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PORTRAIT•FRIDA KAHLO<br />
Kämpfe der Kindheit<br />
Frida Kahlo, 1907 geboren, wuchs mit<br />
fünf Schwestern in einer turbulenten<br />
Zeit auf. Nachdem die Mexikanische<br />
Revolution den Langzeitpräsidenten<br />
Porfirio Díaz aus dem Amt gefegt hatte,<br />
gab es immer wieder blutige Auseinandersetzungen<br />
im Land, bis 1920 etwas<br />
mehr Ruhe einkehrte. Kahlo musste<br />
ihre eigenen Kämpfe ausfechten: Mit<br />
sechs Jahren an Kinderlähmung erkrankt,<br />
hatte sie ein schwach entwickeltes<br />
Bein, für das sie in der Schule<br />
als „die Lahme“ verspottet wurde. Den<br />
nötigen Rückhalt erhielt sie vom Vater,<br />
einem deutschstämmigen Fotografen,<br />
der sie zur Selbstständigkeit erzog. So<br />
schaffte es die 15-jährige als eine der<br />
ersten Mädchen in der renommierten<br />
Escuela Nacional Preparatoria aufgenommen<br />
zu werden: Kahlo will eigentlich<br />
Medizin studieren und schließt sich<br />
der regimekritischen Studentengruppe<br />
„Cachuchas“ an, die ihrem rebellischen<br />
Geist entspricht und ihr politisches Interesse<br />
weiter entfacht. In der Gemeinschaft<br />
Gleichgesinnter ist ihr Hinken<br />
zweitrangig. Außerdem hat sie nun einen<br />
festen Freund, den Studentenführer<br />
Alejandro Gómez Arias.<br />
Der erste Unfall<br />
Es ist ein verregneter Tag, als das Paar<br />
am 17. September 1925 nach der Schule<br />
einen Bus besteigt und ihn gleich wieder<br />
verlässt, weil der Regenschirm fehlt.<br />
So müssen die beiden den nächsten Bus<br />
nehmen, der komplett überfüllt ist. Als<br />
es auf regennasser Fahrbahn zu einer<br />
Kollision mit einer Straßenbahn kommt,<br />
zerfetzt es den hölzernen Aufbau regelrecht.<br />
Mehrere Menschen sterben,<br />
Alejandro ist nur leicht verletzt, doch<br />
um seine Freundin steht es schlecht.<br />
Eine Stahlstange hat ihren Unterleib<br />
durchbohrt „wie ein Degen einen Stier“,<br />
erinnert sich Frida Kahlo später. Außerdem<br />
ist ihre Wirbelsäule an mehreren<br />
Stellen gebrochen wie auch ihr „schwaches“<br />
Bein. Dass sie trotz der inneren<br />
Verletzungen und der unzureichenden<br />
medizinischen Versorgung im Mexiko<br />
der 1920er Jahre überlebt, grenzt an<br />
ein Wunder. Doch der Lebenswille der<br />
18-jährigen ist stark. Es folgen unzählige<br />
Operationen und wochenlanges<br />
Liegen im Gipskorsett, fixiertes Starren<br />
an die Zimmerdecke und nur wenig Abwechslung.<br />
Sie werde nie wieder gehen<br />
können, prophezeien ihr die Ärzte, irren<br />
sich darin aber gewaltig.<br />
Gegen den Schmerz anmalen<br />
Vor dem Unfall trieb Kahlo häufig Sport,<br />
ging schwimmen oder fuhr Fahrrad.<br />
Jetzt, zur Bewegungslosigkeit verdammt,<br />
sind die meisten Tage so öde<br />
und leer wie ein weißes Blatt Papier.<br />
Bis ihr Vater eines Tages einige Pinsel,<br />
Leinwände und Farben ans Krankenbett<br />
bringt. Eine Holzkonstruktion über<br />
dem Kopf dient als Staffelei, ein Spiegel<br />
hilft ihr bei Selbstporträts. Auch später<br />
wird sie zeitweise liegend arbeiten,<br />
wenn sie kein Korsett trägt, und auf die<br />
Frage, warum sie sich immer wieder<br />
