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Mein Jahr 1945 - Coswig

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war Ruhe. - Die Soldaten der SS-Einheit sollen sich die letzten Kugeln in den Kopf geschossen haben.<br />

23<br />

Eine erneute Patrouille russischer Soldaten ging von Haus zu Haus und inspizierte nur die Keller. Sie suchten<br />

nach Waffen. Da sahen sie die Koffer, die wir für die Flucht gepackt hatten. Einer von ihnen hob sie an und<br />

stellte sie wieder hin, bis auf einen von Tante Liesel, der steinschwer war. Ich hatte mir nie Gedanken gemacht,<br />

was wohl darin sein könnte. Den ließen sie öffnen. Er war voll von französchen Schokoladentafeln. Der<br />

kontrollierende Soldat riss einige Packungen an, um zu kontrollieren, ob es wirklich Schokolade sei und ließ den<br />

Koffer wieder schließen. Ein anderer kam dazu. "Schto eto?" "Schokolad". Der nahm eine Tafel heraus und<br />

verteilte sie auf der Straße an die Kinder. Ich habe von der Schokolade auch später nichts zu kosten bekommen.<br />

-<br />

Im Spielzeugkasten von meinem Freund Christoph fanden zufällig die Russen Patronenhülsen. Seine Mutter<br />

versuchte zu erklären, dass die Kinder damit gespielt hatten und wies auf Christoph. Da griff der Offizier des<br />

Kommandos Christoph und setzte ihm die Pistole auf die Stirn: „Wo dein Gewehr!“ Das gab es natürlich nicht, da<br />

ließ er von Christoph ab.<br />

Herr Dreißig hatte die Rot-Kreuz-Fahne gesetzt. Ein Offizier mit zwei Soldaten kam, ließ sich seine Ausrüstung<br />

zeigen. Skeptische Frage: "Du Arzt?" "Nein, Sanitäter." "Gut," - und sie gingen weiter. Die Arztpraxen wurden<br />

rund um die Uhr durch Militärposten geschützt. Kamen Patienten und fühlten sich durch die Posten verängstigt,<br />

dann winkten die Soldaten sie freundlich hinein.<br />

Herr Dreißig war mit Leib und Seele Sanitäter, er wäre gerne Arzt geworden, aber die Finanzierung eines<br />

Medizinstudiums war ihm als Arbeiterkind unmöglich. Und so ging er zum Roten Kreuz. - Helfen war sein<br />

Lebensinhalt. Wenn in der Siedlung einer ein gesundheitliches Problem hatte, ging er zu Georg Dreißig.<br />

Zufällig erlebte ich einmal einen Einsatz mit. Es war noch vor dem Krieg, ein Sonntagnachmittag: Alle Familien in<br />

der Siedlung saßen gemütlich in ihren Gärten beim Kaffee. Die benachbarte Gaststätte "Grüne Weide" machte<br />

Vogelwiese mit Karussellen und allem, was dazu gehört. Plötzlich kam die Wirtin der Gaststätte, Frau Seitz, zu<br />

Dreißigs gelaufen. Auf der Festwiese hatte sich eine Mädchen verletzt. Sofort packte Herr Dreißig seine Sani-<br />

Tasche, er und auch seine jugendlichen Söhne Rudi und Heinz gingen im Laufschritt los, um zu helfen. Bei<br />

Ausbruch des 2. Weltkrieges wurden beide Söhne eingezogen. Rudi fiel. Heinz kam nach der<br />

Kriegsgefangenschaft nach Hause. Seine Mutter hatte für ihn die Anerkennung als Opfer des Faschismus<br />

beantragt. Da sie jedoch sein blutiges Hemd von damals nicht mehr vorweisen konnte, wurde der Antrag<br />

abgelehnt. Dreißigs Heinz sagte mir einmal: "Ich habe, als ich zurück kam, mit denen Kontakt aufgenommen. Als<br />

ich sie kannte, wollte ich mit denen nichts zu tun haben." So war das damals. -

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