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Mein Jahr 1945 - Coswig

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zu kommen. "Geschäftstüchtige" haben sich damit sogar etwas Geld verdient; ich bin heute noch nicht<br />

geschäftstüchtig! - Interessanter waren aber auch die umgesprengten Bäume im Walde. Darin ließ sich herrlich<br />

klettern und wippen. - Wir liefen eines Tages durch das Wäldchen am Wettinstift und standen plötzlich an der<br />

Spitzgrundstraße vor einem MG-Nest. Es war offensichtlich, hier sollten die Russen, die vom Ameisenhügel aus in<br />

die Stadt vordringen wollten, aufgehalten werden. Das MG geladen, dahinter 2 sehr junge Soldaten, schussbereit;<br />

dazu mehrere Kisten Munition. "Sie erwarten wohl den Iwan?" war meine unpassende Frage. Die beiden<br />

schauten mich nur ernst an. Wir ständerten neugierig um das Loch herum, in dem sie hockten. "Ist in der<br />

Flasche Schnaps?" "Nein, Wasser". Die beiden waren uns zu einsilbig. Wir liefen weiter, quer durch das<br />

Schussfeld zum Gabelweg. Dort, wo der Gabelbach den Gabelweg kreuzt, begannen die umgesprengten Bäume.<br />

Hier war es schon interessanter: Einige Hitlerjungen ballerten mit einer Pistole gegen die Buchen, dass die<br />

Abpraller nur so wegpfiffen. Sie hatten auch eine Panzerfaust dabei. Wir kletterten durch die umgesprengten<br />

Bäume zur Frontseite der Befestigung. Vor dem Großen Hohenstein endete diese wilde Sperre, und dort<br />

entdeckten wir einen aus Baumstämmen gefügten Bunker. Da er leer war, eroberten wir ihn sofort für uns. Einige<br />

packten ihre Zigaretten aus. Es wurde ganz gemütlich. -<br />

Wir gingen ziemlich spät heim. Zwar hatten wir gehört, dass am Stadtrand von Meißen ein russischer Spähtrupp<br />

gesichtet worden war, dass aber die Russen schon Moritzburg eingenommen hatten und sich in der Nähe vom<br />

Forsthaus Kreyern lagerten, wussten wir nicht. So war das damals! - Wenn ich heute darüber nachdenke, wird<br />

mir bewusst, wir waren zwischen den Fronten und hätten in dem Bunker eine Zielscheibe geboten.<br />

Wenn wir abends zusammen saßen - Muttel, Oma, Tante Liesel und ich - kreisten unsere Gedanken und unsere<br />

Gespräche nur um die ungewisse Zukunft. Als die Stimmung einmal ganz tief gesunken war, sagte Tante Liesel:<br />

"Martin hat mir eine Pistole dagelassen. Fünf Schuss sind drin. Die reichen gerade für uns". <strong>Mein</strong>e Mutter:<br />

"Liesel, woran denkst du?! Wer sollte denn das machen?" "Na, unser Werwolf," antwortete sie ernst, dabei auf<br />

mich zeigend. Da muss ich wohl ganz blass geworden sein, weil ich den Spott nicht gleich verstand. Zum Glück<br />

brach meine Mutter sofort die Spitze ab: "Unsinn!" - Aus Angst vor den Russen haben nicht wenige auch in<br />

<strong>Coswig</strong> Selbstmord begangen: In einem Einfamilienhaus am Waldrand in der Spitzgrundstraße fand man ein<br />

Ehepaar mit seiner 8jährigen Tochter - tot. Sie hatten sich die Pulsadern aufgeschnitten. Das Mädchen hatte<br />

noch im Tode die Rasierklinge in der Hand.<br />

Eines Abends hörten wir entfernte Hornsignale und dann eine Detonation - War es die Sprengung der<br />

Niederwarthaer Brücke? Und dann wieder Hornsignale und eine Detonation, diesmal näher, die Sprengung einer<br />

Eisenbahnbrücke der Berliner Bahnlinie über die Strecke Dresden - Leipzig.<br />

Frau Grafe, unsere Mieterin, hatte plötzlich eine Untermieterin, eine attraktive, junge Frau in dunkelgrauem

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