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wem konnte man das nicht vorwerfen, der in der Nazizeit einen Beruf ausgeübt hatte?<br />
30<br />
Es klingelt. Am Tor steht ein zwei Meter großer, stattlicher Mann - sorgfältig gekleidet, rotes, derbes Gesicht, das<br />
ergraute Haar glatt gescheitelt. "Guten Tag". "Guten Tag". - "Ich bin der Onkel Dachsel, sind Deine Mutter und<br />
Deine Großmutter da?". Wahrscheinlich hatte ich erstaunt drein geguckt. <strong>Mein</strong>e Mutter empfängt ihn mit<br />
überraschtem Jubel, meine Oma still. Er drückt ihr stumm und mitfühlend die Hand. Nach einigen schweigsamen<br />
Minuten erkundigt er sich nach jedem einzelnen von der ganzen Familie. <strong>Mein</strong>e Oma erzählt ausführlich über<br />
jeden von uns. "Und die im Krieg waren?" "Von Viktor haben wir Nachricht. Er ist in französischer<br />
Kriegsgefangenschaft. Und Harry ist in Böhmen in Gefangenschaft. Er arbeitet bei einer Bauernfamilie und wohnt<br />
auch dort auf einem Gehöft nahe der deutschen Grenze. Es geht ihm gut. - Und wie geht es Deinem Sohn<br />
Fritz?" Da atmet der Onkel schwer durch, als ob ihn ein Schock getroffen hätte: "Ach, das dumme Luder! Bei<br />
uns gab es einen Aushang, wer bei der Polizei gearbeitet hat, soll sich melden. Ich sagte: "Hier hast Du Geld,<br />
hau ab! Aber er: Ich habe nichts Unrechtes getan, brauche mir keine Vorwürfe zu machen, und es kann mir auch<br />
keiner etwas vorwerfen. Und er ging hin. Seit dem ist er weg." Onkel Dachsel war Gastwirt. Ihm gehörte eine<br />
Gaststätte auf dem Weißen Hirsch in Dresden. Seine Frau Lene, die Schwester meiner Oma, war schon vor<br />
<strong>Jahr</strong>en gestorben. Fritz war ihr einziges Kind. Es war als Frühchen gekommen. Sie hatte den Neugeborenen - in<br />
feuchte Tücher gepackt - in der vorsichtig geheizten Ofenröhre aufgepäppelt. Nun war er verschollen - bis heute.<br />
- Onkel Dachsel strahlte eine heitere Ruhe und Freundlichkeit aus, so dass ich seinen Besuch als heitere<br />
Stunden in Erinnerung habe. Woher nahm der Mann diese Kraft? Er hatte die Todesnachricht von Onkel Hans'<br />
Familie, die meine Mutter versandt hatte, erhalten und sich gleich um seine Schwägerin gekümmert. Ganz<br />
beiseite fragte er sie: "Kommst Du mit dem Geld hin?" Als er sich verabschiedete, drückte er heimlich meiner<br />
Großmutter und meiner Mutter einen größeren Schein in die Hand, und ich bekam auch 5 Mark.<br />
*<br />
<strong>Mein</strong>e Oma, meine Mutter und ich, wir schliefen in einem Raum im Obergeschoß. Sommer, ein Fenster weit<br />
geöffnet, zeitiger Morgen. Ich werde wach, als meine Oma fragt: "Was ist denn da draußen los?" Ich richte mich<br />
im Bett auf und habe Sicht auf den Weg. Steht dort ein Mann in Zivil und legt die MPi auf mich an. Ich lege<br />
mich wieder um - die MPi-Garbe kommt nicht. Die hätte auch die Sicherheitskräfte alarmiert, und das<br />
Unternehmen der Bande wäre geplatzt. So hebelten die Leute in aller Stille das Gartentor vom Nachbar<br />
Messerschmidt aus, brachen die Garage auf und schleppten mit einem mitgebrachten PKW das Auto des<br />
Nachbarn ab und weg. So einfach war das!<br />
Für die nächtliche Sicherheit sorgten Patrouillen von berittenen Soldaten. Wir hatten gesehen, wie so eine