigen [4], ist klinische<br />

Kommunikation in der medizinischen<br />

Forschung und Lehre unterrepräsentiert.<br />

Das Projekt «ComPain – Communication<br />

of Pain in Patients with Headache» [5]<br />

steht an der Schnittstelle von Neurologie,<br />

Psychiatrie und Linguistik. Auf Video<br />

aufgezeichnete Konsultationen in der<br />

Kopfschmerzsprechstunde am Universitätsspital<br />

Zürich werden gemeinsam mit<br />

klinischen Daten analysiert, um diagnostisch<br />

relevante sprachliche Muster sowie<br />

Zusammenhänge von Kommunikation und<br />

Behandlungszufriedenheit zu erkennen.<br />

Sprechen über psychische<br />

Erkrankungen<br />

Im Projekt «Drüber reden! Aber wie?»<br />

(www.drueberreden.ch) sind Betroffene<br />

und Angehörige eingeladen, von ihren<br />

Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen<br />

zu erzählen. Fachpersonen und<br />

Betroffene analysieren anschliessend gemeinsam<br />

die auf Video aufgezeichneten<br />

Gespräche. Der Fokus liegt dabei auf<br />

den kommunikativen Ressourcen der<br />

Teil nehmenden zur Überwindung der<br />

Schwierigkeit, die das Sprechen über psychische<br />

Erkrankungen gerade ausserhalb<br />

des klinischen Kontexts häufig darstellt<br />

[6]. Zudem wird auf Basis dieser Daten<br />

ein Modul zur psychischen Gesundheit<br />

für die Schweizer Datenbank für Gesundheits-<br />

und Krankheitserfahrungen (DIPEx,<br />

www.dipex.ch) erarbeitet.<br />

Ein Kompetenzzentrum für Sprache und Medizin<br />

Das Kompetenzzentrum Language & Medicine Zurich wird von Prof. Dr. Johannnes<br />

Kabatek, Romanisches Seminar, und Prof. Dr. Nathalie Giroud, Arbeitsgruppe «Neurowissenschaften<br />

der Sprache und des Hörens», geleitet. Es dient als Ideenschmiede und<br />

Ort des inter- bzw. transdisziplinären Lernens und vernetzt Klinikerinnen und Kliniker<br />

mit Forschenden insbesondere aus der (Computer-)Linguistik und der Neurowissenschaft.<br />

Forschungskolloquien und Events wie etwa der Language&Medicine-Market<br />

bieten die Möglichkeit, Forschungsprojekte vorzustellen und Kontakte zu knüpfen.<br />

Weiter soll das Zentrum den Austausch zu unterschiedlichen Methoden und Herangehensweisen<br />

fördern und bestehende Ressourcen bündeln und koordinieren.<br />

Markenzeichen ist dabei die konsequent gelebte Interdisziplinarität, also die Kollaboration<br />

zwischen Medizin und Linguistik und den jeweils verwandten Wissenschaften.<br />

Mit der Vergabe von Seed-Grants konnten jüngst mehrere Vorhaben interdisziplinärer<br />

Zusammenarbeit gefördert werden. Thematisch haben sich bisher die folgenden<br />