selbst abbildet, antworten: „Ich male<br />
mich, weil ich sehr viel Zeit allein verbringe<br />
und weil ich das Motiv bin, das<br />
ich am besten kenne.“ In kräftigen Farben<br />
und in schonungsloser Offenheit<br />
bringt die junge Frau fortan ihr Leben<br />
und ihre Gefühle auf die Leinwand. Als<br />
16-jährige hatte sie sich schon einmal<br />
portraitiert: Für ihren Alejandro malte<br />
sie sich in Pastelltönen mit lockigem<br />
Haar und verwaschenem Blick. Jetzt ist<br />
sie eine erwachsene Frau mit straffer<br />
Frisur und tief ausgeschnittenem Kleid,<br />
die den Betrachter unverwandt ansieht.<br />
Auf späteren Bildern wird der Schmerz<br />
ein häufiges Thema sein – die alltägliche<br />
Auseinandersetzung mit dem gekitteten<br />
Körper und die seelische Pein einer chaotischen<br />
Liebe. Umringt von Symbolen<br />
erinnern sie manchmal an die Darstellung<br />
christlicher Märtyrer, wie etwa St.<br />
Sebastian. Doch trotz aller Dornen, Wunden<br />
und Nägel verzieht diese Frau keine<br />
Miene, bewahrt aufrecht Haltung und<br />
fühlt sich eher den präkolumbianischen<br />
Wurzeln verbunden als dem Glauben<br />
ihrer fundamentalistisch-katholischen<br />
Mutter. Viele Jahre später wird sie sich<br />
als einen von Pfeilen durchbohrten<br />
Hirsch malen – ein Bild, in dem die Zahl<br />
Neun enthalten ist, die bei den Mayas<br />
gleichermaßen zum Paradies wie zur<br />
Unterwelt führt. Als junge Frau kämpft<br />
sich Kahlo aber ins Leben zurück, ein<br />
Leben das von der Malerei erfüllt ist.<br />
Sehr bald entwickelt sie ihren eigenen<br />
Stil, der sich jeder starren Kunstrichtung<br />
zu entziehen scheint. In ihren eigenwillig-ästhetischen<br />
Werken überzeichnet<br />
die Künstlerin ihre persönliche<br />
Realität auch in der optischen Selbstwahrnehmung,<br />
wenn sie beispielsweise<br />
ihre Augenbrauen zusammenwachsen<br />
lässt und ihren Oberlippenflaum betont.<br />
Unfall mit einem Elefanten<br />
Frida Kahlo ist Anfang 20 und eine natürliche<br />
Schönheit, als sie Diego Rivera<br />
kennenlernt. Den berühmten Maler politischer<br />
Fresken hatte sie schon bei der<br />
Ausgestaltung der Escuela Nacional<br />
Preparatoria gesehen. Als sie ihm einige<br />
ihrer Bilder zeigt, ist der 41-jährige<br />
von den Arbeiten ebenso fasziniert wie<br />
von ihrer Schöpferin. Zwei Jahre später,<br />
als beide nicht mehr gebunden sind,<br />
heiraten sie im August 1929. Es ist ein<br />
ungewöhnliches Paar, das „Der Elefant<br />
und die Taube“ genannt wird: Der um<br />
einen Kopf größere und sehr beleibte<br />
Rivera lässt Kahlo fast zierlich erscheinen.<br />
Mit seinen expressionistischen Gesichtszügen<br />
entspricht er auch sonst<br />
nicht dem klassischen Schönheitsideal,<br />
besaß aber wohl Charme und Charisma<br />
wie kein Zweiter. „Wie zur Hölle hast Du<br />
es geschafft, so viele Frauen zu verführen,<br />
wo Du doch so ein hässlicher Hurensohn<br />
bist?“ schrieb ihm Kahlo gegen<br />
Ende ihres Lebens. Denn ihr Mann hatte<br />
beim weiblichen Geschlecht einen unersättlichen<br />
Appetit, unzählige Affären belasteten<br />
ihre Ehe. Schließlich zahlte es<br />
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