22.02.2013 Aufrufe

Mein Jahr 1945 - Coswig

Mein Jahr 1945 - Coswig

Mein Jahr 1945 - Coswig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

konnte nicht weiter sprechen.<br />

41<br />

*<br />

Tante Betty, die Frau von Onkel Viktor - dem jüngsten Sohne meiner Oma, besucht uns. Still und ernst tritt sie<br />

ins Zimmer: "Viktor ist tot." Mit Tränen in den Augen holt sie einen Brief aus ihrer Tasche. Absender:<br />

Kriegsgefangenenlager Kreuznach, Lagergeistlicher. In sauberer, geübter Handschrift tröstende Wort und dann<br />

"... Fürsorge und ärztliche Kunst vermochten ihn nicht am Leben zu halten." Oma sank bleich und wortlos auf<br />

einen Stuhl. <strong>Mein</strong>e Mutter und Tante Betty umarmten sich weinend.<br />

Onkel Viktor war der Lustigste in unserer Familie gewesen. Dunkelhäutig, schwarzes, lockiges Haar, immer zu<br />

Scherzen aus der Situation heraus aufgelegt. Als Soldat hatte er LKW-Lastzüge mit Lebensmitteln an die vordere<br />

Front gefahren. Oft unter Partisanenbeschuß. Ein Beifahrer ist neben ihm im Fahrerhaus tödlich getroffen worden.<br />

Einmal schenkte er mir ein Gewehrprojektil mit den Worten: "Das war für mich bestimmt." Es war durch den<br />

Rahmen der Windschutzscheibe, an seinem Kopf vorbei, in die Rückwand des Fahrerhauses eingeschlagen. Auf<br />

einem Foto sahen wir ihn, an russische Kinder Brot verteilen. Auch die Kämpfe an der Westfront hat er ohne<br />

Verwundung überlebt. Nachdem der Krieg vorbei war, musste er in einem französischen Gefangenenlager<br />

sterben. Wodurch? Der Geistliche hat es nicht geschrieben.<br />

Heimkehrer aus französischer Kriegsgefangenschaft haben erzählt, sie seien in offenen Güterwagen transportiert<br />

worden. Von den Brücken habe die aufgebrachte französische Bevölkerung Unrat und Steine auf sie geworfen.<br />

Dabei sollen viele Gefangene verletzt und auch getötet worden sein . Besonders schlimm sei das<br />

Kriegsgefangenenlager in Bad Kreuznach gewesen. In das überfüllte Lager seien die Gefangenen hinein<br />

gezwängt worden. Es wäre auch von den französischen Wachmannschaften in die Masse zusammengedrängter<br />

Gefangener blindlings hineingeschossen worden.<br />

*<br />

Es war herrliches Sommerwetter. Wir gingen in den Spitzgrundteich baden. Wir wussten: Das war verboten, weil<br />

zu gefährlich. Unsere Lehrer hatten es uns genau erklärt: - Die kalten Strömungen in dem Teich können<br />

Herzschlag verursachen, auch bei jungen Leuten. Aber die Russen badeten dort, und da sahen wir keinen Grund,<br />

nicht auch dort zu baden. Vor den Russen hatten wir die Scheu abgelegt. - An dem Ufer des doch recht kleinen<br />

Teiches hatte sich ein munteres Strandleben entwickelt.<br />

Das Sommerwetter brachte auch das Reifen des Getreides. Wir gingen Ährenlesen. Das Getreide wurde mit dem

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!