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Sowjetarmee seinen Posten nicht verlassen, obwohl er NSDAP-Mitglied war und Repressalien befürchten musste.<br />
Die <strong>Coswig</strong>er hatten von ihm eine gute <strong>Mein</strong>ung; wohingegen der frühere Bürgermeister, er hieß Rädel, gefürchtet<br />
war. Die Lebensmittelmarken brachte jetzt Herr Krätzer. Das Ehepaar Krätzer wohnte in unserer Nähe, wir<br />
kannten es schon immer. - Unser Leben normalisierte sich. -<br />
Es gab in <strong>Coswig</strong> auch so etwas wie eine deutsche Polizeistation. Die war im Erdgeschoss von Uslers Haus an<br />
der Straßenbahnhaltestelle eingerichtet (jetzt Hauptstasse 21). Die dort tätigen Männer waren in Zivil, aber durch<br />
Armbinden als Amtspersonen gekennzeichnet. <strong>Mein</strong>e Begegnung mit ihnen war so: Wir hatten im Spitzgrund<br />
einen aufgerissenen Handkoffer mit Papieren gefunden. <strong>Mein</strong>e Freunde interessierten sich nur für die<br />
Gebührenmarken, die auf einigen Akten klebten und wollten sie abreißen. Sie glaubten mir, dass das sinnlos<br />
wäre, und ich sah mir das ganze an. Kaufurkunden von Grundstücken und mehrere Sparbücher erschienen mir<br />
wichtig. Zu Hause zeigte ich sie meiner Mutter. Sie hieß es gut, dass ich sie sichergestellt hatte, und wir trugen<br />
den Fund zur Polizei. Die Männer warfen einen Blick darauf, erkannten, was es ist, sagten: "Laßt das hier;" und<br />
ohne dass sie uns nach unseren Namen gefragt, geschweige denn eine Quittung ausgestellt hätten, standen wir<br />
wieder auf der Straße. Auf den Sparbüchern waren beachtliche Beträge. Ob die jemals die rechtmäßigen Besitzer<br />
gefunden haben? -<br />
Die neue Macht erstarkte. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollten geahndet werden.<br />
Es gab Verhaftungen: Männer, die ich kannte. Der Großvater eines Schulkameraden, Herr Rümmler, er war ein<br />
altes Mitglied der SA und Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP. <strong>Mein</strong> Schulfreund war stolz auf ihn.<br />
Das Goldene Parteiabzeichen hatte er erhalten, weil er bei einer Kokillenexplosion in der Walzengießerei zwei<br />
Arbeitskollegen aus dem in der Werkhalle breitgeflossenen geschmolzenem Eisen gerettet hatte. Er hatte sich die<br />
Füße so verbrannt dabei, dass sie verkrüppelt waren. Ob man ihm noch mehr vorwarf, weiß ich nicht. Von<br />
Gerichtsverhandlungen habe ich auch nichts gehört. Man sagte nur, dass die Verhafteten in ein Lager bei<br />
Mühlberg an der Elbe gek0ommen sind, aus dem nur wenige lebend zurück kamen. Auch Herr Rümmler ist<br />
verschollen. Genauso Herr Martin. Die Gärtnerei Martin auf der Talstraße wurde von 2 Brüdern betrieben, den<br />
Söhnen des schon erwähnten Gärtners Martin. Der eine war freundlich zu uns Kindern, der andere sehr herb.<br />
Letzterer hatte die bei ihm arbeitenden Ostarbeiterinnen, 2 Studentinnen aus Minsk, geschlagen. Das wurde ihm<br />
zum Verhängnis. - Herr Hoheisel war der erste in der Siedlung, der aus dem Krieg zurück kam. Eines Tages<br />
arbeitete er in seinem Garten wie ehedem. Als wir ihn begrüßten, erzählte er uns, dass er in Böhmen vom Militär<br />
entlassen worden war, bei Schandau durch die Elbe geschwommen und dann nach Hause gelaufen sei. In den<br />
nächsten Tagen war er abgeholt worden. Er kam auch nicht wieder. Herr Hoheisel war Nazi. Das haben alle<br />
gewusst und sich gehütet, ihn etwas hören zu lassen, das als regierungsfeindlich ausgelegt werden konnte. Ob er<br />
sich gegen jemand vergangen hatte, weiß ich nicht. - Aber auch "Kriegsverlängerer" zu sein, war strafbar, und