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Mein Jahr 1945 - Coswig

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eines Satteldaches aus dünnen Fichtenstämmen. Darauf lagen als Dachdeckung Bahnen von Fichtenrinde. Ein<br />

Schnitt rund um den Stamm in 2 m Höhe, ein Schnitt rund um den Stamm dicht über dem Erdboden, ein Schnitt<br />

senkrecht, die beiden waagerechten Schnitte verbindend - dann die Rinde abgezogen - so waren die<br />

Rindenbahnen gewonnen worden. Ein ganzes Waldstück hatten die Russen so entrindet, um die Hütten zu<br />

bauen. Der Erdboden in den Hütten war mit Kiefernreisig ausgepolstert. Bescheidene Quartiere für eine siegreiche<br />

Armee! Sie hätte auch die Macht gehabt, die Bewohner der umliegenden Orte aus ihren Häusern zu treiben, um<br />

selbst einzuziehen.<br />

*<br />

Die Besatzungsmacht brachte Neuerungen. Am einschneidendsten empfanden wir die Einführung der Moskauer<br />

Zeit. Die Uhren 2 Stunden vorstellen! Wenn wir abends 9.00 Uhr ins Bett gingen, war es eigentlich 7.00 Uhr<br />

abends der Ortszeit. Und das im Hochsommer! Nächtliche Kühle gab es erst nach mitternacht. Das war<br />

gewöhnungsbedürftig.<br />

Die Schule lief wieder an, ausgeschlafen waren wir immer erst nach der 2. Schulstunde. In den Pausen waren<br />

wir aktiv. Einige hatten Jagdpatronen gefunden. Wir brachen die Schrotladung ab und schütteten etwas von dem<br />

Pulver unter den Tintenglasdeckel. Zuschlagen: - Peng. So Schuss auf Schuss, und das jeder von uns 40<br />

Jungen. Das Konzert klang wie Maschinengewehrfeuer. Von den Lehrern hat sich keiner sehen lassen. Sicher<br />

dachten sie: "Denen wird schon das Pulver ausgehen!" Unser Arsenal reichte für mehrere Tage. Einmal ist<br />

einem eine Schrotkugel ins Pulver geraten; die flog seinem Vordermann ans Ohr. Oh, weh! Mit Mühe hat er sich<br />

die Tränen verkniffen. - Aber dann hatten wir einen Sprengstoff, der aussah wie Lakritze. Er war in Stangen<br />

geformt wie Makkaroni. Wenn man die „Makkaroni“ anbrannte, zischten die ab wie eine Rakete, und es stank<br />

fürchterlich im Klassenzimmer.<br />

Die Besatzungsmacht brachte auch Farbe in unseren eintönigen Alltag (fast so wie 1989 die Wessis). Am<br />

Bahnhofsvorplatz wurden Porträts in gewaltiger Größe aufgestellt. Fast verdeckten sie den Bahnhof. In der Mitte<br />

Generalissimus Stalin, mindestens 1 m größer als die anderen. Links und rechts von ihm seine Generäle. Alle<br />

schön farbig gemalt. Das letzte Mal hatte ich am 20. April vor einem <strong>Jahr</strong> den Platz im Fahnenschmuck gesehen.<br />

Das war "Führers Geburtstag." Hakenkreuzfahne an Hakenkreuzfahne auch auf der Hauptstraße. Ich erinnere<br />

mich, dass ich das eigentlich ganz schön bunt fand. In diesem <strong>Jahr</strong> war an "Führers Geburtstag" nur noch eine<br />

einzelne Fahne dort aufgezogen worden. Jetzt diese großen Porträts. Man erzählte sich in <strong>Coswig</strong>, ein Russe<br />

habe sich davor gestellt und laut gerufen: "Der Zirkus beginnt!"

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