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IRAK DIE WIEGE DER ZIVILISATION

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SAVOIR-VIVRE RINGSTRASSE<br />

Wiens Prachtboulevard<br />

Vienna’s Magnificent Boulevard<br />

Text: Gerald Sturz<br />

Die Wiener Ringstraße feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag. Ihre Entstehungsgeschichte<br />

dokumentiert den Wandel der Stadt zur modernen Metropole.<br />

Ringstraße in Vienna celebrates its 150th birthday this year. Its development story documents<br />

the city’s change into a modern metropolis.<br />

Ende des Absolutismus.<br />

Das Parlamentsgebäude, einst<br />

Reichsratsgebäude, wurde im<br />

neoklassizistischen Stil<br />

entworfen.<br />

The end of absolutism.<br />

The parliament building, once<br />

the Imperial Assembly<br />

building, was designed in the<br />

neo-classical style.<br />

PHOTO: RALPH MANFREDA<br />

Die Geschichte der Wiener Ringstraße begann<br />

am 25. Dezember 1857. Da druckte<br />

die amtliche Wiener Zeitung eine kaiserliche<br />

Verfügung ab, in der Kaiser Franz Joseph die<br />

Anordnung gab, die Befestigungsanlagen rund um<br />

die Innenstadt zu schleifen und an ihrer Stelle einen<br />

Prachtboulevard mit repräsentativen Gebäuden zu<br />

errichten. Es gab dafür mehrere Gründe: Erstens waren<br />

Stadtmauern aus militärisch-strategischer Sicht<br />

nicht mehr sinnvoll, außerdem sollte endlich eine<br />

bessere Anbindung der rasant wachsenden Vororte<br />

an das imperial-aristokratische Machtzentrum geschaffen<br />

werden – vor allem aber sollte durch den<br />

Verkauf der Grundstücke Geld in die öffentlichen<br />

Kassen gespült werden. So begann das größte städtebauliche<br />

Projekt in der Stadtgeschichte Wiens.<br />

Ein internationaler Wettbewerb wurde ausgeschrieben,<br />

85 Büros reichten Vorschläge ein, aus<br />

denen eine Kommission einen „Grundplan“ erarbeitete:<br />

eine fünf Kilometer lange und knapp 60 Meter<br />

breite Doppelallee-Straße, die nahezu kreisförmig<br />

um die Wiener Innenstadt führt. Eine gemischte<br />

Nutzung wurde angestrebt: Nicht nur öffentliche Gebäude<br />

sollten den Boulevard säumen, sondern auch<br />

Palais, private Miethäuser und Kulturinstitutionen<br />

sowie Parks und Plätze. Die Errichtung der öffentlichen<br />

Gebäude sollte durch den Verkauf von Grundstücksflächen<br />

an private Personen teilweise finanziert<br />

werden. Um diesen Investoren einen Anreiz zu<br />

schaffen, Grundstücke zu erwerben, wurde ihnen<br />

sehr großzügig für 30 Jahre Steuerfreiheit gewährt.<br />

Unter der Auflage, dass sie ihr Bauprojekt innerhalb<br />

von fünf Jahren fertigstellen.<br />

Tatsächlich vergingen nur sieben Jahre, bis dieses<br />

Monster-Projekt so weit gediehen war, dass die –<br />

noch nicht zur Gänze fertiggestellte – Ringstraße am<br />

1. Mai 1865 vor dem Burgtor durch Kaiser Franz<br />

Joseph und seine Gattin Elisabeth feierlich eröffnet<br />

werden konnte. Und sie ist eine städteplanerische<br />

Meisterleistung geworden. Vielen gilt die Ringstraße<br />

heute als der schönste Boulevard der Welt. Es dauerte<br />

jedoch dann noch fast 50 Jahre, bis die Ringstraße<br />

tatsächlich vollendet war.<br />

Was diesen Boulevard so außergewöhnlich und<br />

so einmalig macht, hat keiner besser beschrieben als<br />

der englische Schriftsteller Edmund de Waal in<br />

seinem wunderbaren, melancholischen, immens erfolgreichen<br />

Roman „Der Hase mit den Bernsteinaugen“:<br />

„Diese neue Straße ist nicht von einem einzigen<br />

Gebäude dominiert; es gibt kein Crescendo hin<br />

zu einem Palast oder einer Kathedrale, dafür aber<br />

einen fortwährenden Zug von einem großen Aspekt<br />

der Zivilisation zum nächsten.“ Zentrum der Erzählung<br />

de Waals ist das Palais Ephrussi, das am Universitätsring<br />

gelegen ist. Sein Schicksal sowie das<br />

Schicksal seiner Bewohner mag stellvertretend für<br />

viele Prachtbauten entlang der Ringstraße stehen. Es<br />

ist die Geschichte des jüdischen Großbürgertums, es<br />

ist die Geschichte jener jüdischen Unternehmer und<br />

Bankiers, der Epsteins, der Todescos, der Ephrussis,<br />

die wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung jener<br />

Gründerjahre beitrugen, die von diesem Boom<br />

profitierten und die als Mäzene und Kunstsammler<br />

wesentlich dazu beitrugen, dass sich Wien in den<br />

folgenden Jahren zu einem kreativen Brutkasten entwickelte<br />

– dass hier und vor allem im Umfeld der<br />

Ringstraße das entstand, was wir heute die Moderne<br />

nennen. Die Geschichte dieses jüdischen Großbürgertums<br />

fand ein tragisches Ende. 1938, nach<br />

dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich,<br />

wurde es enteignet, vertrieben oder ermordet.<br />

Nicht vergessen sollte man bei all der Pracht und<br />

Glorie der Ringstraße die Geschichten jener Menschen,<br />

die diese Straße tatsächlich gebaut haben. Die<br />

vielen tausenden Bau- und Ziegelarbeiter, die auf<br />

dieser Megabaustelle unter unmenschlichen,<br />

sklavenartigen Bedingungen im Akkord und bei<br />

schlechter Bezahlung arbeiteten, kamen vor allem<br />

aus Böhmen und aus Mähren. Man nannte sie deshalb<br />

die „Ziegelböhm“. Ohne die Ausbeutung dieser<br />

Arbeitskräfte wäre das Projekt Ringstraße nicht zu<br />

realisieren gewesen.<br />

Aber auch viele der wichtigsten Architekten und<br />

viele Bauherren kamen aus allen Teilen der Monarchie<br />

und aus dem übrigen Europa. Geprägt wurde<br />

das Aussehen der Ringstraße von Architekten wie<br />

Theophil von Hansen, der Parlament, Börse, die<br />

Akademie der bildenden Künste, den Musikverein,<br />

die Palais Epstein, Ephrussi und Hansen schuf und<br />

der aus Dänemark kam; von Gottfried Semper, zu<br />

dessen Arbeiten die Neue Burg, das Burgtheater und<br />

das Kunsthistorische und das Naturhistorische<br />

Museum gehören und der aus Hamburg stammte.<br />

Auch August Sicard von Sicardsburg, der gemeinsam<br />

mit dem Wiener Eduard van der Nüll die Staatsoper<br />

entwarf, kam nicht aus dem österreichischen,<br />

sondern aus dem ungarischen Teil der Monarchie.<br />

Heinrich Ferstel, der Universität, Votivkirche, das<br />

Museum für angewandte Kunst und das Palais Wertheim<br />

schuf, stammte aus Wien.<br />

90 Cercle Diplomatique 1/2015<br />

Cercle Diplomatique 1/2015<br />

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