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angehängte Handwägelchen gesetzt. Dann ging es etwas bergab, und die Pferde fielen in Trab. Unser<br />
Wägelchen schleuderte von einer Straßenseite zur andern, Muttel konnte sich nur mit Mühe darauf halten.<br />
Schreck - Spannung - Angst ... aber dann ging es wieder langsamer. Es war noch einmal gut gegangen! Wir<br />
freuten uns und lachten aus vollem Halse. Dann kamen wir auf den Hof unserer Verwandten. Sie empfingen uns<br />
sachlich und kühl als Kunden. Onkel Paul nahm die Kartoffelkarten entgegen, wog die uns zustehenden Kartoffeln<br />
sorgfältig auf der Dezimalwaage ab, tarierte, nahm einige Kartoffeln, die zu viel im Sack waren, wieder heraus. -<br />
Da standen wir nun mit unseren Kartoffelsäcken und packten sie auf das Wägelchen, stellten fest, dass es<br />
eigentlich für die Fuhre zu klein und zu leicht gebaut war. - Inzwischen hatte Tante Martha Onkel Paul zum<br />
Mittagessen gerufen. Als wir die Kartoffeln bezahlen wollten, war die Haustür verschlossen. Wir setzten uns auf<br />
den Brunnendeckel und warteten geduldig. Nach einer guten Stunde wurde die Haustür wieder aufgeschlossen.<br />
Onkel Paul kam heraus und nahm das Geld für die Kartoffeln entgegen. Da kam auch Tante Martha: "Wir haben<br />
noch ein paar Kartoffeln und Soße. Wollt ihr die essen?" Wir wollten. Die Heimfahrt über die aufgeweichte,<br />
unbefestigte Straße muss eine Katastrophe gewesen sein. Ich erinnere mich nur noch düster. Vater und Onkel<br />
Martin zogen, Muttel, Tante Liesel und ich stemmten von hinten. Schließlich kamen wir bei uns an. Den weiteren<br />
Transport nach Dresden haben dann die Männer alleine gemacht. Der Wagen war ja nur noch halb voll. Bei<br />
tiefster Finsternis kam mein Vater mit dem leeren Handwagen nach Hause.<br />
*<br />
Frau Grafe, unserer Mieterin trug ihr Schicksal mit viel Geduld. Es war traurig: Von ihrem vermissten Mann kam<br />
keine Nachricht. - Die Ärzte hatten ihr gesagt, dass ihr Söhnchen Peter einen unheilbaren Gehirnschaden hätte,<br />
so dass er sich nicht normal entwickeln würde. Wahrscheinlich hatte er als Baby Gehirnhautentzündung gehabt,<br />
die nicht erkannt und falsch behandelt worden war.<br />
Peter war nun vier <strong>Jahr</strong>e alt, er hatte die richtige Größe und das richtige Gewicht. Aber er konnte nicht stehen<br />
und musste gewindelt werden. Wenn ihn seine Mutter auf dem Arm trug, schaute er mit großen schönen Augen<br />
um sich, schien aber nichts wahrzunehmen und reagierte auch nicht. Am Tage war sein Bettchen und das<br />
Laufgitter für ihn zu klein. Er kroch auf dem Fußboden umher und versuchte sich manchmal am Tisch<br />
hochzuziehen und aufzurichten. Er war still. Wir spürten ihn kaum. Nachmittags sang ihm seine Mutter gern etwas<br />
vor, am liebsten "Peterle, mein gutes Peterle, ich schenk dir was du willst, sogar mein Herz."... Das war damals<br />
ein oft gespielter Schlager. Eines Tages - Frau Grafe hängte im Garten Wäsche auf - schrie plötzlich Peterle<br />
fürchterlich. <strong>Mein</strong> Mutter rannte zu ihm die Treppe hinauf und nahm in die Arme. Er hatte sich am geheizten Ofen<br />
hochgezogen und an der glühend heißen Herdplatte festgehalten - losgelassen - getaumelt - wieder festgehalten<br />
-getaumelt -festgehalten - und in seiner Not immer wieder auf die heiße Herdplatte gefasst. Er hatte sich nicht<br />
helfen können - bis ihn meine Muttel aus der Situation befreite. Das waren nur wenige Sekunden gewesen, aber