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dankbar für die Früchte der natur

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meInung 5./6. Oktober 2013 / Nr. 40<br />

Aus meiner sicht ...<br />

Jürgen Liminski<br />

Die Zeichen stehen auf Links<br />

Jürgen Liminski ist<br />

Publizist, Buchautor<br />

und Moderator beim<br />

Deutschlandfunk.<br />

58 Prozent der Deutschen halten eine Große<br />

Koalition für gut. Dennoch ist sie in den<br />

Parteien ein ungeliebtes Kind. Aber vielleicht<br />

muss man es dennoch „adoptieren“. Für<br />

die SPD steht mit der Koalitionsfrage die<br />

Zukunft der nächsten Jahre auf dem Spiel.<br />

Verweigert sie sich, kommt es vielleicht zu<br />

Schwarz-Grün oder zu Neuwahlen. Beides<br />

ist für sie nicht erstrebenswert. Geht sie<br />

allerdings erneut in eine Koalition mit der<br />

Union, könnte sie wie nach den Jahren 2005<br />

bis 2009 den Kürzeren ziehen. Die SPD<br />

zwischen Staatsverantwortung und programmatischen<br />

Vorgaben – ein Dilemma.<br />

Auch die Grünen stehen vor schweren<br />

Entscheidungen. Sollen sie den Sirenenklän-<br />

gen aus der Union folgen oder in der Opposition<br />

bleiben? Man bereitet sich personell auf<br />

„ernsthafte“ Gespräche vor. Jürgen Trittin,<br />

Claudia Roth und Renate Künast rücken in<br />

die zweite Reihe. Neue Gesichter der Realos<br />

schmücken die potenzielle Braut.<br />

Auch hier kommt es letztlich auf die Inhalte<br />

an. Bei Steuererhöhungen steht die<br />

Union im Wort. Keiner hat das so deutlich<br />

formuliert wie Horst Seehofer. Er verbindet<br />

mit der Frage seine Ehre. Bei Wolfgang<br />

Schäuble und anderen Unionsgranden kann<br />

man von Lockerungsübungen reden. Beharren<br />

auch SPD und Grüne auf ihren Positionen,<br />

gibt es Neuwahlen. Deshalb werden sie<br />

einen anderen Preis verlangen: Mindestlohn,<br />

Rente, Betreuungsgeld, Eurobonds – es gibt<br />

genügend Verhandlungsmasse.<br />

Egal wie die neue Koalition aussieht, der<br />

Wähler sollte sich keine Hoffnungen machen.<br />

Er hat mehrheitlich bürgerlich gewählt (Zuwachs<br />

für die bürgerlich-liberalen Parteien<br />

auf 51 Prozent) – und wird demnächst dennoch<br />

links regiert werden, obwohl die Parteien<br />

links der Mitte auf 43 Prozent geschrumpft<br />

sind. Die CSU ist die einzige noch liberale<br />

und konservative Kraft in Berlin. Das Scheitern<br />

von FDP und AfD an der Fünf-Prozent-<br />

Hürde lässt eine schwarz-grüne Koalition<br />

mit einer erneuerten Grünen-Partei noch als<br />

das am wenigsten linke Regierungsbündnis<br />

erscheinen. Ein Sieg sieht anders aus.<br />

victoria Heymann<br />

Auf-Tafeln anstatt wegwerfen<br />

Victoria Heymann ist<br />

Chefin vom Dienst<br />

unserer Zeitung.<br />

Lebensmittel, die in großen Unternehmen<br />

weggeworfen werden, sammeln und an Bedürftige<br />

verteilen: Diese Idee nach US-amerikanischem<br />

Vorbild übernahm vor nunmehr<br />

20 Jahren eine Gruppe engagierter Berliner<br />

Frauen. Daraus entstand die Berliner Tafel.<br />

Mittlerweile gibt es bundesweit über 900<br />

Tafeln; an diesem Samstag wird bereits zum<br />

siebten Mal der Deutsche Tafeltag begangen.<br />

In diesem Zusammenhang aber von einem<br />

„Erfolg“ zu sprechen, ist schwierig. Schließlich<br />

bedeutet es de facto, dass immer mehr<br />

Menschen so arm sind, dass sie sich nicht<br />

einmal täglich ausreichend zu essen leisten<br />

können. Jene, die ebenso bedürftig sind, aber<br />

aus Scham die Tafel-Hilfe nicht in Anspruch<br />

nehmen, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.<br />

Dem Vorwurf, sie nähmen der Politik mit<br />

ihren Lebensmittelausgaben den Druck, endlich<br />

mehr für die Bürger am Rand des Existenzminimums<br />

