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weiter, dann bekam es der Reiter in den Griff. Er wendete, ritt ein Stück zurück, vergewisserte sich, dass uns<br />
nichts passiert war, nickte, wendete wieder und ritt weiter. Jetzt erst begriffen wir, das Pferd hatte gescheut. Der<br />
Reiter hatte uns hinter dem Wagen nicht sehen können. Nach dem Zuruf hatte er sein Pferd so hochgerissen,<br />
dass es den Wagen und mich übersprang. - Da hatte ein zweites Mal die Geistesgegenwart eines Russen uns<br />
das Leben gerettet!<br />
*<br />
Unsere Siedlung war eine Idylle. Bis auf zwei Häuser, die von Granaten getroffen worden waren, hatte es keine<br />
Kriegsschäden gegeben. Die durch den Beschuss zerbrochenen Fensterscheiben hatte Herr Lindner, Tischler und<br />
Glaser auf dem Lachenweg, wieder erneuert - gegen Bezahlung und etwas zum Rauchen versteht sich. Die<br />
kleinen Wiesenstücken mähte Herr Messerschmidt, ebenfalls ein Nachbar - natürlich auch gegen Bezahlung und<br />
etwas zum Rauchen. Es hatte bis zum Kriegsende "Raucherkarten" auch für die Frauen gegeben. <strong>Mein</strong>e Mutter<br />
hatte die ihr zustehenden Tabakwaren gekauft, aber natürlich nicht geraucht, sondern als mögliches<br />
Zahlungsmittel aufbewahrt und damit sorgfältig gewirtschaftet. Die Gärtner verkauften Pflanzen, und Sämereien<br />
hatten wir schon im Vorjahr gezogen und wieder ausgesät. Die Vorgärten waren gepflegt, die Beete bestellt. Die<br />
Siedlung machte ihrem Spottnamen "Kohlrabi-Insel" alle Ehre. Obwohl unser Garten nicht groß war, kam mir ein<br />
Teil der Gartenarbeiten zu. Ich machte sie auch recht gern und bin meiner Mutter dankbar, dass sie mich dabei<br />
einschaltete und anleitete. Lernte ich doch, dass Betätigung auch einen Sinn haben muss. Neben den Arbeiten<br />
im Garten, die man gern als Freizeitbeschäftigung sehen kann, gab es aber in den Häusern noch ein anderes<br />
Problem. Sie hatten keine Abwasseranschlüsse. Das bedeutete: Jeder Liter Wasser, der im Haus verarbeitet<br />
wurde - zum Waschen, zum Essenkochen, zum Trinken - floss in eine Sammelgrube und musste mit der<br />
Handpumpe wieder herausgepumpt und mit Eimer und Gießkanne im Garten verteilt werden. Seit mein Vater<br />
nicht mehr zu Hause war, gab es für meine Mutter und mich hier eine eindeutige Arbeitsteilung: - Ich pumpte die<br />
Eimer voll, meine Mutter trug sie im Garten breit und goss damit die Pflanzen. Und das fast jeden Abend. Im<br />
Herbst und im Frühjahr wurde die Jauchengrube geräumt. Ich schöpfte die Jauche in die Eimer, meine Mutter<br />
trug die Eimer weg und düngte so den ganzen Garten. Zugegeben, das war weniger idyllisch. Aber ich lernte<br />
dabei, dass auch unangenehme Arbeiten erledigt werden müssen. Und, ohne prahlen zu wollen, meine Mutter<br />
dabei allein lassen, das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Auch meine Schulkameraden halfen zu Hause<br />
und hatten auch solche Arbeiten. Bei manchen spürte man es am nächsten Tag noch, wenn sie am Vorabend<br />
beim Jauchen geholfen hatten. Wenn die Eltern größere Gärten hatten, hatten sie noch mehr Arbeit, aber auch<br />
mehr Gemüse zu essen.<br />
Der Gesundheitszustand meiner guten Muttel wurde bedenklich. Sie musste wieder zur Behandlung zum Facharzt