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wirklich. Wir konnten es vor Freude nicht fassen. Gesund, sonnengebräunt, lachend und voll Optimismus - so<br />
kam unser Vater nach Hause. Unsere Wiedersehensfreude war nicht beschreibbar. ...<br />
Dann packte unser Vater seinen Rucksack aus: - eine Schlafdecke - die zweite hatte er seinen Mitgefangenen<br />
überlassen. (Es hieß, die Armee-Offiziere müssen in dem Lager überwintern) - wenig Wäsche - das<br />
"Bunkerlicht": eine Schuhkremdose gefüllt mit Paraffin (das er von Proviant-Verpackungskartons der Amerikaner<br />
abgeschabt hatte) und einem Baumwollfaden als Docht - und da: - eine zierlich aus Holz geschnitzte<br />
Madonnenfigur, ein kleines Kunstwerk! Als die hervorkam, sagte Vater: "Die haben sie mir gelassen, ich habe sie<br />
von einem Schnitzer in Ponte di Legno (ein Ort am Fuße des Stilfser Joches) gekauft. Bei jedem Lagerappell<br />
mussten wir unsere Habe auf der Decke akkurat nebeneinander Stück für Stück ausbreiten. Erst sortierten die<br />
Amerikaner aus, was sie brauchten, dann die deutsche Lagerpolizei. Bis zur Entlassung hatte ich eine Süßigkeit<br />
aufgehoben. Die griff sich ein Lagerpolizist. Ich sagte, "Das möchte ich meinem Jungen mitnehmen." Er<br />
antwortete "Das schmeckt anderen auch."<br />
Seinen Weg durch die Gefangenschaft und nach Hause kann ich nur aus den vielen Episoden rekonstruieren, die<br />
er uns erzählt hat: In Varese war er von den Amerikanern gefangen genommen worden. Hatte seine Pistole, aus<br />
der er nie einen Schuss abgefeuert hatte, mit auf den Haufen geworfen, auf dem schon die Waffen seiner<br />
Kollegen lagen. Dann mussten sie, vollkommen nackt mit erhobenen Armen, an einer Gruppe Amerikaner vorbei<br />
defilieren. Eine Frau, angeblich eine Ärztin, musterte sie genau. Die SS-Leute, sie hatten unter dem Arm ihre<br />
Blutgruppe eintätowiert, wurden registriert. Dann kamen sie alle nach Meeran. Dort waren sie in einer Kaserne<br />
untergebracht. Unser Vater in einem Zweimannzimmer, zusammen mit einem SS-Offizier. Die SS-Leute wurden<br />
später gesammelt und abtransportiert. Dem Abtransport versuchte der Mitbewohner des Zimmers zu entgehen:<br />
"Jetzt mach' ich mir eine Gelbsucht." Er machte sich eine Büchse Ölsardinen warm und aß die. Binnen kurzem<br />
lief er gelb an. Er meldete sich krank und entging so dem Abtransport. Wenige Tage später musste er ganz<br />
unvermittelt abgehen. Er verabschiedete sich mit den Worten: "Grunert, jetzt geht’s in den Tod." <strong>Mein</strong> Vater hat<br />
nichts mehr von ihm gehört. Den Übrigen ging es in diesem Lager gut. Sie hatten noch ihren eigenen Koch,<br />
wurden gut verpflegt, aßen von Porzellangeschirr. Abends saßen sie in der Kantine beisammen und sangen<br />
deutsche Militärlieder. Die amerikanischen Wachsoldaten standen an der Tür und sahen zu.<br />
Die amerikanischen Offiziere wollten Sport treiben. Unser Vater bekam die Bauleitung für einen Tennisplatz<br />
übertragen. Ihm wurde ein Bautrupp unterstellt. Mit dem marschierte er morgens zur Baustelle und wies ihn ein.<br />
Dann hatte er frei, spazierte durch Meeran und setzte sich an der Kurpromenade auf eine Bank, um zu lesen.<br />
Die vorbeilaufenden amerikanischen Offiziere wunderten sich - er trug ja noch die Hoheits- und Rangabzeichen<br />
an seiner Uniform - aber angesprochen hat ihn keiner.