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Mein Jahr 1945 - Coswig

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Schulfreundinnen aus Naundorf wieder auf. Am meisten zog es sie aber zu Tante Liesel - eigentlich zur Elke. Da<br />

war wieder ein Kind, das sie umsorgen konnte. Sie blieb oft tagelang dort. Eines Tages kam sie nach Hause und<br />

sagte: "Martin ist da." Und sie fügte tröstend hinzu: "Nun ist der erste da, da werden die anderen Männer auch<br />

bald kommen."<br />

*<br />

Onkel Martin hatte sich immer aufgeschlossen gegeben. Er konnte eine Gesellschaft sehr beleben, hatte sich<br />

auch immer sehr nett mit uns Kindern abgegeben. Sein gekonnter und geübter Gesang war sehr beliebt. Arien<br />

aus dem "Zarewitsch" von Lehár und dem "Postillon von Lonjumeau" von Adam gehörten zu seinem Repertoire.<br />

Und nun besuchten uns Tante Liesel und Onkel Martin. Wir freuten uns. Doch sie kamen mit bitteren Mienen -<br />

wollten etwas klären. - Und dann brach ein schrecklicher Streit los. <strong>Mein</strong>e Mutter schickte mich in den Garten. Ich<br />

sollte das nicht mit erleben. Der Streit endete erst, als meine Mutter in einem schweren Herzanfall<br />

zusammenbrach. Tante Liesel und Onkel Martin kamen in den Garten. Sie sagten: "Geh zu deiner Mutter."<br />

<strong>Mein</strong>e Muttel lag auf dem Sofa und rang nach Luft. Ich wusste nicht, wie ich ihr helfen konnte. Schließlich sagte<br />

sie: "Hol’ mir bitte ein Glas Wasser." Onkel Martin kam und sagte nur: "Das war nötig." Dann verabschiedeten<br />

sie sich. - Worum es ging, habe ich nie erfahren - war es noch der Reis ? - war es das Erbe? Ich weiß es<br />

nicht.<br />

Onkel Martin hatte im Krieg schlimme Erlebnisse gehabt. Er war zur Infanterie eingezogen worden. Winter an der<br />

Ostfront. Später ist seine Einheit in das besetzte Frankreich verlegt worden. - Nach dem Krieg deutete er einmal<br />

an, dass viele seiner Kameraden gefallen sind. - Sicher haben ihn die Kriegserlebnisse zeitlebens belastet.<br />

Nicht nur die physischen, besonders die psychischen Belastungen der Soldaten im Krieg ist unbeschreibbar. Ich<br />

erinnere mich an eine Szene aus einer Wochenschau. Wochenschauen waren Kurzfilme, die vor dem Hauptfilm<br />

gezeigt wurden und aktuelles Geschehen wiedergaben: Kriegsberichte - siegesgewiss, heroisch, den Feind<br />

entstellend – diese Bilder habe ich vergessen. Aber eine Szene hat sich mir tief eingeprägt – Ostfront,<br />

Schützengraben, ein deutscher Soldat rollt getroffen vom Grabenrand, - Kameraschwenk: - eine MG-Stellung –<br />

vor dem Schützengraben eine unübersehbare Weite übersät mit Leichen. – Was mag in dem MG-Schützen<br />

vorgehen, der die anstürmenden Massen niedergemäht hatte? Er war ein Held. Er hatte den Angriff erfolgreich<br />

abgewehrt. Er hatte das Leben seiner Kameraden gerettet und auch sein eigenes. Aber wird er das Bild<br />

vergessen können, wie von seinen Kugeln, tödlich getroffen, Menschen in Scharen vor ihm zusammenbrechen?<br />

Wird er die Schreie der Verwundeten je wirklich vergessen können?<br />

Schrecklich auch der Partisanenkrieg. Partisanen, bewaffnete Zivilisten, Männer und Frauen, die im besetzten<br />

Gebiet operierten mit dem Auftrag, den Nachschub zur Front zu stören. Jeder Zivilist kann im Partisanengebiet für

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