zu tun, setzen die Tafeln seit<br />

jeher entgegen, dass sie keinen Anspruch erheben,<br />

eine Vollversorgung zu bieten. Neben<br />

der unmittelbaren Unterstützung für Hungrige<br />

liegt ihnen mittelbar am Herzen, die<br />

Gesellschaft auf die tagtäglich tausendfache<br />

Verschwendung von Lebensmitteln aufmerksam<br />

zu machen.<br />

Rund 82 Kilogramm Lebensmittel im<br />

Wert von etwa 235 Euro wirft jeder Bundesbürger<br />

laut Statistik jährlich in den Müll.<br />

Einer der Denkfehler dabei: Das Mindesthaltbarkeitsdatum<br />

wird allzuoft als Verfallsdatum<br />

betrachtet. Tafel-Chefin Sabine Werth<br />

ermuntert dazu, erst einen Geschmackstest zu<br />

machen, bevor vermeintlich „Abgelaufenes“<br />

weggeworfen wird.<br />

Die älteren Generationen haben noch ein<br />

sehr starkes Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln.<br />

Besonders das Brot – als Symbol<br />

für den Leib Christi – nimmt oft einen hohen<br />

Stellenwert ein. Meine Großmutter erklärt<br />

bis heute kategorisch, dass man nie ein<br />

Brot wegwerfen dürfe. Vielleicht vermag das<br />

Erntedank-Fest an diesem Wochenende ein<br />

wenig von diesem Bewusstsein auch in den<br />

jüngeren Generationen aufl eben zu lassen.<br />

Consuelo gräfin Ballestrem<br />

Grenzüberschreitungen<br />

Consuelo Gräfin<br />

Ballestrem ist<br />

Diplom-Psychologin,<br />

Psychotherapeutin,<br />

Autorin und Mutter<br />

von vier Kindern.<br />

Wenn die Schwiegermutter täglich unerwartet<br />

in meiner Küche auftaucht, die Nachbarin sich<br />

ungefragt in die Kindererziehung einmischt<br />

oder die NSA meine E-Mails liest, dann empfinde<br />

ich das zu Recht als übergriffig. Wenn<br />

ich aber auf Facebook einer unüberschaubaren<br />

Anzahl von „Freunden“ sehr private Fotos<br />

zeige, erfülle ich mir damit aus freien Stücken<br />

meinen Wunsch nach Zugehörigkeit, Anteilnahme<br />

und Beachtung. Das Grundgefühl: Ich<br />

kommuniziere, also bin ich.<br />

Beides sind Grenzüberschreitungen: Die<br />

eine wird mir zugefügt, die andere vollziehe<br />

ich freiwillig. Beide gehen auf Kosten der<br />

Intimsphäre des Menschen, einer wichtigen,<br />

sensiblen Feinstimmung für den abgestuften,<br />

harmonischen Umgang mit anderen Menschen,<br />

mit Fremden, Bekannten, Freunden,<br />

dem geliebten Ehemann. Je erfüllter und ausgeprägter<br />

die echten privaten Beziehungen,<br />

das private Ich, desto geringer das Bedürfnis<br />

nach Außenwahrnehmung, das kollektive Ich.<br />

Je hemmungsloser das Mitteilungsbedürfnis<br />

mit jedermann, desto größer der Verlust an<br />

persönlicher Identität.<br />

Nun kann man niemanden daran hindern,<br />

sich selbst Schaden zuzufügen. Aber der Staat<br />

sollte es sich zur Aufgabe machen, die Privatsphäre<br />

des Menschen und hier besonders die<br />

des Kindes zu schützen. Schutz vor Pädophilie,<br />

aber auch vor einer übergriffigen Sexualerziehung,<br />

einer quasi geistigen Pädophilie.<br />

Und schließlich Schutz für den Intimraum<br />

der ersten Lebensjahre, die Familie. Wenn<br />

sich die anfängliche Symbiose mit der Mutter<br />

auf Vater und Geschwister hin weitet, kann<br />

sich die Identität des Kindes stabilisieren. Die<br />

so gewonnene Intimsphäre markiert einen unsichtbaren<br />

Raum, der es uns überhaupt erst<br />

ermöglicht, in Beziehung zu treten, ohne uns<br />

zu verlieren.<br />

So beobachtete der amerikanische Psychotherapeut<br />

Bruno Bettelheim, dass viele der<br />

in den frühen israelischen Kibbuzen durchgehend<br />

im Kollektiv aufgewachsenen Kinder<br />

später unfähig waren, eine tragfähige Zweierbeziehung<br />

einzugehen. Das kann nicht das<br />

Ziel staatlichen Handelns sein.

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