Bereiche herauskristallisiert:<br />

– Stimm-, Sprech- und Sprachplastizität,<br />

– sprachliche Marker zur Prädiktion von Krankheits- und Therapieverlauf<br />

bei (neuro)psychiatrischen Erkrankungen,<br />

– klinische Kommunikation, einschliesslich der Frage der Mehrsprachigkeit<br />

und der Mundartkommunikation.<br />

Weitere Informationen unter www.language-and-medicine.uzh.ch<br />

Diskussion und Ausblick – oder:<br />

Was bringt’s?<br />

Das «Alltagsgeschäft der Interdisziplinarität»<br />

[7] bedeutet immer auch einen Mehraufwand,<br />

zeitlich und personell. Was also<br />

ist der Nutzen?<br />

Im klinischen Alltag führt der Einbezug<br />

der Sprachwissenschaft zu einer höheren<br />

Achtsamkeit für die verbale und nonverbale<br />

Kommunikation: Wie spreche ich?<br />

Wie spricht mein Gegenüber? Wie sprechen<br />

wir miteinander? Wie benutze ich<br />

Fachsprache? Wie setze ich technische und<br />

digitale Hilfsmittel in der Kommunikation<br />

ein? Die Sprachwissenschaft ermöglicht es,<br />

entsprechende Beobachtungen systematisch<br />

zu erfassen, kommunikative Ressourcen<br />

sichtbar zu machen sowie diese<br />

hinsichtlich ihrer klinischen Wirkung zu<br />

untersuchen und zu verbessern.<br />

Aus Sicht der Sprachwissenschaft bietet<br />

die Zusammenarbeit mit der Medizin<br />

für die Forschung im klinischen Kontext<br />

erst die Möglichkeit, verschiedene Kommunikationsformen,<br />

ihren Kontext sowie<br />

relevante pathologische Phänomene adäquat<br />

zu untersuchen, zu verstehen und<br />

Ergebnisse in die Praxis zurückzuspielen.<br />

Nicht selten führt der medizinische Blickwinkel<br />

dabei zu neuen Fragen und Erkenntnissen,<br />

die für die Erforschung der<br />

menschlichen Kommunikation – auch unabhängig<br />

vom klinischen Kontext – relevant<br />

sind.<br />

Zwar ist die Linguistin in der Klinik –<br />

ausser zum Zweck der Erhebung von Forschungsdaten<br />

– noch nicht Realität, jedoch<br />

will das Kompetenzzentrum die Interdisziplinarität<br />

künftig besonders in der<br />

klinischen Kommunikation nutzen. Es<br />

soll eine Brücke schlagen zwischen Medizin<br />

und Geisteswissenschaft, zwischen<br />

Grundlagenforschung und klinischer Anwendung,<br />

um Diagnostik und Therapie<br />

durch die Erforschung sprachbezogener<br />

Phänomene im medizinischen Kontext zu<br />

verbessern.<br />

Literatur<br />

[1] Busch A, Spranz-Fogasy Th<br />

(2015): Sprache in der Medizin. In:<br />

Ekkehard Felder & Andreas Gardt (Hrsg.),<br />

Handbuch Sprache und Wissen. Berlin,<br />

Boston: De Gruyter. S. 335–357.<br />

[2] Iakushevich M, Ilg Y, Schnedermann<br />

Th (2021): Linguistik und Medizin:<br />

Einleitung. In: Linguistik und Medizin.<br />

Sprachwissenschaftliche Zugänge und<br />

interdisziplinäre Perspektiven, hrsg. v.<br />

dens. Berlin, Boston: De Gruyter. S. 1–10.<br />

https://doi.org/10.1515/9783110688696.<br />

[3] Ilg Y, Maatz A (2022):<br />

Leichter gesagt als getan? Ein Bericht aus<br />

der interdisziplinären Praxis zwischen<br />

Linguistik und Medizin. Scientia Poetica<br />

26(1): S. 245–262.<br />

[4] Langewitz W (<strong>2023</strong>):<br />

Ich sage Katze, aber Du verstehst Schwein.<br />

Schweizer Ärztezeitung <strong>2023</strong>;104(22):<br />

S. 80–81.<br />

[5] Eicher E, Räz S, Stucki P, Röthlin<br />

C, Stattmann M et al. (<strong>2023</strong>): ComPAIN–<br />

Communication of Pain in Patients with<br />

Headache. Clin. Transl. Neurosci. 7, 14.<br />

https://doi.org/10.3390/ctn7020014.<br />

[6] Maatz A, Ilg Y, Wiemer H (2022):<br />

Einfach drüber reden? Eine interdisziplinäre<br />

Untersuchung zu Schwierigkeiten und<br />

Ressourcen beim Reden über Erfahrungen<br />

psychischer Erkrankung. Sozialpsychiatrische<br />

Informationen 3: S. 6–12.<br />

[7] Gülich, E (2006): Das Alltagsgeschäft<br />

der Interdisziplinarität. Deutsche<br />

Sprache 34(1-2): S. 6–17.<br />

<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 5/23 39

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