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Mein Jahr 1945 - Coswig

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Schlachthof 5.Rohwohlt, 1998. S. 1 u. 207.) Es ist auch nicht undenkbar, dass mit den „Plünderern“ auch<br />

Menschen beseitigt worden sind, vor deren Wissen die Machthaber Angst hatten.<br />

Einfügung Ende<br />

Als wir Wochen später auf den Friedhof durften, standen wir auf einem riesigen Gräberfeld: Eine Sandfläche, auf<br />

der in langen Reihen Holzscheite steckten mit den Nummern der Toten. Wir fanden die Nummer von Tante Gretel<br />

und an ihrer linken Seite die Nummer von Ursel. Ich formte für das Grab von Ursel ein kleines Herz aus Moos.<br />

Die Scheite steckten hier etwa 30 cm voneinander entfernt. Nach einigem Suchen fanden wir auch die Nummer<br />

von Onkel Hans, doch an einer ganz anderen Stelle. Hier steckten die Scheite nur etwa 10 cm voneinander<br />

entfernt. <strong>Mein</strong>e Mutter ließ schmale Kreuze anfertigen mit den Namen; die steckten wir vor die Scheite, und wir<br />

schmückten den schmalen Streifen, unter dem unsere Lieben ruhten. Wir gingen gemeinsam mit der Oma hin. -<br />

Wenn ich heute darüber nachdenke bewundere ich die Tapferkeit, mit der die alte Frau das alles ertragen hat.<br />

Die Fotos von der Leichenverbrennung auf dem Altmarkt gingen durch die Presse. Großonkel Arno mit seiner<br />

Familie hatte dort in der Nähe gewohnt. Mich packte Grauen. Als ich 1944 vom Tode eines Bekannten unserer<br />

Familie gehört hatte, weinte ich bitterlich. Dabei hatte ich den Mann höchstens zweimal gesehen. Nun diese<br />

Bilder: Menschenleiber über einem Rost aufgestapelt wie Holzscheite - mit Benzin übergossen, angezündet - die<br />

Asche danach zusammengefegt. Namenlose, vor wenigen Tagen noch Menschen mit hohem Lebenswillen. Ich<br />

konnte vor den Bildern nicht mehr weinen.<br />

*<br />

Für Tante Liesel war klar, dass sie die Wohnung von Hans ausräumen musste. Alles war erhalten: Die<br />

Glasscheiben in den Vitrinen, das Geschirr, die Gardinen, einfach alles. Auf dem Stubentisch stand noch die<br />

Tasse mit dem Tee, der nicht mehr getrunken worden war - nur die Untertasse war zerbrochen - und daneben<br />

der Teller mit den Keksen. Nur das Mobiliar auf der Pergola war weg, von hier hatte Ursel noch wenige Stunden<br />

vor dem Einschlag der Bombe Konfetti auf ihre Spielgefährten regnen lassen, und die hatten unter großem Jubel<br />

die goldenen Flitterchen herausgelesen - erzählte die Oma, als Tante Liesel das Möbel von der Pergola<br />

erwähnte. Es war ja Faschings-Dienstag. - Die Wohnung musste geräumt werden. <strong>Mein</strong>e Mutter besorgte eine<br />

Transportfirma, die bereit war, den Transport zu machen. Tante Liesel ließ alles in ihre relativ große Wohnung<br />

bringen.<br />

Was ich nun schreibe, das klingt zweifelhaft, aber ich versichere, dass es wahr ist. Es ist auch nur zu verstehen<br />

aus dem Mangel und der Aussichtslosigkeit heraus, in der damaligen Zeit im Handel Waren zu bekommen. - Wer

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