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konnte nicht weiter sprechen.<br />
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*<br />
Tante Betty, die Frau von Onkel Viktor - dem jüngsten Sohne meiner Oma, besucht uns. Still und ernst tritt sie<br />
ins Zimmer: "Viktor ist tot." Mit Tränen in den Augen holt sie einen Brief aus ihrer Tasche. Absender:<br />
Kriegsgefangenenlager Kreuznach, Lagergeistlicher. In sauberer, geübter Handschrift tröstende Wort und dann<br />
"... Fürsorge und ärztliche Kunst vermochten ihn nicht am Leben zu halten." Oma sank bleich und wortlos auf<br />
einen Stuhl. <strong>Mein</strong>e Mutter und Tante Betty umarmten sich weinend.<br />
Onkel Viktor war der Lustigste in unserer Familie gewesen. Dunkelhäutig, schwarzes, lockiges Haar, immer zu<br />
Scherzen aus der Situation heraus aufgelegt. Als Soldat hatte er LKW-Lastzüge mit Lebensmitteln an die vordere<br />
Front gefahren. Oft unter Partisanenbeschuß. Ein Beifahrer ist neben ihm im Fahrerhaus tödlich getroffen worden.<br />
Einmal schenkte er mir ein Gewehrprojektil mit den Worten: "Das war für mich bestimmt." Es war durch den<br />
Rahmen der Windschutzscheibe, an seinem Kopf vorbei, in die Rückwand des Fahrerhauses eingeschlagen. Auf<br />
einem Foto sahen wir ihn, an russische Kinder Brot verteilen. Auch die Kämpfe an der Westfront hat er ohne<br />
Verwundung überlebt. Nachdem der Krieg vorbei war, musste er in einem französischen Gefangenenlager<br />
sterben. Wodurch? Der Geistliche hat es nicht geschrieben.<br />
Heimkehrer aus französischer Kriegsgefangenschaft haben erzählt, sie seien in offenen Güterwagen transportiert<br />
worden. Von den Brücken habe die aufgebrachte französische Bevölkerung Unrat und Steine auf sie geworfen.<br />
Dabei sollen viele Gefangene verletzt und auch getötet worden sein . Besonders schlimm sei das<br />
Kriegsgefangenenlager in Bad Kreuznach gewesen. In das überfüllte Lager seien die Gefangenen hinein<br />
gezwängt worden. Es wäre auch von den französischen Wachmannschaften in die Masse zusammengedrängter<br />
Gefangener blindlings hineingeschossen worden.<br />
*<br />
Es war herrliches Sommerwetter. Wir gingen in den Spitzgrundteich baden. Wir wussten: Das war verboten, weil<br />
zu gefährlich. Unsere Lehrer hatten es uns genau erklärt: - Die kalten Strömungen in dem Teich können<br />
Herzschlag verursachen, auch bei jungen Leuten. Aber die Russen badeten dort, und da sahen wir keinen Grund,<br />
nicht auch dort zu baden. Vor den Russen hatten wir die Scheu abgelegt. - An dem Ufer des doch recht kleinen<br />
Teiches hatte sich ein munteres Strandleben entwickelt.<br />
Das Sommerwetter brachte auch das Reifen des Getreides. Wir gingen Ährenlesen. Das Getreide wurde mit dem